Francesca T. (†59) hortete Kleider im Wert von 100’000 Franken
Sozialamt untersucht Shopping-Touren auf Staatskosten

Francesca T.* (†59) bezog Sozialhilfe, lebte in einer 3,5-Zimmer-Wohnung und kaufte Kleider im Wert von 100'000 Franken. Niemand stoppte ihr Treiben. Auch nicht das Amt. Nun wollen die Verantwortlichen untersuchen, wie es dazu kommen konnte.
Publiziert: 19.06.2018 um 23:33 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:55 Uhr
Anian Heierli

Ihr Fall sorgt für Kopfschütteln. Die Italienerin Francesca T.* (†59) lebte in Bern über Jahre von der Sozialhilfe. Trotzdem konnte sie sich Kleider, Schuhe und Schmuck im Wert von 100'000 Franken leisten.

Nachdem T. am 17. April verstarb, entdeckte man die teuren Outfits in ihrer 3½-Zimmer-Wohnung. Viele davon neu und originalverpackt (BLICK berichtete). Offensichtlich litt die Frau an Shopping-Sucht. Recherchen zeigen: Fast täglich kaufte sie in der Berner Altstadt ein.

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Es braucht mehr Sozialdetektive zur Überwachung von Sozialhilfebezügern, findet Bernhard Eicher, Fraktionschef der Stadtberner FDP.
Foto: ZVG/Markus Foedisch

Genaue Prüfung

Jetzt will das Sozialamt der Stadt Bern den Fall aufklären. Leiter Felix Wolffers (61) sagt: «Aufgrund der Berichterstattung im BLICK habe ich mich entschieden, den Sachverhalt vertieft durch das Sozialrevisorat überprüfen zu lassen.» Ein Bericht soll noch diese Woche vorliegen.

Felix Wolffers (61), Leiter des Sozialamts der Stadt Bern, lässt den Fall von Francsesca T.* (†59) untersuchen. Dann will er öffentlich informieren.
Foto: Béatrice Devènes

Der Fall beinhaltet viele offene Fragen: Wie kann jemand Sozialhilfe beziehen, sich gleichzeitig aber derart teure Sachen leisten? Wie lange dauerte der Missbrauch? Weshalb wurde T. nicht besser kontrolliert? Und: Warum wurde ihr ohne Hausbesuch im letzten August eine grössere 3½-Zimmer-Wohnung bewilligt? Wie konnte die Italienerin regelmässig für längere Zeit verreisen? Gab die Sozialhilfeempfängerin dem Amt korrekt und rechtzeitig Auskunft über ihre finanziellen Verhältnisse? Verschwieg sie bewusst Einkünfte?

«Über die Resultate wird öffentlich informiert»

Wollfers dazu: «Gestützt auf den Bericht des Sozialrevisorats werden Abklärungen und Massnahmen geprüft. Erst dann können mögliche Konsequenzen beschlossen werden.» Transparenz ist ihm wichtig: «Es ist vorgesehen, über die Resultate der Abklärung in allgemeiner Form öffentlich Auskunft zu geben.»

Den Steuerzahler interessiert vor allem eines: Was kann getan werden, damit es nicht zu Missbräuchen kommt. Braucht es mehr, stärkere und regelmässigere Kontrollen und Hausbesuche bei Sozialhilfeempfängern? Bevor Wolffers Stellung zum konkreten Fall nimmt, will er den Bericht abwarten. Doch Kontrollen sind ihm wichtig: «Sie fördern das Vertrauen der Öffentlichkeit. Die Sozialdienste haben diese in den letzten Jahren stark ausgebaut.»

Eine Herkulesaufgabe in der Praxis

Der Bernern Amtsleiter ist ein Mann vom Fach. Er präsidiert auch die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und sieht allgemeine Schwierigkeiten im System. Der Verbandschef weiss: «Es gibt neue Probleme. Ausgesteuerte Personen ab 55 Jahren sind die am stärksten wachsende Gruppe der Sozialhilfe.» Für ihn ist deshalb klar: «Es braucht mehr Stellen für ältere Arbeitslose und auch Personen mit gesundheitlichen Leiden.»

Wolffers spricht eine zweite Herausforderung an: «Viele Personen, die früher eine IV-Rente erhalten haben, sind heute auf den Sozialdiensten.» Dort werden die Personen beraten, finanziell unterstützt und wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Was einfach klingt, ist in der Praxis oft eine Herkulesaufgabe. Die Hälfte der Sozialhilfeempfänger hat keinen Lehrabschluss.

Massiver Druck: 100 Fälle pro Sozialarbeiter

Allein in Bern sind 100 Fälle pro Sozialarbeiter die Norm. Doch das ist kein Extremfall: «Auch in anderen Kantonen und vielen Gemeinden gibt es ähnliche Vorgaben», sagt Wolffers. Gerade Regionen mit günstigem Wohnraum werden gerne zum Mekka für Sozialhilfeempfänger. Für einzelne Orte ist das ein ernstes Problem.

SKOS-Präsident Wolffers spricht Klartext: «Es braucht deshalb Reformen bei der Finanzierung der Sozialhilfe.» Er ergänzt: «Wichtig ist vor allem eine Entlastung der Gemeinden und eine faire Verteilung der Kosten.» Ein Fall, in dem eine Frau ihre Shopping-Touren mit Hilfe der Staatskasse finanziert, ärgert nicht nur den Steuerzahler, sondern auch Betroffene, die jeden Rappen zweimal umdrehen müssen.

* Name von der Redaktion geändert

Wer ein Anrecht auf Sozialhilfe hat

In der Schweiz kann sich jeder beim Sozialamt seiner Wohngemeinde anmelden. Etwa Arbeitslose, die nach zwei Jahren beim Arbeitslosenamt ausgesteuert sind. Eine Anmeldung ist aber nur möglich, wenn kein eigenes Vermögen mehr vorhanden ist. Das Sozialamt wird nach den Lebensumständen fragen und individuell prüfen, welche Sozialhilfe notwendig ist. In den meisten Kantonen erhält ein Sozialhilfeempfänger 986 Franken für den Grundbedarf (Verpflegung, Kleider, Telefon, usw.). Zudem wird die Wohnungsmiete im ortsüblichen Rahmen bezahlt, die bei einer Person – je nach Kanton – um die 800 Franken beträgt.

Keine Luxusgüter

Auch die monatlichen Krankenkassenbeiträge werden bezahlt – diese werden über die Prämienverbilligung des Kantons abgerechnet. Luxusgüter oder Ferien werden vom Sozialamt nicht bezahlt – sie müssen vom Grundbedarf zusammengespart werden.

Kein Auto

Ein Auto darf ein Sozialhilfeempfänger keines besitzen. Ausser er braucht es aus gesundheitlichen Gründen oder ist teils erwerbstätig und kann den Arbeitsort nicht mit dem öffentlichen Verkehr erreichen. Dann werden Benzin und Versicherung übernommen.

Auch Ausländer erhalten in der Schweiz Sozialhilfe. Asylbewerber rund 20 Prozent weniger. Abgewiesene Asylsuchende erhalten Nothilfe. 2016 bezogen in der Schweiz 273'273 Menschen Sozialhilfe.

Missbrauch wird bekämpft

Die Gesamtausgaben betrugen 2,7 Milliarden Franken. In den Kantonen Neuenburg, Basel-Stadt und Genf hatte es die meisten Sozialhilfebezüger. Missbrauch wird bekämpft und ist im Strafgesetzbuch unter Art. 148a geregelt.

Luxusgüter oder Ferien werden vom Sozialamt nicht bezahlt.
Luxusgüter oder Ferien werden vom Sozialamt nicht bezahlt.
Keystone

In der Schweiz kann sich jeder beim Sozialamt seiner Wohngemeinde anmelden. Etwa Arbeitslose, die nach zwei Jahren beim Arbeitslosenamt ausgesteuert sind. Eine Anmeldung ist aber nur möglich, wenn kein eigenes Vermögen mehr vorhanden ist. Das Sozialamt wird nach den Lebensumständen fragen und individuell prüfen, welche Sozialhilfe notwendig ist. In den meisten Kantonen erhält ein Sozialhilfeempfänger 986 Franken für den Grundbedarf (Verpflegung, Kleider, Telefon, usw.). Zudem wird die Wohnungsmiete im ortsüblichen Rahmen bezahlt, die bei einer Person – je nach Kanton – um die 800 Franken beträgt.

Keine Luxusgüter

Auch die monatlichen Krankenkassenbeiträge werden bezahlt – diese werden über die Prämienverbilligung des Kantons abgerechnet. Luxusgüter oder Ferien werden vom Sozialamt nicht bezahlt – sie müssen vom Grundbedarf zusammengespart werden.

Kein Auto

Ein Auto darf ein Sozialhilfeempfänger keines besitzen. Ausser er braucht es aus gesundheitlichen Gründen oder ist teils erwerbstätig und kann den Arbeitsort nicht mit dem öffentlichen Verkehr erreichen. Dann werden Benzin und Versicherung übernommen.

Auch Ausländer erhalten in der Schweiz Sozialhilfe. Asylbewerber rund 20 Prozent weniger. Abgewiesene Asylsuchende erhalten Nothilfe. 2016 bezogen in der Schweiz 273'273 Menschen Sozialhilfe.

Missbrauch wird bekämpft

Die Gesamtausgaben betrugen 2,7 Milliarden Franken. In den Kantonen Neuenburg, Basel-Stadt und Genf hatte es die meisten Sozialhilfebezüger. Missbrauch wird bekämpft und ist im Strafgesetzbuch unter Art. 148a geregelt.

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