Die Krankenkassenprämien steigen ungebremst
Jetzt solls der schlaue Patient richten

Explodierende Kosten, unnötige Behandlungen: Kassen wollen aufmüpfigere Patienten.
Publiziert: 01.10.2017 um 17:55 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:15 Uhr
Foto: Igor Kravarik
Fabian Blumer

Und wieder vier Prozent mehr! Die Krankenkassenprämien steigen und steigen, so die Hiobsbotschaft von Gesundheitsminister Alain Berset (45) vom Donnerstag. Sie entlarvt alle Kostensenkungsmassnahmen einmal mehr als praktisch wirkungslos.

Dabei wäre noch gehörig Luft im System: Der Bundesrat sagt in ­seinem Bericht «Gesundheit 2020», dass nicht weniger als 20 Prozent der Kosten im Gesundheitssystem eingespart werden könnten. Ohne Abstriche bei der Qualität – im ­Gegenteil: Viele Operationen und Medikamente, so argumentieren die Ärzte-Initiative «Smarter Medicine» und zahlreiche Studien, schaden der Gesundheit der Patienten, statt sie zu verbessern.

Der Apothekerverband Pharmasuisse beklagt zudem, dass eine Million chronisch Kranker in der Schweiz ihre Medikamente nicht oder nicht richtig einnehmen.

«Die Patienten instruieren»

Es wird also Zeit, dass Patienten die Sache in die eigenen Hände nehmen. Diesen Ansatz verfolgt die US-amerikanische Initiative «Choosing Wisely» (klug entscheiden).

Santésuisse, der Verband der Schweizer Krankenkassen, will die Idee nun in der Schweiz verbreiten und hat dafür die Online-Informationsplattform thema-krankenversicherung.ch lanciert. Sandra Kobelt von Santésuisse betont, dabei gehe es nicht um die Kosten: «Wir wollen die Patienten instruieren und damit das Image der Versicherer verbessern.»

Das rät die Patientenorganisation SPO

Vor dem Arztgespräch

• Informieren Sie sich auf seriösen Gesundheitsseiten im Internet.

• Schreiben Sie Ihre Fragen auf.

• Fragen Sie, wie viel Zeit eingeplant ist. Falls sie nicht genügt, machen Sie einen neuen Termin.

Während des Arztgesprächs

• Lassen Sie sich von einer Vertrauensperson begleiten.

• Bestehen Sie im Zweifelsfall auf dem Einholen einer Zweitmeinung.

• Lassen Sie sich nicht zu einer sofortigen Entscheidung drängen.

Mehr Informationen im SPO-Buch «Der Patientenkompass»

Bestehen Sie im Zweifelsfall auf dem Einholen einer Zweitmeinung.
Bestehen Sie im Zweifelsfall auf dem Einholen einer Zweitmeinung.
CHRISTIAN BEUTLER

Vor dem Arztgespräch

• Informieren Sie sich auf seriösen Gesundheitsseiten im Internet.

• Schreiben Sie Ihre Fragen auf.

• Fragen Sie, wie viel Zeit eingeplant ist. Falls sie nicht genügt, machen Sie einen neuen Termin.

Während des Arztgesprächs

• Lassen Sie sich von einer Vertrauensperson begleiten.

• Bestehen Sie im Zweifelsfall auf dem Einholen einer Zweitmeinung.

• Lassen Sie sich nicht zu einer sofortigen Entscheidung drängen.

Mehr Informationen im SPO-Buch «Der Patientenkompass»

Barbara Züst, Geschäftsführerin der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz, begrüsst diesen Schritt: «Konsultationen finden oft unter Stress statt.» Bei der SPO hätten sich Patientinnen gemeldet, die zum Arzt gegangen waren, um sich über Krampfadern zu informieren – und gleich mit einem Operationstermin wieder herauskamen.

Viele Arthroskopien sind überflüssig

Züst fordert deshalb, dass Ärzte für Beratungen gesondert entschädigt werden, denn: «Orthopäden kostet es regelmässig mehr Zeit, dem Patienten einen Eingriff wie eine Meniskus-Arthroskopie auszureden, als ihn vorzunehmen.»

Mittlerweile gilt als erwiesen, dass viele Arthroskopien überflüssig sind. Die Initiative «Smarter Medi­cine» wurde vor drei Jahren von der Gesellschaft für Innere Medizin lanciert, mit dem Ziel, Ärzte von der Durchführung unnötiger und schädlicher Behandlungen abzuhalten. Die Kampagne läuft harzig – Ärzte-Fachverbände klagen, die Erstellung schwarzer Listen für derartige Therapien sei aufwendig.

Nun setzt auch «Smarter Medicine» auf den Patienten: Gemeinsam mit Konsumenten- und Patientenorganisationen ist eine Kampagne für nächsten Sommer geplant. Klar ist: Wer sich informiert, ob eine Behandlung wirklich sinnvoll ist, tut seiner Gesundheit etwas Gutes – und leistet einen Beitrag dazu, dass die nächste Hiobsbotschaft des Gesundheitsministers vielleicht etwas milder ausfällt.

Medikamente für den Müll

Während die Prämien munter steigen, werden in der Schweiz Jahr für Jahr Medikamente im Wert von einer halben Milliarde Franken weggeworfen. Das Bundesamt für Umwelt schätzt, dass 30 Prozent aller Arzneimittel unbenutzt im Müll landen. Es ist anzunehmen, dass ein grosser Teil kassenpflichtig ist – solche Präparate machen 80 Prozent des Marktes aus.

Ein unterschätztes Thema

Doch Politik und Medien nehmen dies kaum zur Kenntnis. Auf Anfrage heisst es dazu beim Bundesamt für Gesundheit nur: «Es ist ein unterschätztes Thema.» Wohl auch von Seiten des BAG selbst.

CVP-Nationalrätin Viola Amherd (VS) hatte den Bund 2014 per Vorstoss beauftragt, den Umfang des Phänomens abzuklären. Inzwischen ist eine Studie in Arbeit, die aufzeigen soll, was in der Schweiz gegen die Medika­­­mentenverschwendung getan wird. Ihre Veröffentlichung ist frühestens im Sommer 2018 zu erwarten.

Arzneimittel in Apotheken in Einzeldosen

Amherd ist dieses Tempo zu gemächlich: «Wenn ich nur da­ran denke, wie viele Medikamente bis dahin den Bach hinuntergespült sein werden ...!» Sie fordert, dass Arzneimittel auch in Apotheken in Einzeldosen abgegeben werden.

Barbara Züst von der Stiftung SPO Pa­tientenschutz will, dass Ärzte nicht mehr an der Medikamentenabgabe mitverdienen dürfen. Der Ärzteverband FMH hingegen lehnt dies ab und argumentiert, die Medikamentenabgabe durch Ärzte würde zu einer Kostenreduktion führen.

Bleibt zu hoffen, dass das BAG bis nächsten Sommer einen Plan hat, wie der Abfallberg von Medikamenten reduziert werden kann.

Während die Prämien munter steigen, werden in der Schweiz Jahr für Jahr Medikamente im Wert von einer halben Milliarde Franken weggeworfen. Das Bundesamt für Umwelt schätzt, dass 30 Prozent aller Arzneimittel unbenutzt im Müll landen. Es ist anzunehmen, dass ein grosser Teil kassenpflichtig ist – solche Präparate machen 80 Prozent des Marktes aus.

Ein unterschätztes Thema

Doch Politik und Medien nehmen dies kaum zur Kenntnis. Auf Anfrage heisst es dazu beim Bundesamt für Gesundheit nur: «Es ist ein unterschätztes Thema.» Wohl auch von Seiten des BAG selbst.

CVP-Nationalrätin Viola Amherd (VS) hatte den Bund 2014 per Vorstoss beauftragt, den Umfang des Phänomens abzuklären. Inzwischen ist eine Studie in Arbeit, die aufzeigen soll, was in der Schweiz gegen die Medika­­­mentenverschwendung getan wird. Ihre Veröffentlichung ist frühestens im Sommer 2018 zu erwarten.

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Bleibt zu hoffen, dass das BAG bis nächsten Sommer einen Plan hat, wie der Abfallberg von Medikamenten reduziert werden kann.

Das beliebteste Quiz der Schweiz ist zurück.
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