BLICK-Reportage aus dem Tessin
So lebt Losone mit 270 Flüchtlingen

Eine Asylunterkunft für 270 Asylbewerber in einem Ort mit gerade mal 6500 Einwohnern. Wo die meisten Chaos und Lärm erwarten zeigt sich, trotz Zweifel, ein positives Bild.
Publiziert: 19.11.2015 um 21:28 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 03:04 Uhr
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Sie sind stolz auf ihre Ausweise und glücklich, nun im sicheren Losone zu sein: Musa (19), Ali (17) und Mustafa (23) aus Afghanistan (v. l.).
Foto: Yvonne Leonardi
Von Myrte Müller

Angela Merkel prägte den berühmten Ausspruch: «Wir schaffen das!» Ein solcher Satz erschreckt in Losone TI niemanden. Der Ort mit 6500 Einwohnern meistert die Flüchtlingskrise. Seit über einem Jahr ist die ehemalige Kaserne am Dorfrand ein Empfangszentrum für Asylbewerber. Deren Zahl hat sich in dieser Zeit auf 270 mehr als verdoppelt. Jetzt stellte man zusätzliche Feldbetten in die Turnhalle. Die erste Bilanz der Tessiner ist erstaunlich positiv.

«Die Asylbewerber machen keinen Lärm und keinen Dreck. Sie sagen Ciao oder winken freundlich», sagt Helen Müller (48) vom Wohnblock gegenüber. Dabei war sie einst besorgt: «Als ich vor zwei Jahren hörte, die Asylanten kämen, war ich entsetzt. Heute muss ich sagen: Ich bin überrascht, wie gut es läuft.»

Auch Nachbar Simon Rüzgarograri (18) stimmt zu: «Mich stören die Flüchtlinge überhaupt nicht. Die jungen Männer spielen Fussball. Es gibt einige Familien mit kleinen Kindern. Es tut mir leid, was sie erlebten.»

Die Pfarrgemeinde hat einen Willkommenskreis gebildet und lädt Asylbewerber zum Basteln und Malen ein. Freiwillige sammeln Kleider, spenden Möbel. Sogar ein Fitnessraum und eine Bücherei wurden extra in das Empfangszentrum eingegliedert. Und: Bei einem Fussballturnier feierte man kürzlich sogar zusammen. Ablehnung sieht anders aus.

Noch 2012 zogen die Politiker Fausto Fornera (40) und Alfredo Soldati (54) mit 6200 Unterschriften gegen das Asylbewerberheim nach Bern. Heute betrachten die beiden Gemeindepolitiker die einstige Kaserne mit anderen Augen.

«Tausende Flüchtlinge sind in diesem einen Jahr durch unser Zentrum gegangen», sagt Fornera. Er ist zuständig für die Sicherheit in der Gemeinde: «Vorfälle gab es nur anfangs. Mittlerweile ist alles sehr friedlich.» Das liege, sagt sein Kollege Alfredo Soldati, an der guten Zusammenarbeit mit Bern. «Wir sind Teil einer Begleitgruppe und kommen regelmässig zusammen», sagt der Kultur- und Bildungsbeauftragte. Alles sei gut organisiert, man achte auf die Rahmenbedingungen.

Fornera fährt fort: «Das hat verschiedene Gründe. Die Kaserne bietet viel Raum. Die Flüchtlinge stehen sich nicht gegenseitig auf die Füsse. Wir hatten Eritreer. Jetzt kommen Afghanen und Syrer. Neu sind auch Familien mit kleinen Kindern dabei. Das sind alles ruhige Menschen.»

Losone hat auch praktische Rezepte gegen den Lagerkoller und seine Folgen. Marco Fornera: «Die Asylbewerber bekommen bei uns kein Bargeld, nur Gutscheine für den eigenen Shop.»

«Und sie können arbeiten, sie putzen Wege, Wälder und Hänge. Dadurch sind sie beschäftigt und sie machen es gern.» Wichtig sei auch die Einstellung der Bevölkerung, meint Alfredo Soldati. «Mit reiner Ablehnung löst man keine Probleme. Man muss die Dinge anpacken.»

Für Musa (19), Ali (17) und Mustafa (23) ist Losone nur eine weitere Station auf ihrer langen Odyssee aus Afghanistan – aber bislang die schönste: «So nett wie hier waren die Leute nirgends auf unserer Flucht.» 

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