BLICK deckt Daten-Pfusch bei Inkasso-Firma Intrum Justitia auf
Selina M. (25) ist plötzlich bevormundet

Eigentlich wollte Selina M. bloss ihr Handy-Abo verlängern. Doch Sunrise und Salt blockten ab. Laut ihrer Datenbank hat die 25-Jährige einen Vormund. Die falschen Informationen stammen von der Inkassofirma Intrum Justitia. Diese bemerkt dank den BLICK-Recherchen einen fatalen Fehler im System.
Publiziert: 26.11.2017 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 18:05 Uhr
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Selina M. wollte bei Sunrise einen Handyvertrag abschliessen.
Foto: Peter Gerber
Flavio Razzino

Das kann nur ein schlechter Witz sein, dachte Selina M.* (25), als sie vor zwei Wochen im Sunrise-Shop in Biel BE ihr Handy-Abo verlängern wollte. «Statt dass sie mir ein neues Abo und Gerät gegeben hätten, sagten sie mir nur, dass ich gesperrt sei und ich keinen Vertrag abschliessen könne.» Grund: Sie habe einen Vormund und dürfe darum keine Verträge unterschreiben.

M. ist perplex, denn sie ist gar nicht bevormundet. «Ich hatte zwar bis zu meinem 18. Geburtstag einen Vormund, der für mich da war, wenn mein alleinerziehender Vater im Ausland arbeiten musste.» Diese Massnahme endete aber mit ihrer Volljährigkeit automatisch.

Selbst Salt verwehrt einen Vertragsabschluss

Sunrise liess M. mit diesem Problem allein. Sie würden ihre Bonitätsauskünfte von der Inkassofirma Intrum Justitia beziehen, M. solle sich dort beschweren.

Sind auch Sie betroffen?

Die Inkassofirma Intrum Justitia löschte bisher Vormundschaften aus dem Kindesalter nicht automatisch. Der Fall von Selina M.* zeigt: Das kann fatale Folgen haben! Man kann für Handy-, Leasing- oder Mietverträge gesperrt werden.

Sind auch Sie betroffen? Durften auch Sie mal keinen Vertrag abschliessen, weil Sie aufgrund einer nicht gelöschten früheren Vormundschaft fälschlicherweise gesperrt worden waren?

Wenn ja, dann melden Sie sich bei uns mit Ihrem Fall und Ihren Kontaktdaten auf redaktion@blick.ch.

Die Inkassofirma Intrum Justitia löschte bisher Vormundschaften aus dem Kindesalter nicht automatisch. Der Fall von Selina M.* zeigt: Das kann fatale Folgen haben! Man kann für Handy-, Leasing- oder Mietverträge gesperrt werden.

Sind auch Sie betroffen? Durften auch Sie mal keinen Vertrag abschliessen, weil Sie aufgrund einer nicht gelöschten früheren Vormundschaft fälschlicherweise gesperrt worden waren?

Wenn ja, dann melden Sie sich bei uns mit Ihrem Fall und Ihren Kontaktdaten auf redaktion@blick.ch.

Statt mit Intrum zu streiten, ging Selina M. zuerst zu Salt und versuchte dort, ein neues Abo abzuschliessen. Doch auch der Sunrise-Konkurrent lehnte einen Handyvertrag aus demselben Grund ab.

«Da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen», sagt M. Ihr sei bewusst geworden, was für Auswirkungen ein falscher Eintrag in ihrem Dossier bei der Inkassofirma haben könne.

Bei Bonitätsauskünften führt nämlich kaum ein Weg an Intrum vorbei. Die Firma ist in der Schweiz führend in den Bereichen Inkasso und Kreditschutz. Unzählige Unternehmen und Behörden beziehen ihre Daten von Intrum. Wer bei dieser Firma keine weisse Weste hat, wird bei Vertragsabschlüssen blockiert.

Intrum bemerkt Systemfehler wegen BLICK-Recherche

Nachdem M. bei Salt abgewiesen worden war, meldete sie sich bei Intrum – vorerst mit wenig Erfolg. Mündlich gab man ihr keine Auskunft, auf ihre schriftliche Beschwerde reagierte die Firma während Tagen nicht.

Erst als BLICK Intrum mit dem Fall konfrontiert, beginnt die Firma, die Sache ernst zu nehmen. Und tatsächlich: Auch Intrum bemerkt den Irrtum.

Mediensprecher Michael Loss: «Wir haben im Dossier einen Eintrag aus dem Jahr 2010, der sagt, dass sie einen Vormund hat.» Das Problem: Intrum hat keinen Automatismus eingerichtet, der erkennt, dass Kindesschutzmassnahmen beim Erreichen der Volljährigkeit enden.

Wahrscheinlich sind noch weitere Personen betroffen

«Das ist natürlich ein grosses Problem für Selina M. und weitere Personen, die in ihrer Kindheit einen Vormund hatten», gesteht Loss gegenüber BLICK. Sie alle könnten Probleme bekommen, wenn sie ein Handy-Abo abschliessen, einen Leasingvertrag unterzeichnen oder eine Wohnung beziehen möchten. 

Man suche nun mit Hochdruck nach einem Weg, um dieses Problem zu lösen, sagt Loss. «Das behandeln wir mit höchster Priorität.» Bei Selina M. hat man bereits reagiert. «Am Samstag hat mich Intrum angerufen, sich entschuldigt und versprochen, den Eintrag zu löschen», sagt M.

* Name geändert

Was ist eine Inkasso-Firma?

Wer seine Rechnungen nicht bezahlt, bekommt es mit einem Inkassobüro zu tun. Denn Firmen leiten unbezahlte Rechnungen an Inkassounternehmen weiter, die die Forderungen dann eintreiben – und saftige Gebühren auf den ursprünglichen Rechnungsbetrag schlagen. Zudem führen die Firmen Datenbanken über die Kreditwürdigkeit von Schuldnern. Die Daten verkaufen sie an Drittfirmen. Für Privatpersonen kann ein Eintrag wie im Fall von Selina M. dazu führen, dass Firmen Vertragsabschlüsse verweigern. Die 30 im Verband Schweizerischer Inkasso-Treuhandinstitute (VSI) organisierten Unternehmen treiben jährlich über zehn Milliarden Franken ein. Bekannte Namen sind Creditreform und Intrum Justitia.

Wer seine Rechnungen nicht bezahlt, bekommt es mit einem Inkassobüro zu tun. Denn Firmen leiten unbezahlte Rechnungen an Inkassounternehmen weiter, die die Forderungen dann eintreiben – und saftige Gebühren auf den ursprünglichen Rechnungsbetrag schlagen. Zudem führen die Firmen Datenbanken über die Kreditwürdigkeit von Schuldnern. Die Daten verkaufen sie an Drittfirmen. Für Privatpersonen kann ein Eintrag wie im Fall von Selina M. dazu führen, dass Firmen Vertragsabschlüsse verweigern. Die 30 im Verband Schweizerischer Inkasso-Treuhandinstitute (VSI) organisierten Unternehmen treiben jährlich über zehn Milliarden Franken ein. Bekannte Namen sind Creditreform und Intrum Justitia.

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