Was für ein Sommer! Auf den ersten Blick ist es wie ein Märchen: täglich in die Badi, Sonne satt, überall gebräunte Gesichter.
Auf den zweiten Blick offenbart sich, dass hier etwas nicht stimmt: ausgedörrte Felder, trockene Bachbetten, verdurstende Alpkühe, verendete Fische, schmelzende Gletscher und ständig neue Temperaturrekorde. Am Samstagnachmittag knackte die Aare in Bern den Rekordwert von 2003: 23,48 Grad!
Was ist da los?
Anruf bei Thomas Stocker (59). Der Forscher an der Universität Bern ist einer der renommiertesten Klimawissenschaftler überhaupt. Er leitete die Erstellung des letzten Berichts des Weltklimarats (IPCC), der wissenschaftlichen Grundlage des Abkommens von Paris 2015. Stocker ist sonst eher besonnen, abwägend.
Jetzt aber sagt er: «Wir haben eine ganz extreme Situation.» Dieser Sommer sei ein Vorbote dessen, was bald normal sein wird. «Er führt uns dramatisch vor Augen, was der Klimawandel für uns bedeutet.»
Zurzeit erlebt die Schweiz die trockenste April-Juli-Periode seit Beginn der Aufzeichnungen 1864. Nach dem Jahrtausendsommer von 2003 und den viel zu hohen Durchschnittstemperaturen 2011 und 2015 steht das Land damit schon wieder vor einer Extremsituation, wie sie eigentlich nur alle paar Jahrzehnte auftreten sollte.
Dabei sind wir bisher relativ glimpflich davongekommen. In Kalifornien, Lettland, Griechenland und selbst in der Arktis brannten die Wälder. In Nordamerika, Sibirien, Nordafrika und im Nahen Osten war es viel zu heiss. In Algerien stieg das Thermometer auf über 50 Grad.
Die Hitzewelle ist global, viele glauben: ein Zeichen des Klimawandels. Weltweit ist die durchschnittliche Temperatur im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten um ein Grad Celsius gestiegen, in der Schweiz sogar um fast zwei Grad.
«Die Klimaforschung sagt seit bald 20 Jahren, dass Hitzewellen und Trockenheit häufiger auftreten», so Klimaforscher Stocker. «Bereits geringe Temperaturveränderungen bewirken eine starke Zunahme von Extremereignissen – bis um das Zehnfache.»
Vor allem Ältere leiden
In diesen Tagen wird noch dem letzten Zweifler klar, was Stocker meint. Wasservorräte, Ernten, das Vieh der Bauern sind in Gefahr. Aber auch das Leben älterer Menschen, die besonders unter der Hitze leiden.
Schutz und Rettung Zürich verzeichnete in den vergangenen 14 Tagen eine Zunahme der Einsätze. Grund: die Hitze.
Leider, sagt Stocker, habe man bisher kaum diskutiert, wie sich der Klimawandel auf Wasser- und Gesundheitshaushalt auswirkt. Das Thema sei zwar in den Köpfen angekommen, aber nicht in den Bäuchen. Die Veränderung tat uns ja nicht weh. Bis jetzt.
Stocker wünscht sich, dass die Extremsituation dieses Sommers endlich ein Umdenken bewirkt – und ein anderes Handeln. «Ich hoffe, dass nun selbst die Kreise, die bisher sämtliche Klimavorlagen behinderten, zu der Erkenntnis kommen, dass sie absolut falsch lagen und von kurzfristigen Interessen getrieben handelten», sagt er.
Dass vor einem Jahr 62 Nationalräte vor allem aus den Reihen der SVP gegen die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens stimmten, hält Stocker für «verantwortungslos».
Die Zeit wird knapp, das in Paris vereinbarte Ziel von maximal zwei Grad Erwärmung zu erreichen, denn der weltweite Ausstoss von Treibhausgasen nimmt immer noch zu. Mit jedem Jahrzehnt erwärmt sich die Erde um ein weiteres halbes Grad.
Selbst wenn das Zwei-Grad-Ziel erreicht wird, verändert sich die Umwelt dramatisch. Für die Schweizer Gletscher ist es bereits zu spät.
Die Erde wird nicht mehr lebenswert
Und gemäss einer aktuellen Untersuchung wird die Zahl der Hitzetoten wegen des Klimawandels dramatisch zunehmen: Die Menschheit muss sich darauf einstellen, dass ihr Heimatplanet lebensfeindlicher wird.
Anruf bei Harald Welzer, einem deutschen Soziologen, der sich ausführlich mit den gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels auseinandergesetzt hat.
Er sagt: «Umweltveränderungen haben das Potenzial, Kriege auszulösen.» Das klingt seltsam, ist aber plausibel.
Die Hitze, wie wir sie momentan erleben, führt zwar nicht zu Kriegen in Mitteleuropa. Weil sich unsere Wirtschaft kaum noch auf Landwirtschaft stützt. Und weil unsere Staaten in der Lage sind, Probleme zu lösen. Durch Nothilfe für Bauern etwa. Weiter südlich auf der Erdkugel aber sieht es schon ganz anders aus.
Der Konflikt in Darfur, einer Region des Sudans, zeige dies beispielhaft. Dort, so Welzer, gebe es zwei Gruppen: Ackerbauern und Viehzüchter. Durch anhaltende Dürren schrumpfe das verfügbare Land, Bauern und Viehhalter gerieten in Konkurrenz – und der Staat ist nicht fähig, das Problem zu lösen. Im Gegenteil, der Konflikt wurde instrumentalisiert – und eskalierte.
Ein weiteres Beispiel sei der Krieg in Syrien, zu dessen Ursachen eine Dürre und daraus folgende Konflikte zählen, auch steigende Preise für Nahrungsmittel. Welzer: «Es scheint schlüssig, dass der Klimawandel ein Treiber für gewaltsame Konflikte ist.»
Einfluss auf die Migration
Denn wo es Gewalt gibt, gibt es auch Flüchtlinge. Und das könnte in letzter Konsequenz bedeuten, dass klimaschädliches Verhalten in der Schweiz einen Einfluss darauf hat, wie viele Flüchtlinge zu uns kommen.
Welzer geht sogar noch weiter. Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen wurden die Grenzen des Sagbaren immer weiter ausgedehnt. Noch vor einem Jahrzehnt sei es undenkbar gewesen, so feindselig über Migranten zu sprechen, wie es heute selbst von Politikern der Mitte getan wird.
Eine Grenzverschiebung, die dazu führen könne, dass Gesellschaften ihre Probleme mit immer radikaleren Strategien lösen. Auch durch Gewalt, auch in Mitteleuropa. Der Zusammenhang mit dem Klimawandel sei indirekt. «Aber», so Welzer, «wir müssen über diesen Zusammenhang sprechen.»
Der Soziologe weist zugleich darauf hin, dass wir den höchsten Lebensstandard in der Geschichte erreicht haben – und damit die grössten Handlungsmöglichkeiten, die Menschen jemals besassen: «Wir müssen nicht nachdenken, ob es hoffnungslos ist, sondern unsere Möglichkeiten endlich zum Besseren nutzen!»
Auch Klimaforscher Stocker bleibt Optimist. Es gebe heute viele Ansätze für Nachhaltigkeit. «Ich hoffe, dass sich diese Erkenntnisse rasch um den Globus verbreiten. So schnell wie das Smartphone.»