Als die ersten Autos 1920 durch Ueberstorf FR knattern, feiert Margrit Schafer ihren ersten Geburtstag. Als ein Flugzeug der Alliierten 1943 eine defekte Bombe über dem Dorf abwirft, liegt sie hochschwanger zu Hause. Als die Gemeinde 1987 zum Alpabzug ein mehrtägiges Fest veranstaltet, schwingt sie das Tanzbein. Doch als Schafers Familie am 7. April 2019 zum 100. Geburtstag der Seniorin einlädt, schaut niemand vorbei. Weder Vertreter der Kirche noch der Gemeinde noch des Kantons. «Sie liessen mich alle sitzen», sagt die Jubilarin zu BLICK.
Am Stubentisch ihres Bauernhauses am Rande von Ueberstorf blättert die Seniorin durchs Familienalbum. Sie löst ihr Hochzeitsfoto heraus: Ein junges Paar lächelt in die Kamera, beide tragen Schwarz. Schafer erinnert sich: «Damals war man hier so streng katholisch, dass ich zur Trauung nicht Weiss tragen durfte, weil ich schwanger war.»
Immer ins Gemeindeleben integriert
1943 heiratet Schafer ihren Schulfreund Pius (†80) in der Dorfkirche, einen Bauernjungen aus der Nachbarschaft. Kurz darauf bringt sie Tochter Margot zur Welt. Die Zeiten sind schwer, die Familie arm. Trotzdem nimmt Schafer aktiv am Gemeindeleben teil, engagiert sich im Mütterverein. Ihr Mann amtiert acht Jahre lang als Kirchenrat. Das Grüne, die Natur, die Nachbarn: ihr Zuhause, ihre Heimat. Nie wollte die Seniorin weg. Auch ihre Tochter Margot (74) und Enkelin Béatrice (37) sind im Dorf geblieben.
Die Fotos in Schafers Album zeigt die Familie durch alle Generationen. 100 Jahre, die Ueberstorf mit seiner ältesten und treusten Bewohnerin teilt. 100 Jahre, die nun nicht einmal einen Glückwunsch wert sind.
Liebe Community, haben Sie auch schon einen grossen oder sogar runden Geburtstag in Ihrem Bekanntenkreis vergessen? Oder kennen Sie ein ähnliches Beispiel, in welchem sich niemand wirklich für einen runden Geburtstag einer älteren Person interessiert hat? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte in der Kommentarspalte oder per Mail an community@blick.ch.
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Feier extra in grosses Restaurant verlegt
Dabei will ihre Familie den Geburtstag nicht wie üblich zu Hause, sondern im Restaurant Schlüssel im Dorf feiern. Schliesslich erwartet man zahlreichen Besuch. Aber schon vor dem grossen Tag flattert die erste Absage ins Haus: vom Staatsrat von Freiburg, der traditionsgemäss jedem Bewohner des Kantons zum 100. Geburtstag einen Besuch abstattet. Er kann nicht dabei sein, weil die Feier an einem Sonntag stattfindet. «Er meinte nur, er könne am Montag kommen», sagt Tochter Margot.
Die Familie wendet sich an die Gemeindeschreiberin, erzählt ihr von der Absage. «Ich war mir sicher, dass sie jemanden schicken», so die Tochter.
Absage folgt auf Absage
Erst als die Stunden im Gasthof verstreichen, realisiert das Geburtstagskind, dass man es vergessen hat. Nicht einmal die Wirtin des Restaurants, CVP-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach (59), lässt Grüsse ausrichten. Die Politikerin war jahrelang Gemeindepräsidentin. «Vielleicht dachten sie, ich lebe gar nicht mehr», sagt Schafer traurig.
Ihre Tochter, Enkel und Urenkel geben ihr an jenem Geburtstag Kraft. «Sie haben mir auch so ein schönes Fest beschert», erzählt sie. Selbst wenn Gemeinde, Nationalrätin und Kirche bis heute nicht von sich hören liessen.
Schafer klappt das lederne Album zu. «Ich habe immer nach dem Motto gelebt, die schlechten Sachen hinter mir zu lassen.»