Seit die Migros den sogenannten Mohrenkopf kurzerhand aus dem Sortiment warf, ist die Diskussion neu entfacht. Klar ist: Der umstrittene Name des Süssgebäcks ist eng mit der Geschichte des Kolonialismus verwoben. Wenn man einen Mohrenkopf verzehrt, wird Afrika «symbolisch verspeist», erklärt der Historiker Bernhard Schär pointiert. Wer sich Werbefotos und Inserate aus den 1960er-Jahren anschaut, kann schwer zu einem anderen Schluss kommen. Das besagte Produkt steht in einer unmissverständlichen Beziehung zu dunkelhäutigen Menschen afrikanischer Herkunft.
Aber ist das Wort «Mohr» per se mit europäischen Überlegenheitsvorstellungen und kolonialen Fantasien verbunden? Diese Frage sei «etwas komplizierter», mahnt Martin Ebel. Und damit hat der Literaturchef des «Tages-Anzeigers» nicht ganz unrecht. Vor allem, wenn man bis ins Mittelalter zurückblickt.
Santiago Matamoros gilt als Maurentöter
Schon zu dieser Zeit wurde «Mohr» im christlichen Europa als Kampfbegriff verwendet. Insbesondere im jahrhundertelangen Kampf gegen die Muslime auf der Iberischen Halbinsel, die «moros» (was man sowohl mit «Mohren» wie «Mauren» übersetzen kann). Santiago Matamoros – der Apostel Jakobus dargestellt als Maurentöter – wurde zum Leitbild dieses «heiligen Krieges». Eine Statue des «Mohrenmörders» steht bis heute in der Kathedrale von Santiago de Compostela, dem Ziel des berühmten Jakobswegs. Sie sollte 2004 entfernt werden, wurde schliesslich aber stehen gelassen. Hoch zu Ross und mit erhobenem Schwert thront der mittelalterliche «Held» in der Seitenkapelle – die gequälten Blicke seiner Opfer unter ihm hat man kurzerhand mit Blumen verhüllt. Aus Santiago Matamoros wurde Santiago Mataflores.
Aber es gibt auch andere Beispiele. Das vielleicht faszinierendste ist die Figur des heiligen Mauritius. Dem Mythos nach starb der Feldherr aus Ägypten im Dienste des Römischen Reiches den Märtyrertod – und zwar im heutigen Wallis. Als Mitglied der legendären Thebäischen Legion wurde er bereits in der Spätantike als Heiliger verehrt. Das wirklich Erstaunliche geschah jedoch 700 Jahre später: Mit Mauritius wurde erstmals eine Pop-Ikone des Christentums mit dunkler Hautfarbe und dezidiert afrikanischen Gesichtszügen porträtiert.
Die Gemeinden mit dem Mohr im Wappen
Das Bild des «heiligen schwarzen Mohren» nahm seinen Anfang um das Jahr 1250 mit einer Sandstein-Skulptur in Magdeburg. In den folgenden Jahrhunderten breitete es sich bis nach Skandinavien, Polen, Tschechien und Österreich aus. Heute wird diese Darstellungstradition von Mauritius oft als Gegenentwurf zu späteren rassistischen Vorstellungen von Afrika verstanden. Gemeinden in der Schweiz wie in Deutschland sind erpicht darauf, dass der Mohr in ihrem Wappen ganz genau dieser heilige Ritter sei. Der Verweis auf Mauritius, so scheint es, ist ein schlagendes Argument gegen jegliche Diskriminierungsvorwürfe.
Aber war die mittelalterliche Vorstellung vom «schwarzen Mauritius» tatsächlich so positiv, wie wir meinen? Dieser Frage ist die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Geraldine Heng nachgegangen. In ihrem Buch «The Invention of Race in the European Middle Ages» (2018) zeigt sie auf, dass die Darstellungstradition des heiligen Mauritius mit schwarzer Hautfarbe ganz bestimmte theologische und politische Funktionen hatte. Damit wurde sowohl an das frühe Christentum der Kirchenväter in Afrika erinnert wie auch an die Grösse des Römischen Reiches, das einst den gesamten Mittelmeerraum umschloss. Der «heilige Mohr» wurde damit zum Symbol für ein christlich-imperiales Projekt, das an die glorreiche Vergangenheit anschliessen sollte. Indem man den afrikanischen Mauritius nach Magdeburg holte, wurde eine neue Vision des Heiligen Römischen Reiches in Stein gemeisselt: die Idee eines Imperiums, das bis in die entlegensten und dunkelsten Ecken der Erde reichen sollte, animiert vom ewigen Heilsversprechen.
Es war nie ein neutrales, unpolitisches Symbol
Wenn wir heute auf den «schwarzen Mohren» aus dem Mittelalter verweisen, sollten wir deshalb immer bedenken: Der heilige Mauritius mit dunkler Haut war nie ein «neutrales», unpolitisches Symbol – auch damals nicht. Und wenn man heutige Figuren wie den «Mandacher Mohren» oder das Abzeichen der Berner Mohrenzunft genauer anschaut, wird auch klar: Hier sehen wir weder einen römischen Ritter noch einen heiligen Märtyrer. Das ist nicht der mittelalterliche Mauritius, sondern ein stereotypisierter, namenloser Afrikaner mit vollen roten Lippen und wertvollem Schmuck. Genau so stellte man sich den «exotischen Mohren» zur Zeit des Kolonialismus vor.
Übrigens: Diskussionen zum althergebrachten Namen des Schaumkusses müssen wir hoffentlich bald keine mehr führen. Denn dieser steht seines Zeichens in der Tradition des spanischen Schlächters Santiago, der den «Mohren» den Kopf abhaute. Und ab 1892 wurde der Begriff schliesslich auf das besagte Dessert übertragen – im selben Jahr stellte man im Basler Zolli Menschen aus dem Sudan als folkloristische Ausstellungsobjekte zur Schau.
Daniel Allemann (32) arbeitet am Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern.
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