Oberster Geriater warnt vor fehlenden Corona-Konzepten in Altersheimen
«Es ist fünf vor zwölf»

Besuchsverbote sollten verhindert werden, meint Andreas Stuck, Präsident der Schweizerischen Fachgesellschaft für Geriatrie und oberster Geriater am Inselspital Bern. Ohne staatliche Hilfe gehe das aber nicht.
Publiziert: 05.09.2020 um 23:55 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2020 um 16:20 Uhr
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Andreas Stuck ist der oberste Geriater der Schweiz.
Foto: Reto Hänni
Interview: Sven Ziegler

Bei der ersten Welle starben viele Altersheimbewohner an Corona. Haben Sie Angst vor dem Herbst?
Andreas Stuck: Ich mache mir Sorgen, dass sich das Virus wieder in den Heimen ausbreitet. Bei alten Menschen verläuft ja eine Erkrankung oftmals besonders schwer. Und ist eine Person in einem Heim einmal Corona-positiv, kann sich das Virus dort sehr schnell ausbreiten. Das haben wir gerade diese Woche gesehen: In dem Freiburger Pflegeheim mit Corona-Fällen waren über die Hälfte der Bewohner positiv.

Im August forderten Sie ein einheitliches Konzept zum Schutz der Altersheime in der Schweiz. Noch ist davon nichts zu sehen. Warum tut man sich hier so schwer?
Ich verstehe das auch nicht. Für ­viele Bereiche wie den öffentlichen Verkehr, die Restaurants, die Schulen und kürzlich auch für Sportveranstaltungen haben wir nationale Konzepte und Vorgaben. Für die Heime ist das nicht geschehen. Ich finde, es ist jetzt fünf vor zwölf.

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Woran scheitert die Umsetzung?
Erstens fehlt es an einer Koordi­na­tion unter den Kantonen. Und zweitens sind die Finanzen eine Hürde. Die notwendigen Schutzmassnahmen und Corona-Behandlungen in Heimen sind kostspielig. Die Heime können dies nicht aus ihren regu­lären Einnahmen finanzieren und sind deshalb auf Unterstützung durch die öffentliche Hand ange­wiesen.

Welche Massnahmen gehören zu einem schweizweiten Konzept?
Besuche in den Heimen sollten klar geregelt werden. Im Frühling war es angemessen, dass es Besuchsver­bote gegeben hat. Jetzt aber sollten wir verhindern, dass es erneut zu Besuchsverboten kommt. Auch die Massnahmen beim Auftreten einer Infektion sollten in den wichtigen Grundsätzen geregelt sein. Ob dann ein Heim Corona-Fälle selber behandelt oder mit einem Spital zusammenarbeitet, kann dann regional entschieden werden.

Sehen Sie in den Altersheimen bereits Verbesserungen?
Es gibt viele Heime, die sich bemühen und aktiv sind. Es fehlt aber eine breitere Koordination, da es keine klaren Vorgaben gibt. Somit ist nicht klar, ob die Heime bei einer nächsten Welle über ausreichend Schutzmaterial und geschultes Personal verfügen.

Welches Verhalten beobachten Sie bei den Besuchen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen eher auf Besuche im Heim verzichten, um Heimbewohner nicht zu gefährden. Ich beobachte auch Unsicherheiten. So ist beispielsweise nicht klar, ob ich einen pflegebedürftigen Angehörigen zum Spazieren am Arm nehmen darf oder nicht. Auf der anderen Seite sehe ich ältere Patienten, die aufgrund der Isolation durch Co­rona stärker leiden.

Konkret: Wie gefährdet sind die Senioren in Altersheimen?
Mit dem Coronavirus lauert eine grosse Gefahr. Es besteht aber auch
die grosse Gefahr, dass alte Menschen wegen Corona isoliert werden. Es braucht deshalb ein nationales Schutzkonzept, zusätzliche finanzielle Mittel für die Heime und die Solidarität aller Generationen mit den alten Menschen in den Heimen.

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