«Wie heute niemand für Hitler, Mussolini oder Pinochet weint, wird auch niemand für Erdogan weinen», schreibt die Revolutionäre Jugendgruppe Bern (RJG) auf ihrer Seite «revolutionär.ch». «Wir stehen hinter dem ‹Kill Erdogan – with his own weapons›-Transparent und unterstützen dessen Aussage.» («Tötet Erdogan – mit seinen eigenen Waffen»).
Das Plakat an der samstäglichen Demo in Bern sorgte national und international für Stunk.
In Ankara bestellte Erdogan den Schweizer Botschafter zur Erklärung ein. Erst Stellvertreterin Nathalie Martie – dann Walter Haffner persönlich. Und der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu telefonierte mit Amtskollege Didier Burkhalter. Und am Montag nahm die Istanbuler Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf – wegen «Präsidentenbeleidigung».
In der Schweiz ist die SP frustriert, weil die RJG ihre Demo missbraucht hat. «Es ist völlig unangemessen, wir distanzieren uns klar», sagt Peter Hug, internationaler Sekretär der SP, im «Bund». Er ärgert sich, «dass die autonomen Antifa-Kreise damit unsere Botschaft für Frieden und Freiheit missachtet haben».
Und in der Stadt Bern will Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) Strafanzeige wegen Verletzung der Auflagen zur Kundgebungsbewilligung einreichen.
Fragt sich bloss, gegen wen genau.
Ob das Plakat wirklich von der RJG stammt, ist bislang nicht bewiesen. Klar ist aber, dass die Demo-Mitorganisator Urs Sekinger laut «NZZ» im Vorfeld intensive Gespräche mit der RJG hatte und sie darauf hingewiesen habe, die Demo «ohne Provokationen» durchzuführen. Sekinger bedauert, dass dieses Transparent präsentiert wurde – «nicht zuletzt deswegen, weil dies Herrn Erdogan hilft, politische Stimmung zu machen und sich als Opfer darzustellen».
Separater Demozug startet bei der Reitschule
Klar ist auch, dass das Pistolen-Plakat auf einem separaten Demozug auf den Bundesplatz getragen wurde, der bei der umstrittenen Berner Reitschule startete. Dies zumindest ist laut dem städtischen Polizeidirektor Reto Nause (CVP) «der Stand der Erkenntnis».
Und klar ist, dass die Revolutionäre Jugendgruppe Bern nicht zimperlich ist. Im Statement auf der Website heisst es weiter:
«Wer in der Türkei, Kurdistan und Syrien ein Massaker anrichtet und massenhaft Blut vergiesst, wer tausende Revolutionär*innen und Linke ins Gefängnis steckt, wer tausende Menschen entlässt und unzählige in die Selbsttötung treibt, wer kurdische Städte plattwalzt und wer den IS unterstützt, dem seine Zukunft wird die Müllhalde der Geschichte sein. In einem Land, in dem gewählten PolitikerInnen jederzeit verhaftet werden können, gibt es keine Möglichkeit für demokratische Kämpfe! Die Menschen in der Türkei können weder in Sicherheit, noch frei wählen. In dieser Zeit, wo alle Leute, die Nein sagen, zu Terrorist*innen erklärt werden, sind alle Arten des Kämpfens legitim, um gegen den Diktator Erdogan vorzugehen. Das Ende der Mörder kommt immer mit ihren eigenen Waffen. Dies wird auch bei Erdogan so sein.»
«Unsere Meinungsäusserungsfreiheit ist kein Freipass für Gewaltaufrufe»
Und dennoch. Trotz Gewaltaufruf geht vielen Schweizer Politikern die Reaktion der Türkei zu weit – egal ob links oder rechts.
«Diese Reaktion der Türkei ist nicht nur eine Demütigung für den Botschafter, es ist ein Witz!», enerviert sich der Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Roland Büchel (SVP/SG) im BLICK. Es sei «gerade zu lächerlich», dass sich ein Land wie die Türkei um «solche Banalitäten» kümmere, so Büchel. «Aber Hunde, die am lautesten bellen, sind halt die grössten Mimosen.»
Für Hans-Peter Portmann (FDP/ZH) ist Erdogans Gebaren eine «unnötige Überreaktion». Eine diplomatische Note platziere man nur einmal. «Zweimal antraben lassen ist zu viel.» Doch er räumt ein: «Würde man im Ausland an einer Demonstration ein Transparent mit der Aufschrift ‹Kill Leuthard› zeigen, würden wir auch reagieren.»
«Vollkommen daneben» findet auch Aussenpolitiker Eric Nussbaumer (SP/BL) das Plakat der Erdogan-Gegner. «Unsere Meinungsäusserungsfreiheit ist kein Freipass für Gewaltaufrufe», sagt der Sozialdemokrat. (bö)