Riesige Solidarität nach Grossbrand in Bern-Bethlehem
«Leute wollen uns ihr letztes Paar Schuhe schenken»

Menschen sind in Not, andere Menschen helfen ihnen: Nach dem Brand im Wohnblock an der Looslistrasse wird die Wohn- und Obdachlosenhilfe der Stadt Bern mit Hilfeangeboten bombardiert.
Publiziert: 05.06.2018 um 20:41 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:50 Uhr
1/7
Samstag, 2. Juni: Ein Dachstockbrand richtet riesigen Schaden in einem dreiteiligen Mehrfamilienhaus in Bern-Bethlehem an.
Foto: Leserreporter
Nicolas Lurati

Am Samstagabend das Inferno, jetzt die Solidaritätswelle: Vor drei Tagen verbrannte an der Looslistrasse in Bern-Bethlehem die Existenz von Dutzenden Menschen. Die Bilder der verkohlten Wohnungen haben die Bevölkerung in Bern berührt.

Brand in Bern-Bethlehem
0:24
Leservideos:Brand in Bern-Bethlehem

Peter Kobi, Koordinator der Wohn- und Obdachlosenhilfe beim Sozialamt der Stadt Bern, sagt zu BLICK: «Das Mitgefühl in Bern ist gross, vor allem im Quartier Bethlehem. Menschen aus der ganzen Stadt kontaktieren uns und wollen den Betroffenen eine Not-Unterkunft anbieten, Kleider und Spielsachen schenken. Einige sogar Geld spenden.» Sofern in den nächsten Tagen Geldspenden einträfen, würden wir diese für Härtefälle eingesetzt.

Noch während der Brand wütet, halten zwei junge Männer an der Looslistrasse mit dem Velo an, wie Kobi erzählt. «Sie sagten, dass sie einen Raum haben, in dem sie Betroffene gratis unterbringen können. So etwas berührt mich.»

«Ausmass des Brandes scheint Bewohner aufzurütteln»

Kobi erzählt, dass er in den acht Jahren, in denen er die Wohn- und Obdach­losenhilfe in Bern leitet, noch nie eine derartige Solidarität erlebt habe: «Diese Anteilnahme ist wunderbar. Das Ausmass des Brandes scheint die Bewohner der Stadt Bern aufzurütteln. Sie sahen in den Medien die dramatischen Bilder des Infernos, sie erfuhren von Einzelschicksalen, sie spürten, dass Menschen in grosser Not sind.»

Carmela Rapicavoli (36) ist von der Anteilnahme der Bevölkerung überwältigt. Sie ist im Wohnblock an der Looslistrasse geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern Rosario (70) und Matilde (66) wohnten seit 1971 dort.

«Privatpersonen wollen uns helfen. Wir erhalten Mails und Telefonate aus der ganzen Schweiz. Leute, die sogar noch weniger haben als wir, wollen uns ihr letztes Paar Schuhe schenken», erzählt sie BLICK.

«Die Stadt Bern lässt uns im Stich»

Von der Stadt Bern ist Carmela Rapicavoli jedoch enttäuscht: «Sie lässt uns im Stich. Für die sind wir Menschen dritter Klasse.» Ihr einziger Wunsch sei doch nur, eine bezahlbare Wohnung in der Umgebung zu finden, wo ihre Eltern wohnen könnten. 

Der Brand hat den Rapicavolis alles weggenommen. «Dennoch sind wir der Stadt Bern egal», meint Carmela. «Sie helfen uns nicht. Meinen Eltern geht es sehr schlecht. Sie sind emotional aufgewühlt und traumatisiert.»

Walter Langenegger, Sprecher vom Infodienst der Stadt Bern, entgegnet: «Ich habe Verständnis dafür, wenn die vom Brand betroffenen Menschen Kritik an der Stadt Bern üben: Für manche dürfte die Situation überaus belastend sein. Da ist es normal, dass sie empfinden, die Hilfe sei nicht gross genug.» 

Er könne jedoch versichern: «Die Stadt Bern tut alles, um diesen Menschen zu helfen. Wir lassen unsere Einwohner nie im Stich – egal, wo sie wohnen und welcher Herkunft sie sind. Die Stadt ist für alle da.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?