Experte zur TV-Serie «13 Reasons Why»
«Reden kann retten»

In der neuen Netflix-Serie «13 Reasons Why» geht es um die junge Frau Hannah Baker, die sich das Leben nimmt – das sorgt für Diskussionsstoff. BLICK hat mit Tony Styger, Leiter der Dargebotenen Hand Zürich, gesprochen.
Publiziert: 10.04.2017 um 20:04 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 05:49 Uhr
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Hauptdarstellerin Hannah nimmt 13 Kassetten vor ihrem Selbstmord auf. Diese sind an jeweils eine Person gerichtet.
Foto: Screeshot

In «13 Reasons Why» nimmt sich die 17-jährige Hannah Baker das Leben. Sie hinterlässt einen Schuhkarton mit 13 Kassetten. Auf den Kassetten erzählt Hannah von Vorfällen, die sie zu ihrem Suizid bewegt haben. Dabei spricht sie offen über bestimmte Mitschüler, die sie verletzt und am Ende in den Selbstmord getrieben haben.

Tony Styger ist Leiter der Dargebotenen Hand Zürich.

BLICK: Was denken Sie über die Netflix-Serie «13 Reasons Why»?
Tony Styger:
Das Thema Suizid bewegt ganz klar die Gemüter, das liegt auf der Hand. Es ist jedoch nicht problematisch, über das Thema zu sprechen. Suizid sollte kein Tabuthema sein. Reden kann retten, das ist auch der Name einer aktuellen Kampagne mit dem Kanton Zürich. Ob eine Serie reicht und ob diese hilft, kann ich nicht pauschal beantworten. Es ist aber nicht so schlecht, dass man darüber diskutiert. Die Serie könnte die Leute auf die Thematik aufmerksam machen. 

Was bewirkt diese Thematisierung von Freitod in Form einer TV-Serie?
Die Serie könnte eher förderlich sein bei der Suizid-Prävention. In der Serie werden die Angehörigen beschuldigt und fühlen sich noch schlechter dadurch. Die Hemmschwelle für Suizide könnte dadurch steigen. Wenn Leute sehen, wie schlecht es Angehörigen gehen kann, dann überlegen sie es sich vielleicht noch einmal mit dem Suizid. Die Serie baut aber auch den Druck bei Personen auf, die an Suizid denken. Sie sind zweigespalten, wollen sich einerseits umbringen, wollen aber anderen kein Leid zufügen oder ihnen die Schuld zuschieben.

In der TV-Show macht die junge Frau Hannah Baker mittels Abschieds-Kassetten verschiedene Personen verantwortlich für ihren Selbstmord – ist dies realitätsnah?
Die meisten hinterlegen einen Abschiedsbrief. In der Serie war es jetzt in Form von Kassetten, was aber keinen grossen Unterschied macht. Die Abschiedsbriefe in der Realität sind jedoch von positiver Natur – das ist der Unterschied. Personen, die sich das Leben nehmen, machen den Hinterbliebenen in der Regel keine Vorwürfe. Oft schreiben sie, dass diese nichts oder nur wenig dafür können. Ein Suizid hinterlässt bei den Verbliebenen ohnehin Schuldgefühle – ob Vorwürfe gemacht werden oder nicht.

Das Umfeld von Hannah fühlt sich schuldig am Tod der Jugendlichen. Kommt das auch in der Realität vor? 
Wir Menschen wollen, dass es unseren Mitmenschen gut geht. Nur schon bei einem Unfall leidet man stark – es ist menschlich, Mitgefühl zu zeigen, zu leiden. Man kann sagen, dass ein Suizid der grösste «Unfall» überhaupt ist. Da liegt es auf der Hand, dass Hinterbliebene damit Mühe haben. Angehörige fragen sich bei einem Suizid oft, ob sie ihn hätten verhindern können. Ob sie dazu beigetragen haben? Wäre es nicht passiert, wenn ich etwas verständnisvoller gewesen wäre? Diese Schuldgefühle bleiben bei vielen ein Leben lang. Andere können schneller damit abschliessen, die Trauer verarbeiten. Man kann es nicht pauschal sagen.

Was bringt Jugendliche dazu, ihr Leben jung zu beenden? 
Meistens summieren sich viele Belastungen, auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Mühe im Beruf, eine Absage oder Probleme mit dem Partner sind nur einige davon. Der Auslöser kann dann ganz klein oder gross sein. Das ist ganz unterschiedlich. Es braucht dann nur noch den einen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Bei jüngeren Leuten oder auch Jugendlichen sind es oft Probleme mit dem Partner oder dem Job. Es ist ein sehr komplexes Thema. Manche Leute gehen mit diesen Problemen besser um, andere wiederum schlechter. Wir bieten den Leuten die Möglichkeit, anonym über ihre Probleme zu sprechen.

Ist heute der Druck auf Jugendliche grösser als früher?
Was den Körperkult angeht, ist es heute bestimmt viel schwieriger als früher. Dies vor allem, weil durch die sozialen Medien eine viel grössere Plattform besteht. Jeder ist auf Facebook und man muss zeigen, was man hat. Es gibt heute auch mehr Mittel, um der Natur nachzuhelfen, was auch zu mehr Druck führt. Doch jeder muss selbst entscheiden, ob er mitziehen möchte oder nicht. In jungen Jahren kann es schwierig sein, sich dem Gruppendruck zu entziehen. Mobbing gab es auch schon früher, nur hiess es damals noch anders. Es gab schon immer Streitereien und Jugendliche wurden auch damals ausgeschlossen. Nur wurde es früher auf dem Pausenplatz ausgetragen, heute ist jedoch der Kreis durch die sozialen Medien viel grösser. Wenn dann Sex-Fotos im Internet verbreitet werden, kann das ziemlich belastend für eine junge Person sein. Dies alleine muss aber nicht zum Suizid führen. Wie ich bereits gesagt habe, spielen viele Faktoren eine Rolle. (maz)

Hier findest du Hilfe

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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