Punkt elf Uhr schlug Nationalratspräsidentin Marina Carobbio Guscetti mit dem Hammer aufs Pult und unterbrach die Sitzung. Politikerinnen und Politiker, darunter auch viele Bürgerliche wie CVP-Bundesrätin Viola Amherd, traten durchs Bundeshausportal auf den Bundesplatz. Wo sich sogleich ein Riesenlärm von Tausenden Rasseln, Rätschen, Hörnern, Pfannendeckeln und Trillerpfeifen erhob.
Und da war es um die Beherrschung von Nationalrätin Jacqueline Badran geschehen: Die stets so unsentimental wirkende Sozialdemokratin wischte sich Tränen aus den Augen. Ergriffen von diesem Moment der Solidarität, Entschlossenheit und doch Zuversicht.
Es war also wieder so weit: Genau 28 Jahre nach dem letzten Mal, am 14. Juni 1991, gingen gestern die Frauen der Schweiz auf die Strasse. Hunderttausende Frauen, aber auch Männer nahmen sich frei oder legten die Arbeit nieder und fanden sich zusammen zu Happenings in fast allen Städten und grösseren Gemeinden. Das ging von der 40'000-Personen-Demo in Bern bis zum 500-köpfigen Sit-in auf dem Aarauer Schlossplatz. Frauen gaben den Ton an, Männer brieten ihnen Streikburger (in Bern) oder kochten ihnen Streiksuppe (in Brugg AG).
Es war ein Tag ganz im Zeichen der Farbe Violett. Hemden, T-Shirts, Mützen und Kopftücher in elegantem Lila auf den Strassen von Basel, Chur, Lausanne, Thun BE, St. Gallen, Genf oder Zürich. Kleine Kartonplakate und riesige Stofftransparente, Fähnchen und Ballons. Wer gestern durch Schweizer Innenstädte ging, traf auf weisse Slogans auf violettem Grund und immer wieder das Venussymbol.
Die Themen waren ernst, die Forderungen klar: Endlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit, griffige Gesetze gegen Gewalt, Kündigungsschutz für Schwangere, mehr Chefinnen, bezahlbare Kita-Plätze und endlich Vaterschaftsurlaub! Auch BLICK stellte sich hinter diese Forderungen und titelte gestern: «Nie wieder Frauenstreik!» Denn eigentlich sind all diese Reformen längst überfällig.
Und doch wurde dieser Freitag ein schöner Tag, nicht nur weil die Sonne schien. Die Frauen feierten ihr neues Selbstbewusstsein. Denn seit 1991 übernimmt inzwischen bereits die zweite neue Generation die Forderungen ihrer Mütter. Und die Geduld ist erschöpft: «Gleichstellung – Neuinszenierung einer Tragödie auf der Bühne des Lebens», stand etwa auf einem Transparent in Luzern. Und manchmal wechselte das Violett auch in ein zorniges Rot. Wenn etwa in Bern für die Aufhebung der «Tampon-Steuer», sprich: für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Hygieneartikel für Damen, demonstriert wurde. Oder das Wasser eines Brunnens rot gefärbt wurde – als Protest gegen Gewalt an Frauen.
Nein, das war nicht nur ein Tag in Minne. In Zürich, wo 70'000 Personen auf der Strasse waren, endete er in einem rockigen Fest. Auf dem Sechseläutenplatz schmetterten die legendären russischen Pussy Riot ihre feministische Botschaft in den Sommerhimmel. Denn der Frauenstreik ist vorbei – der Kampf für Gleichberechtigung aber noch lange nicht.
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