Die Wartezeit zehrte an ihren Nerven. Bis Franziska S. * (53) aus Sissach BL eine Antwort zu ihrer IV erhielt, verging eine gefühlte Ewigkeit. Schuld daran: Bünyamin Yasmin (49), Chef der Gutachterstelle MEDAS Oberaargau.
Die Baselbieterin ist schwer krank, leidet an einer systemischen Sklerose. Zwei Zehen, ein Finger, Bänder und Sehnen musste sie operativ entfernen lassen. Sie kann sich nicht mehr selbständig ankleiden, essen oder gehen. Trotzdem hatte die IV-Stelle ihr 2017 die Leistungen bei der Hilflosenentschädigung zusammengestrichen – erst ein Gericht hob diese Verfügung im August 2018 wieder auf.
Der Arzt aus Langenthal BE liefert einfach kein Gutachten
Im März 2019 schickt die IV Franziska S. daher für eine neue Verfügung zu IV-Arzt Bünyamin Yasmin nach Langenthal BE. Doch dort kommt Sand ins Getriebe. Yasmin betreibt nach dem Termin quasi Arbeitsverweigerung – und stellt das Gutachten für S. auch dann nicht aus, nachdem ihn die IV-Stelle Basel-Landschaft im Verlauf des Jahres zweimal gemahnt hat.
Für Franziska S. ein riesiges Problem. Denn: Ohne dieses Gutachten erstellt die IV auch keine neue Verfügung. Und ohne Verfügung gibt es keine dringend benötigte Aufstockung der Haushaltshilfe für die schwer kranke Frau.
Immerhin: Als BLICK Mitte November über Franziska S. Schicksal berichtet, geht alles ganz schnell. Urplötzlich, nach geschlagenen 237 Tagen, übermittelt Yasmin das Gutachten an die IV-Stelle. Für Stephan Müller, Rechtsanwalt der Procap, ist das Verhalten von Yasmin ein Skandal. Er vertritt Franziska S. gegenüber der IV: «Diese Wartezeit widerspricht klar den Kriterien, die das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV definiert hat.»
Dabei ist vorgeschrieben, dass Gutachten innert maximal 130 Tagen erstellt werden müssen. Müller weiss: «Yasmin ist bekannt dafür, dass er langsam ist.»
Strittiger Gutachter
Tatsächlich ist der Langenthaler Arzt eine hoch umstrittene Figur. Yasmin prahlte noch im Jahr 2015 in der «Berner Zeitung» damit, ein Workaholic zu sein und schon mehr als 10'000 Gutachten ausgestellt zu haben. Er arbeite sechs Tage die Woche, täglich über zwölf Stunden, behauptete er.
Spricht man sich bei Patienten um, die von Yasmin im Auftrag der IV begutachtet worden sind, zeigt sich: Franziska S. ist kein Einzelfall. Auch Lorenz Krhla (60) aus Frauenfeld musste zu lange bangen. «Ich wartete ganze zehn Monate auf das Gutachten von Yasmin», sagt er. Und auch aktuell warten unterschiedliche IV-Stellen und Patienten auf insgesamt vier weitere Gutachten, für die Yasmin jetzt schon mehr als 130 Tage Zeit braucht.
Als Grund für die Verzögerung nennt er seine Scheidung
Als BLICK Yasmin damit konfrontiert, gibt dieser zu, dass er viel zu lange für die Gutachten brauche. Und ja: Ihm sei bewusst, dass Patienten wie Franziska S. oder Lorenz Krhla in Nöte kämen. Es gebe aber private Gründe dafür. Yasmin holt aus: «Im Jahr 2017 ist meine Ehe nach 23 Jahren kaputtgegangen, und ich wurde von heute auf morgen alleinerziehender Vater mit drei Kindern. Mir ging es nicht gut, konnte nicht schlafen und musste kämpfen. Meine Kinder hatten oberste Priorität.» Ergebnis: Die Gutachten blieben liegen.
Er habe als Konsequenz daraus 2017 vorübergehend keine neuen Aufträge angenommen. Ende 2018 versuchte Yasmin zwar, die Arbeit für die IV wieder aufzunehmen – doch auch da kommt er sofort ins Hintertreffen. Heute sagt er: «Wir nehmen darum auch jetzt keine weiteren Fälle an.»
Am Ende eine kleinlaute Entschuldigung
Seine privaten Probleme ausbaden müssen schwer kranke Menschen wie Franziska S. Der Psychologe dazu: «Dass sie leiden musste, weil es bei unserem Gutachten so lange gedauert hat, tut mir sehr leid, und ich übernehme volle Verantwortung. Auch wenn andere Patienten deswegen Probleme hatten, möchte ich mich dafür entschuldigen.»
Immerhin hält Yasmin fest: «Das Gutachten von Franziska S. ist sehr positiv ausgefallen. Ich bin persönlich der Meinung, dass sie den Assistenzbeitrag bekommen sollte.» Ist das Happy-End schon perfekt? Fast. Noch hat die IV Basel-Landschaft der schwer kranken Frau keine neue Verfügung ausgestellt.
* Name der Redaktion bekannt
Menschen mit einer Behinderung oder schweren Krankheit haben viele Probleme – und oft eine angespannte finanzielle Situation. Aber gerade wenn sie sich gegen Behörden wehren müssen – wie etwa Franziska S.* (53) –, wird das schnell teuer, komplex und aufwendig. Kurz: Es braucht die Hilfe teurer Fachpersonen. In solchen Fällen helfen Institutionen wie die Procap. Sie bieten Beratungen in den Lokalsektionen an, aber auch einen Rechtsdienst mit Anwälten, die bei versicherungsrechtlichen Themen Experten sind. Und das gratis – sofern man Mitglied einer solchen Institution ist. Bei Procap kostet ein Mitgliederbeitrag je nach Sektion zwischen 40 und 80 Franken.
Menschen mit einer Behinderung oder schweren Krankheit haben viele Probleme – und oft eine angespannte finanzielle Situation. Aber gerade wenn sie sich gegen Behörden wehren müssen – wie etwa Franziska S.* (53) –, wird das schnell teuer, komplex und aufwendig. Kurz: Es braucht die Hilfe teurer Fachpersonen. In solchen Fällen helfen Institutionen wie die Procap. Sie bieten Beratungen in den Lokalsektionen an, aber auch einen Rechtsdienst mit Anwälten, die bei versicherungsrechtlichen Themen Experten sind. Und das gratis – sofern man Mitglied einer solchen Institution ist. Bei Procap kostet ein Mitgliederbeitrag je nach Sektion zwischen 40 und 80 Franken.