In der Nähe des Berner Lorrainebads entzückt er Spaziergänger. Im Oberaargau hat ein Lehrer während des Lockdowns eine Video-Dokumentation über ihn gedreht. Im Zürcher Leutschenbach lebt eine ganze Familie zwischen Industrie- und Bürogebäuden. Und in Schaffhausen rückte die Polizei aus, um ein in der Stadt verirrtes Tier zurück zum Fluss zu geleiten: Plötzlich scheint der Biber überall zu sein.
Pünktlich zu all diesen Beobachtungen ist ab Juni das Sachbuch «Der Biber – Baumeister mit Biss» erhältlich. Co-Autor ist der Leiter der Schweizerischen Biberfachstelle, Christof Angst (50). Dass Mensch und Biber häufiger aufeinandertreffen, sei nicht überraschend, sagt der Autor.
Bieber sind Anarchisten
Seit ihrer Wiederansiedlung in den 50er-Jahren ist die Population auf heute über 3500 Tiere angewachsen. «Kein Wunder, dass sich der eine oder andere auch in städtischem Raum niederlässt», folgert Angst. Biber machen sowieso, was sie wollen: «Sie sind richtige Anarchisten!»
Angst beobachtet die Tiere seit Jahren und weiss viel zu erzählen. Zum Beispiel, dass Biber ihre Familienmitglieder vor Gefahr warnen, indem sie mit ihrem Schwanz, auch Kelle genannt, aufs Wasser schlagen. Oder dass sie wahre Architekten und Landschaftsgärtner sind.
«Biber schaffen Lebensräume», erklärt Angst. «Sie bauen Dämme und fluten so ganze Gebiete.» Im zürcherischen Marthalen haben sie fünf Hektar Wald unter Wasser gesetzt – mehr als vier Fussballfelder. So bilden sich stehende Gewässer, in denen Frösche und Fische Verstecke finden. Und wenn Biber Bäume fällen, lichten sie den Wald; wärmeliebende Gewächse profitieren davon, das Totholz lockt Insekten und diese dann Vögel an: «Die Biodiversität explodiert förmlich, sobald ein Biber sich an einer Stelle niederlässt.»
Gemeinde zeigt sich grosszügig
Zwar sorgte der Biber in Marthalen für einen finanziellen Schaden. Doch die Gemeinde zeigte sich grosszügig und erklärte die neu entstandene Aue zum geschützten Reservat. Den Nutzen haben heute nicht nur die Biber, sondern viele andere Arten.
Sogar der Landwirtschaft können Biber nützen. Experte Angst: «Weil die Tiere oft grosse Wassermengen in der Landschaft zurückhalten, verzeichnen Bauern, die Biber in der Nähe ihres Hofs haben, während einer Trockenheit oft weniger Schäden an ihren Kulturen.» Die Nager helfen zudem beim Abbau von Stickstoff – von dem durch die intensive Landwirtschaft zu viel in die Natur gelangt. Biberteiche funktionieren wie Kläranlagen: Bis zu 30 Prozent des Stickstoffs, der in Biberreviere gelangt, werden darin abgebaut.
Nicht alle freuen sich aber über die Anwesenheit des Bibers – sie können ganze Uferabschnitte kahl zurücklassen. Doch dass es entlang der Flüsse teilweise kaum mehr Stämme gibt, ist nicht die Schuld der Tiere. Christof Angst: «Sie stürzen vielleicht die letzten Bäume. Aber es war der Mensch, der zuvor Zehntausende gefällt und nur eine Zeile am Ufer zurückgelassen hat.» Bäume liessen sich zudem leicht mit Drahthosen schützen.
Distanz wahren
Zurück zum Stadtberner Biber. Dass er sich von Spaziergängern nicht stören lässt, ist normal. «Biber, die in urbanem Gebiet leben, sind sich Menschen gewöhnt», weiss Angst. Trotzdem sollte man Distanz wahren. Denn wie bei allen Wildtieren kann man für nichts garantieren, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen.
Drei Zwischenfälle mit Menschen sind in der Schweiz bis heute dokumentiert. Alle haben sich im Wasser abgespielt – und immer hat der Biber nur zugeschnappt,weil er erschrocken war. Greifen Biber ernsthaft an und beissen zu, kommt es zu wüsten Fleischwunden. Das weiss man von Vorfällen mit Hunden, die sich zu nahe an die Nager heranwagten. Darum gilt: Hunde an die Leine nehmen, vor allem wenn zwischen Mai und Juli junge Biber in der Nähe vermutet werden.
Fürchten muss den Biber aber niemand. Was tun, wenn man einem beim Schwimmen begegnet? Christof Angst rät: «Dann einfach nicht auf ihn zuschwimmen, sondern auf sich aufmerksam machen.» Dafür müsse man nicht mal aufs Wasser schlagen, sondern nur mit dem Tier reden. «Sagen Sie ihm: ‹Hallo Biber, ich bin jetzt da.› Und geniessen Sie die Beobachtung, denn das ist ein Erlebnis!»