Steine, Gummischrot, Barrikaden
Krawallhauptstadt Bern

Einmal mehr kam es in der Bundesstadt zu wüsten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Doch die Stadtbehörden sagen: Das ist kein Berner Problem.
Publiziert: 27.02.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:49 Uhr
Strassenkampf in Bern
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Hier wüten die Chaoten:Strassenkampf in Bern
Sermîn Faki

Unfassbare Szenen spielten sich am Wochenende in der Stadt Bern ab. Vor dem alternativen Kulturzentrum Reitschule wurden Steine und Feuerwerkskörper geworfen, es brannten Lieferwagen, Strassenbarrikaden standen in Flammen. Die Polizei wehrte sich mit Gummischrot, Tränengas und Wasserwerfern. Das passte so gar nicht in die als gemütlich geltende Bundesstadt. Man wähnte sich in der Pariser Banlieue, wo derzeit schwerste Ausschreitungen toben.

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Die Überreste zweier angezündeten Lieferwagen.
Foto: Raphael Moser

Seit Mittwoch «chlepft» es 

Und doch wird Bern vom Krawall beherrscht. Auslöser der wüsten Szenen war die Räumung eines besetzten Hauses am letzten Mittwoch. Schon da wurde die Polizei attackiert. Am Abend dann «chlepfte» es ein erstes Mal, als Sympathisanten der Hausbesetzer durch die halbe Stadt zogen und im beliebten Länggass-Quartier Fensterscheiben zertrümmerten und Container umwarfen.

Nach kleineren Scharmützeln am Freitagabend folgte der bisherige Gewalthöhepunkt in der Nacht auf Sonntag. Über hundert Demonstranten wurden von der Polizei am Umzug durch die Innenstadt gehindert. Sie rächten sich vor der Reitschule mit Wurfgeschossen und Laserpointern. Traurige Bilanz: elf Verletzte, davon zehn Polizisten, und hoher Sachschaden. Sechs Personen wurden festgenommen, alle sind inzwischen aber wieder auf freiem Fuss.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bern mit Krawallen Schlagzeilen macht. In den letzten Jahren kam es fast im Monatsrhythmus zu Zwischenfällen, bei denen Verletzte zu beklagen waren. In Zürich hingegen, lange Zeit ebenfalls Ort linksautonomer Gewalt, ist es deutlich ruhiger geworden.

Auf dem linken Auge blind

Erich Hess (SVP): «Die Reithalle ist Verursacherin der Probleme.»
Foto: GAETAN BALLY

Woran liegt es, dass Bern das Gewaltproblem nicht in den Griff bekommt? Für SVP-Nationalrat und Stadtberner Erich Hess ist der Fall klar: «Die Reithalle ist der Verursacher.» Hess fordert die Schliessung, «dann hat dieses Lumpenpack keinen Rückzugsort mehr». Tatsächlich ziehen sich die Demonstranten nach geschlagener Schlacht oft in die Reitschule zurück.

Dass die Behörden «nun endlich reagieren», glaubt Hess aber nicht. «Die rot-grüne Stadtregierung ist auf dem linken Auge blind», bedauert er. «Der neue Stadtpräsident verkehrt selbst regelmässig in der Reithalle.» Einen provokativen Vorschlag machte seine Zürcher Parteikollegin Natalie Rickli gestern Abend im «SonnTalk» auf Tele Züri: «Vielleicht sollten die Polizisten mal den Einsatz verweigern und die Chaoten durch die Stadt ziehen lassen.» Wenn Bern in Schutt und Asche liege, wachten möglicherweise auch die Linken und Grünen auf. 

Von Graffenried: Kein Zusammenhang mit Reitschule

Alec von Graffenried (GFL): «In der Reithalle feierten 2000 Leute ganz friedlich.»
Foto: ALESSANDRO DELLA VALLE

Alec von Graffenried bestreitet einen Zusammenhang zwischen Reitschule und Krawallbrüdern: «Das waren 50 bis 100 Personen, die Ärger gesucht haben. In der Reitschule feierten währenddessen 2000 Menschen ganz friedlich», so der frischgewählte Stapi. Das meint auch Manuel C. Widmer, Stadtrat der Grünen Freien Liste und einer der bekanntesten Berner DJs. Zwar seien die Auseinandersetzungen einmal mehr im Umfeld der Reitschule passiert. «Aber diese Leute suchen die Nähe der Reitschule, nicht umgekehrt.»

Eine Schliessung bringe daher nichts. Die Gewalt würde sich nur verlagern – an Fussballspiele oder in andere Städte. Widmer, 1987 bei den Urbesetzern der Reitschule, ist selbst «sprach- und ratlos», wie man mit den Exzessen umgehen soll. «Verhindern lässt sich das nicht, weil Gewalt hier einfach Selbstzweck ist.» Das besorgt auch von Graffenried: «Bern pflegt eine offene Diskussionskultur – und wir sind auch jetzt bereit, über jede Forderung zu sprechen. Nur: Hier gibt es keine Forderung.»

Nause: Kein Berner Problem

Reto Nause (CVP): «Die Angriffe auf Polizisten waren versuchte Tötungen.»
Foto: KEY

Der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause will dennoch nichts von einer Krawallhauptstadt wissen. «Das ist kein Berner Problem», sagt der CVP-Mann. Es gebe in der Schweiz eine relativ grosse gewaltextremistische linke Szene, die einen regelrechten Tourismus betreibe. Nause sagt: «Dem müssen wir den Riegel schieben.»

Insbesondere fordert Nause ein härteres Vorgehen gegen Demonstranten, die Polizisten angreifen. «Die Angriffe auf Polizisten waren versuchte Tötungen. Zur Verantwortung gezogen werden diese Kriminellen aber wegen Landfriedensbruch. Ich frage mich, wie lange die Bundespolitik da noch zuschaut.» 

Doch allmählich handelt die Bundespolitik. Im Parlament sind mehrere Vorstösse hängig, die härtere Strafen für Aggression gegen Polizisten fordern. Ein Vorstoss wird heute im Ständerat diskutiert. Bleibt abzuwarten, ob sich die kleine Kammer von den neuerlichen Krawallen beeindrucken lässt. Vielleicht helfen die Demonstranten nach: Weitere Protestaktionen sind angekündigt. 

So gefährlich sind Laserpointer

Manuel C. Widmer (GFL): «Gewalt ist hier einfach Selbstzweck.»
Foto: ZVG

Die Berner Krawallmacher haben eine neue, perfide Waffe im Arsenal: Laserpointer. Mit diesen verbotenen Geräten zielen sie auf die Augen der Polizisten. Treffen die Strahlen aufs Auge, verletzen sie die Netzhaut, was zu Erblindung führen kann. Bislang wurden vor allem Piloten, Tramfahrer und Fussball-Goalies Opfer von Laserattacken.

Die Anschläge fielen meist unter die Kategorie «gefährliche Bubenstreiche». Dass nun Chaoten zum Laserpointer greifen, ist laut Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause «ein relativ neues Phänomen», das in Bern in letzter Zeit allerdings gehäuft auftrete. 

Die Polizisten tragen deshalb Schutzbrille. Aber: «Für Nachteinsätze sind diese dunkel getönten Brillen weniger geeignet.»

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