Ihr Ehemann zeigte sich am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur sda einerseits erleichtert über den Schuldspruch. Anderseits werde das Urteil seinem toten Kind nicht gerecht, sagte er.
Der verurteilte Grenzwächter war als Einsatzleiter zuständig für eine Gruppe von über 30 Flüchtlingen, die im Juli 2014 auf einem Rücktransport von der schweizerisch-französischen Grenze nach Italien in Brig auf einen Zug warten mussten.
In der Gruppe befand sich auch eine syrische Familie; die Ehefrau war im siebten Monat schwanger. Schon kurz vor der Ankunft in Brig klagte die Schwangere über Schmerzen und Blutungen. In Brig angekommen, verstärkten sich die gesundheitlichen Probleme.
Ihr Mann bat die zuständigen Grenzwächter mehrfach um medizinische Hilfe für seine Frau - vergeblich. Als sie schliesslich zum ankommenden Zug getragen werden musste, erkannte der Einsatzleiter, dass es der Schwangeren wirklich nicht gut ging.
Statt einen Arzt zu holen, liess er die Flüchtlinge aber in den Zug in die italienische Grenzstadt Domodossola verladen. Dann informierte der Grenzwächter die italienische Seite, dass im Zug ein schwangere Frau mit gesundheitlichen Problemen sei. Im Spital von Domodossola brachte die Frau ihr Kind tot zur Welt.
«Es hätte lediglich eines einzigen Anrufs bedurft», wandte sich der Präsident des Militärgerichts 4, Oberst Alberto Fabbri, am Donnerstag mit leiser aber umso eindringlicher Stimme an den Grenzwächter. In Brig gebe es ein Spital und in Bahnhofnähe mehrere Ärzte.
Der Angeklagte dürfte einen gewissen Druck gehabt haben, die Rückschaffung der Flüchtlingsgruppe zeitgerecht durchzuführen, räumte der Gerichtspräsident ein. Doch dies ändere nichts daran, dass der Grenzwächter zumindest die Schwangere und ihre Familie hätte zurückbehalten und medizinisch abklären lassen müssen.
Dem Grenzwächter kreidete das Gericht nicht an, dass er die Lage zunächst falsch einschätzte und von normalen Schwangerschaftsbeschwerden ausging.
Allerdings hätten sich weder er selber noch einer der anderen Grenzwächter näher bei der Schwangeren erkundigt. Dazu wäre die Mannschaft eindeutig verpflichtet gewesen. Aufrichtige Reue machte das Gericht beim angeklagten Einsatzleiter im Übrigen auch nicht aus.
Das Militärgericht ging in seinem Urteil weiter davon aus, dass das Ungeborene infolge einer Plazentaablösung bereits vor Brig nicht mehr lebte. Die Schmerzen der Frau stammten von diesem Vorgang. Die eigentlichen Geburtswehen hätten erst nach Brig eingesetzt. Solche Fragen waren entscheidend, um die möglichen Straftatbestände einzugrenzen und die Strafe zu konkretisieren. Die Annahmen des Gerichts wirkten sich zu Gunsten des Angeklagten aus.
Am Ende resultierte ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung, versuchten Schwangerschaftsabbruchs und mehrfachen Nichtbefolgens von Dienstvorschriften. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 150 Franken. Beide Strafen wurden bedingt ausgesprochen.
Auf eine Genugtuungsforderung der Opferfamilie ging das Militärgericht nicht ein und verwies stattdessen an den Bund. Die Anwältin der Opferfamilie will dort nun die Forderung mittels Staatshaftungsklage stellen.
Der Ankläger zeigte sich «nicht enttäuscht» vom Urteil, obschon er eine schärfere Strafe verlangt hatte. Er werde nun prüfen, ob er das Urteil an die nächsthöhere Instanz weiterziehen wolle. Auch die Verteidigung will das Urteil «eingehend studieren» und einen Weiterzug abwägen.
Offen ist, ob der Schuldspruch personalrechtliche Konsequenzen für den 57-jährigen Walliser Grenzwächter hat. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, werde man über allfällige Massnahmen entscheiden, sagte Jürg Noth, Chef des Grenzwachtkorps, auf Anfrage. Seit dem Vorfall in Brig ist der Grenzwächter in anderer Funktion und an einem anderem Ort tätig.
Die Gewerkschaft des Zoll- und Grenzwachtpersonals Garanto reagierte bestürzt auf das Urteil. Es stelle die künftige Arbeit des Grenzwächters und der Zollverwaltung in Frage. Die Sparbeschlüsse des Bundes, führten dazu, dass zu wenig Grenzwächter vor Ort seien und die Aufgaben nur unter grosser Belastung und hohem Leistungsdruck ausführen könnten, schreibt Garanto in einer Mitteilung.