Das Geschäft mit der Leihmutterschaft in Corona-Zeiten
Bestellt und nicht abgeholt

Leihmutterschaft-Agenturen versprechen jedem, der bezahlt, ein gesundes Kind. Auch Single-Männern. Aktuell können bestellte Babys in der Ukraine wegen der geschlossenen Grenzen nicht abgeholt werden. Manche Wunschkinder wurden auch zuvor nie abgeholt.
Publiziert: 23.05.2020 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2020 um 10:38 Uhr
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51 Babys der ukrainischen Leihmutterschafts-Agentur BioTexCom in einem Hotel in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Foto: Biotextcom
Aline Wüst

Es gibt schöne Leihmutterschafts-Geschichten. Zum Beispiel die von Ron und seinem Partner. Das Zürcher Paar hatte einen Kinderwunsch. Erfüllte ihn sich mit einer amerikanischen Leihmutter, die Anerkennung der Zwillinge in der Schweiz war problemlos. Beinahe täglich hat die Familie Kontakt zur Amerikanerin. Sie treffen sich regelmässig. Sechs Jahre alt sind die Kinder nun. Die Familie ist glücklich. Das ist kein Einzelfall. Es gibt viele Paare, die unendlich dankbar sind, dank Leihmutter eine Familie zu sein.

Und es gibt andere Leihmutterschafts-Geschichten. Zum Beispiel die von Sofia und Manuel. Zwei Babys, die in der Ukraine während der Pandemie zur Welt kamen. Ein ­Video der Leihmutterschafts-Agentur BioTexCom zeigt neben Sofia und Manuel noch 49 andere Babys, Bettchen an Bettchen in einem Hotel in Kiew liegend. Bestellt, aber nicht abgeholt. Da ihre Eltern wegen der geschlossenen Grenzen nicht einreisen können.

Oder die Geschichte von Gammy in Thailand. Seine Eltern holten nach der Geburt nur seine gesunde Zwillingsschwester. Gammy, der ein Down-Syndrom hat, liessen sie zurück. Oder Bridget. Von einer ukrainischen Leihmutter geboren ­­– zu früh und behindert. Ihre Eltern nahmen sie nicht mit in die USA. «Wir mögen dieses Kind nicht, wir wollten, dass es schon bei der Geburt ein Hollywood-Lächeln hat», soll Bridgets Vater gesagt haben.

Bis zu 1000 Leihmütter-Kinder in der Schweiz

Die Anthropologin Veronika Siegl von der Universität Bern hat in Russland und in der Ukraine über Leihmutterschaft geforscht. Sie sagt: «Das sind Einzelfälle. Und doch glaube ich, dass Einzelfälle ­etwas über das System an sich aussagen.»

Leihmutterschaft bedeutet, ein Kind von einer fremden Frau gegen Bezahlung austragen zu lassen. Dabei können Eizelle und Sperma von den Wunscheltern kommen. Meist ist die Eizelle aber von einer dritten Frau. Die Leihmutter also nicht genetisch verwandt mit dem Baby. Eizelle und Sperma werden im Reagenzglas zusammengebracht. Die Embryonen danach der Leihmutter eingepflanzt. Nach der Geburt wird das Kind den Wunscheltern übergeben.

Leihmutterschaft ist in der Schweiz verboten. Gemacht wird es trotzdem. Im Ausland. Häufig in den USA. In Kalifornien ist Leihmutterschaft erlaubt. Kostenpunkt: rund 100 000 Franken. Günstiger ist es in der Ukraine, wo Leihmutterschaft ebenfalls legal ist, die Kosten aber nur halb so hoch sind.

Expertinnen gehen von 500 bis 1000 Kindern in der Schweiz aus, die im Ausland mithilfe einer Leihmutter zur Welt kamen. Eine na- tionale Statistik gibt es nicht. Die kantonalen Behörden bemerken nicht alle Fälle. Bei heterosexuellen Paaren fällt es im Gegensatz zu homosexuellen auch kaum auf. Und es gibt Kliniken, die den auftraggebenden Müttern Gummibäuche in verschiedenen Grössen anbieten.

Der Kanton Zürich erfasst Leihmutterschafts-Fälle. Die interne Statistik, die dem SonntagsBlick Magazin vorliegt, zeigt: 2017 waren es zehn Kinder, davon drei Zwillingspaare, 2018 deren fünf. 2019 entstanden wiederum zehn Babys durch Leihmutterschaften im Ausland, davon zwei Zwillingspaare. Die Eltern sind in zwei Fällen gleichgeschlechtlich, vier sind Ehepaare. Die Kinder wurden in den USA, in Georgien, Indien, dem Iran und der Ukraine geboren. Erstmals in der Zürcher Statistik 2019 aufgeführt sind auch eine Single-Frau mit einem Baby aus den USA und ein Single-Mann, der sein Kind in Kanada austragen liess.

Unter den Kindern, die in einem Hotel in der ukrainischen Hauptstadt auf ihre Eltern warten, sind laut Maria Holumbovska von BioTexCom keine Schweizer. Obwohl sie viele Schweizer Kunden hätten. Einige Babys von Schweizer Paaren würden erwartet. Deren Leihmütter sind allerdings noch nicht hochschwanger.

Leihmütter werden von den Agenturen unsichtbar gemacht

Agenturen wie BioTexCom werben weltweit um Kunden. Dass die Schweiz für Leihmutterschafts-Agenturen ein potenzieller Markt ist, zeigt auch, dass im Oktober in Zürich ein Kinderwunsch-Info-Tag stattfindet. Agenturen aus aller Welt werden nach Zürich reisen, um Wunscheltern für eine Leihmutterschaft zu gewinnen.

Die Berner Anthropologin Veronika Siegl glaubt darum auch nicht, dass sich BioTexCom mit dem Video, das vergangene Woche Schlagzeilen rund um den Globus machte, an die Eltern der wartenden ­Babys wendet. Auch wenn die Agentur ihnen im Video versichert, dass sie sich nicht sorgen müssen und die Babys in guten Händen ­seien. «Um das zu kommunizieren, gäbe es andere Kanäle.» Vielmehr passe dieses Video in die Werbestrategie der Leihmutterschafts-Agentur. Absichtlich spiele BioTexCom mit dem Image der Baby­fabrik und richte sich dabei klar an künftige Wunscheltern. Die potenziellen Kunden, so Siegl, sollen das Gefühl haben: Aha, bei BioTexCom werden Babys am Fliessband produziert. Und zwar für alle, die wollen. Bei BioTexCom bekommt man, was man sich schon so lange so sehnlichst wünscht. Dass die Leihmütter im Video weder zu sehen sind noch erwähnt werden, ist für Siegl keine Überraschung: «Leihmütter werden von den Agenturen immer wieder unsichtbar und damit zu austauschbaren Nebenfiguren gemacht.»

Bei der kleinen Bridget, die wegen ihrer Behinderung von ihren Wunscheltern in der Ukraine zurückgelassen wurde, deckte die australische Journalistin Samantha Hawley 2019 auf: Bridgets Leihmutter ist eine Frau, die mit Mann und Kind vor dem Krieg in Donezk geflohen ist.
Hawley sprach noch mit einer anderen BioTexCom-Leihmutter. Auch sie floh mit Mann und Kind vor dem Konflikt. Aus finanzieller Not entschied sie sich für eine Leihmutterschaft. Für ein spanisches Paar wurden ihr Embryonen eingepflanzt. Wegen Blutungen im fünften Monat war ein Kaiserschnitt ­nötig. Die Babys starben. Die Leihmutter bekam 200 Dollar. Aus Verzweiflung tat sie es wieder. Drei Embryonen wurden eingesetzt, zwei abgetrieben – obwohl die auftraggebenden Eltern nur ein Kind wünschten. Wieder Blutungen, wieder ein Kaiserschnitt. Diesmal im siebten Monat. Erst eine Woche später teilte ihr BioTexCom mit, was mit dem Kind ist – «es hatte Probleme». Die Ukrainerin sagt, dass Leihmütter von Biotexcom nicht wie Menschen, sondern wie Brutkästen behandelt würden.

Vielleicht ist auch diese Geschichte ein Einzelfall. Anthropologin Veronika Siegl sagt: «Leihmütter in der Ukraine und in Russland sind Frauen, die wesentlich weniger Optionen haben als andere Frauen und sich ökonomisch in einer prekären Situation befinden.» Viele seien alleinerziehende Mütter, deren Männer verschwunden sind. Es gebe aber auch viele ­Frauen, die eine gute Ausbildung hätten, wegen der wirtschaftlichen Situation aber keine Stelle fänden.

Meist kommen Leihmütter aus kleineren Städten oder ländlichen Regionen und wollen sich mit dem Geld eine Wohnung kaufen oder sparen für ein Haus, so Siegl.
Den grossen Teil des Geldes bekommen die Leihmütter nach der Geburt. In vielen Verträgen stehe explizit: Nach der Geburt eines gesunden Kindes. Wird bei pränatalen Tests ein gesundheitliches Problem entdeckt, muss die Leihmutter das Kind abtreiben. Auch wenn das erst zu einem späten Zeitpunkt geschehe, erhalte sie dann weniger Geld. Siegl sagt: «Ich habe einen Vertrag gesehen, in dem stand, dass das Gehalt gekürzt wird, wenn das Baby kurz vor, während oder kurz nach der Geburt stirbt.»

Pädophile nutzten Leihmutterschaft für Missbrauch

Nach Zürich kommt im Oktober auch die russische Agentur Surrogate Baby. Sie bietet All-inclusive-Pakete an – Basic oder Premium. In perfektem Deutsch gibt die Russin Hasmik am Telefon Auskunft über Leihmutterschaft in Russland. «Jeder kann bei uns ein Baby bekommen.» Die Gründe seien egal. «Die Wunscheltern kommen, bezahlen, Punkt.»

Die Leihmütter lebten während der Schwangerschaft in einer Wohnung der Agentur, die wachsenden Babys würden «in den besten Kliniken» mit pränatalen Tests geprüft. «Wenn etwas nicht gut ist, wird ­ die Schwangerschaft gestoppt und eine neue gestartet.» Am Ende erhalten die Auftraggeber ein gesundes Kind. Sie freue sich sehr auf den Besuch in Zürich, sagt Hasmik. Sie wolle Ängste abbauen vor Russland und vor allem bekannt machen, dass auch alleinstehende Männer in Russland ein Kind erhalten könnten. «Alles kein Problem.»

Die Botschaft ist klar: Jeder, der das Geld hat, bekommt ein Kind. Wohin das führen kann? Zu einem weiteren tragischen Einzelfall. Als die Polizei in Thailand einen Pädosexuellen verhaftete, fand sie Chats, die der Mann mit einem 38-jährigen Deutschen geführt hatte. Die zwei Männer sprachen darüber, ein Kind via Leihmutterschaft zu zeugen, um es dann sexuell zu missbrauchen.

Der Deutsche setzte das Vorhaben um: Im August 2016 gebar in Zypern eine Leihmutter sein Kind. Der Deutsche brachte es dann nach Berlin und erhielt das alleinige Sorgerecht. Als die Polizei nach dem Fund der Chat-Protokolle seine Wohnung stürmte, fanden sie den Buben. Der Mann steht in diesen Tagen vor dem Berliner Landgericht. 16 Videos vom Missbrauch seines Sohnes hatte er gemacht.

Das Video aus der Ukraine zeigt, dass Menschen Gesetze brechen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Wie soll ein Staat dem ­begegnen? Die Leihmutterschaft legalisieren, damit Mindeststandards festgelegt werden können? In diese Richtung argumentierte 2014 die nationale Ethikkommission.

Gegen Leihmutterschaft sprachen sich Anfang Jahr Frauen unterschiedlicher Disziplinen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einem gemeinsamen Appell aus. Sie schreiben: «Aus dem Begehren nach einem Kind kann kein Anspruchsrecht auf ein eigenes Kind abgeleitet werden.» Leihmutterschaft beruhe auf sozialer Ungleichheit und sei Ausbeutung von Frauen, die unter kommerziellen Verhältnissen stattfinde.

Mitunterzeichnet hat Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin der Stiftung Dialog Ethik in Zürich. Sie sagt: «Sobald bei der Leihmutterschaft Geld fliesst, kommt ein Kind sehr stark in die Nähe eines Produkts.» Das widerspreche den Grundzügen der Menschenwürde. Baumann-Hölzles Gedanke, als sie das Video von BioTexCom sah: Auch hier ist die Lieferkette wegen Corona unterbrochen.

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Auch in der Ukraine gibt es Kritik an Leihmutterschaft

Lyudmila Denisova ist Ombudsfrau für Menschenrechte des ukrainischen Parlaments. Sie setzt sich dafür ein, dass die ausländischen Eltern ihre Kinder abholen können. Vergangene Woche sprach sie von 100 Babys, die in Kliniken gestrandet sind – es werden immer mehr. «Wenn die Grenzen in der Ukraine geschlossen bleiben, können es bald 1000 Kinder sein», so Lyudmila Denisova.

Das Video von BioTexCom hat in der Ukraine eine Diskussion über Leihmutterschaft entfacht. Auch Denisova sieht die Sache kritisch. Auf Facebook schreibt sie: «Das ­Video von BioTexCom zeigt, dass die ukrainische Leihmutterschaftsbranche Babys als qualitativ hochwertiges Produkt für potenzielle Eltern bewirbt. Doch Kinder dürfen in der Ukraine keinem Menschenhandel ausgesetzt sein.» Sie schrieb weiter, dass sie vorschlagen werde, die Gesetze zu ändern, damit künftig nur noch Ukrainer solche Dienste nutzen könnten.

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