Der grosse Schlaf-Report
Ein Viertel der Schweizer leidet jede Nacht

Haben Sie heute durchgeschlafen? Wahrscheinlich nicht. Denn ein Viertel der Bevölkerung leidet an Schlafstörungen. Auf der anderen Seite brüsten sich Leistungsträger damit, dass sie kaum schlafen. Gut zu schlafen, ist für viele ein Traum.
Publiziert: 23.07.2018 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:42 Uhr
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«Normalbürger brauchen sieben bis siebeneinhalb Stunden Schlaf», erklärt die Expertin. Zu wenig Schlaf ist schädlich. (Symbolbild)
Foto: Caiaimage/Paul Bradbury
Christiane Binder

Auch der emsige Schweizer muss mal schlafen. Doch das gelingt ihm schlecht. Ein Viertel der Bevölkerung hat laut dem Bundesamt für Statistik ein gravierendes Schlafproblem, das schlimmstenfalls zu Burn-out und Depressionen führt. Nur mickrige fünf Prozent der Bevölkerung legen sich sorglos ins Bett und schlafen selig den Schlaf des Gerechten. 

Für die meisten Schweizer ist die Nacht ein Albtraum. Mal geistern sie bei Vollmond durch ihre Wohnungen, mal treibt es sie morgens um fünf Uhr aus den Federn. Sie leiden an nächtlichem Atemstillstand, strampeln stundenlang im Bett unter der Decke herum und wachen morgens wie zerschlagen auf. Der Schlaf kann sogar die Liebe zerstören. Ein allnächtlich sägender Partner erstickt jedes zarte Gefühl. Tun sich Nachteule und Lerche zusammen, ist Dauerärger wegen der Freitzeitgestaltung programmiert.

Nach drei Stunden Schlaf putzmunter im Büro

Doch während die Mehrheit jede Nacht verzweifelt Schäfchen zählt, ist bei der Minderheit der Kurzschläfer Schlaflosigkeit geradezu erwünscht. Vor allem Leistungsträger, praktisch nie Büezer, brüsten sich damit, nach ein paar Stündchen Nachtschlaf um sieben Uhr putzmunter im Büro zu sitzen. «Heutzutage gewinnt man Anerkennung, wenn man nur vier bis fünf Stunden schläft«, sagt Deborah Fischer (27), Psychologin an der Klinik für Schlafmedizin (KSM) in Bad Zurzach AG.  Zu den stolzgeschwellten Supermunteren gehören der amerikanische Businessmagnat Elon Musk (47) wie der Schweizer Topwerber Frank Bodin (56), und auch Christoph Blocher (77) macht gern die Nacht zum Tage. 

Aber brauchen die tatsächlich so wenig Schlaf? Sind alle anderen Schlafmützen? Wie viel Schlaf braucht der Mensch überhaupt? Das ist so schwer zu beantworten wie die Frage, was gegen Schlaflosigkeit hilft. Denn Frauen schlafen anders als Männer, es kommt darauf an, wie viele Biere einer am Abend trinkt, ob er er Schichtarbeiter ist oder Diabetiker, ob Teenager oder Greis. Ganz abgesehen vom individuellen Nervenkostüm. 

Jeder Mensch schläft anders

Schlafforscher beschäftigen sich intensiv mit den Problemen, doch ihre Antworten sind für den Einzelnen selten befriedigend. Gut, man soll vor dem Zubettgehen keine aufregenden Baller-Games spielen und keine riesigen Mahlzeiten verdrücken, das hat einem schon die Oma ans Herz gelegt. Aber jeder Mensch schläft anders. Jeder leidet für sich allein. Generelle Übereinkunft herrscht nur in wenigen Punkten. «Normalbürger brauchen sieben bis siebeneinhalb Stunden Schlaf», erklärt Deborah Fischer vom KSM. Weitere Gemeinplätze: Alte Leute schlafen schlechter als junge. Und zu wenig Schlaf ist schädlich.

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Immer wieder wird auch behauptet, unsere moderne Lebensweise sei es, die uns die Ruhe raube. Da ist möglicherweise was dran. Ein Team von der University of California in Los Angeles (USA) untersuchte das Schlafverhalten von (allerdings nur) 94 Vertretern der Buschleute in der Kalahari, der Hadza in der Serengeti und der Tsimane in den Anden – alles Jäger und Sammler. Sie kennen weder elektrisches Licht, noch kleben sie stundenlang am Laptop, und sie haben auch keine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, nächtens darüber zu grübeln, wie der Chef morgen wohl drauf ist. Ergebnis: Die Naturmenschen schlummern im Schnitt 6,5 Stunden pro Nacht. Dabei gehen sie keineswegs mit den Hühnern ins Bett. Sie bleiben nach Einbruch der Dunkelheit noch drei Stunden wach. Morgens springen sie kurz vor Sonnenaufgang vom Lager. Kaum einen Naturmenschen erwischten die Forscher tagsüber beim Powernap.

200'000 Schweizer schlucken Schlafpillen

6,5 Stunden Nachtschlaf – das klingt nicht besonders exotisch. Der Studie zufolge besteht trotzdem ein fundamentaler Unterschied zwischen den Jägern und Sammlern und uns: Diese Leute kennen keine Schlaflosigkeit. Ja, sie haben nicht einmal eine Bezeichnung dafür. In der Schweiz dagegen schlucken 200'000 Menschen regelmässig Schlafpillen. Acht Prozent der Bevölkerung hat in einer Untersuchung des Bundesamts für Statistik in der Woche vor der Befragung schlaffördernde Medikamente genommen.

Setzen wir uns also doch zu sehr unter Druck? In unserer durchgetakteten Welt hat der Mensch schliesslich was zu leisten. Das Wort Schlaf ist eng verwandt mit dem Wort schlaff, und ein Schlaffi ist ein unnützer Fresser und verplempert wertvolle Zeit. Nur Kinder und alte Leute dürfen es wagen, dem Herrgott schlafend den Tag zu stehlen. Penner und Schnarchsäcke bitte draussen bleiben!

Wie es sein sollte.
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Wider besseres Wissen: Fortgesetzter Schlafmangel ist für den Normalmenschen ungesund – da ist sich sogar die Schlafforschung einig. «Zu wenig Schlaf erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wirkt sich aber auch negativ auf die Psyche aus. Wer zu wenig schläft, ist nervlich nicht konzentriert», erklärt Deborah Fischer. Die Wirkung von Schlafentzug auf die Reaktionsfähigkeit sei mit der von Alkohol zu vergleichen. Immerhin: Man darf nicht vergessen, dass Schlafentzug auch eine Foltermethode ist.

Das schadet natürlich der Wirtschaft. Studien gehen davon aus, dass die indirekten Kosten durch unausgeruhte, fahrige Arbeitnehmer in Büro und Fabrik in der Schweiz jährlich um die 1,5 Milliarden Franken betragen.

Wenn dagegen nichts unternommen wird – dann gute Nacht.

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