PR-Berater Sascha Wigdorovits (67) wird im Zusammenhang mit der Nacktselfie-Affäre um den Ex-Grünen Politiker Geri Müller (59) versuchte Nötigung, eventuell Anstiftung dazu, eventuell Gehilfenschaft zu versuchter Nötigung sowie Aufbewahrung, Auswertung, Zugänglichmachen und Kenntnisgabe von unbefugt aufgenommenen Gesprächen vorgeworfen. Das geht aus der Anklageschrift der Berner Staatsanwaltschaft hervor.
Es ist der erste Prozess im Fall Geri Müller. Mit verschiedenen Pressevertretern und Privatpersonen konnte sich Geri Müller aussergerichtlich einigen – die betroffene Frau erhielt einen Strafbefehl. Nun bleibt noch die Rolle von Wigdorovits, als angeblichem Drahtzieher hinter den Veröffentlichungen, juristisch zu klären.
Wigdorovits dachte an eine Falle
Konkret wirft die zuständige Staatsanwältin dem Zücher PR-Berater vor, als politischer Gegner von Geri Müller dessen Affäre mit einer jüngeren Bernerin (39) zum Anlass genommen zu haben, «diesen zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern zu bewegen.»
Das streitet Wigdorovits vehement ab. Er habe der Bernerin klipp und klar gesagt, dass er «in die Sache nicht mit reigezogen werden wolle». Er habe nur zwischen ihr und den Medien vermittelt, habe nur den Erstkontakt hergestellt. Danach betont der PR-Berater erneut vor Gericht: «Ich war extrem zurückhaltend, wollte nicht involviert werden.» Der Grund: Er habe dem Ganzen nicht getraut, witterte eine Falle.
Am Dienstag erschienen neben Wigdorovits auch Privatkläger Geri Müller vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland in Biel BE. Müller selbst ist davon überzeugt, dass der Angeklagte Einfluss auf die Frau übte. «In den Protokollen gibt es auch eine Aussage von ihm, sie solle das auf keinen Fall zurückziehen», sagt er vor Gericht. Laut Müller soll die Bernerin unter Druck gestanden sein – wollte im Grunde nicht, dass das Ganze an die Öffentlichtkeit kommt.
Urteil wird am Freitag gesprochen
Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass Wigdorovits im Hintergrund blieb und auf die psychisch instabile Frau eingewirkte. Diese habe dann Müller «immer konkreter» in Aussicht gestellt, dass sie die für ihn kompromittierenden Chats, Fotos und Audiodateien der Öffentlichkeit zugänglich mache. Dafür droht dem PR-Berater eine Geldstrafe von insgesamt 11'520 Franken. Der zuständige Einzelrichter hat zwei Tage für Einvernahmen und Plädoyers anberaumt. Am Freitag will er das Urteil sprechen.
Wigdorovits: «Sie wollte einen Medienrummel auslösen»
Dem Richter sagte Wigdorovits, er habe die Frau nur beraten, aber nie unter Druck gesetzt. Sondern: «In dem allerersten SMS hatte sie schon geschrieben, dass das Ganze, wenn es auskomme, einen riesigen Medienrummel auslöse, nicht nur in der Schweiz, auch im Ausland. Sie hatte also klar die Absicht, an die Medien zu gehen.» Er selber habe nur den Kontakt hergestellt.
Wigdorovits weiter: «Ich hatte keine Veranlassung, Gerhard Müller vom Rückzug seiner Ämter zu bewegen. Er war damals Nationalrat der Grünen und Stadtammann von Baden, ich selber wohne in Zollikon und habe demnach keine Interessen in Baden.» Es sei aber wahr, dass Müller und er beim Thema Israel eine andere Meinung vertreten würden. «Aber das haben wir bei verschiedenen Gelegenheiten, etwa im Fernsehen und bei Podiumsgesprächen, miteinander besprochen. Das habe ich immer gerne gemacht und werde das auch in Zukunft noch gerne tun.»
Dass er den Kontakt zur Sonntags Zeitung, Schweiz am Sonntag, Weltwoche und zum BLICK herstellte, bestritt Wigdorovits nicht. Er habe der Presse auch detailliert vom Vorfall in Baden erzählt, als es ein Zusammentreffen der Frau mit der Stadtpolizei gab. Er gab auch zu, Bild- und Tondateien von der Frau erhalten zu haben.
Auf die Frage des Richters, ob er die Dateien gespeichert und aufbewahrt habe, sagte der Angeklagte: «Sie hat sie mir per Whatsapp geschickt, dabei werden sie in einem Ordner gespeichert. Ich habe sie einfach nicht gelöscht. Ich wusste damals nicht, dass man sich strafbar macht, wenn man ein unerlaubt aufgenommenes Gespräch zugeschickt bekommt und nicht sofort löscht.»
Chat-Partnerin zu bedingter Geldstrafe verurteilt
Die Nacktselfie-Affäre hatte im Sommer 2014 für Aufregung gesorgt. Die «Schweiz am Sonntag» berichtete, dass der Badener Stadtammann und Nationalrat der Grünen Geri Müller von seinem Stadthausbüro aus einer Chat-Bekannten Nacktbilder geschickt hatte. Danach soll er die Frau aus dem Kanton Bern zum Löschen der Mitteilungen aufgefordert haben.
Als Folge der Affäre entband die Badener Exekutive Müller vorübergehend von seinen Führungs- und Repräsentationsaufgaben. Bei den Nationalratswahlen im Herbst 2015 trat Müller nicht mehr an.
Die ehemalige Chat-Partnerin Müllers wurde 2016 von der Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Sie wurde schuldig befunden der Beschimpfung, üblen Nachrede, versuchten Nötigung, Urkundenfälschung und des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen. Die Frau akzeptierte den Strafbefehl.
Auch Journalisten wurden untersucht
Strafuntersuchungen liefen aber nicht nur gegen die Frau, sondern auch gegen Journalisten und Wigdorovits. Letztere wurden verdächtigt, private Gespräche zwischen der Bernerin und Müller verwendet, weitergegeben oder Dritten zugänglich gemacht zu haben.
Mit der AZ-Mediengruppe einigte sich Geri Müller Anfang 2018 auf einen Vergleich. Dieser Verlag und Patrik Müller, Chefredaktor der «Aargauer Zeitung», drückten bei Bekanntgabe dieses Vergleichs ihr Bedauern gegenüber Müller aus.
Der Schweizer Presserat befand 2016, die «Schweiz am Sonntag» habe mit ihrem ersten Bericht über die Affäre die Privat- und Intimsphäre Geri Müllers in schwerer Weise verletzt.