In Deutschland führt der Rockerkrieg immer wieder zu Akten blutiger Gewalt – Dutzende Anhänger von Motorcycle-Clubs (MC) starben schon bei Fehden zwischen den weltweit grössten Gangs: Hells Angels und Bandidos. Die Behörden erliessen deshalb ein «Kuttenverbot»: 48 Klubs und deren Ableger dürfen sich nicht mehr öffentlich mit ihren mit Aufnähern besetzten Lederjacken zeigen.
Jetzt droht der deutsche Rockerkrieg auf die Schweiz überzugreifen.
Mehrere Rocker aus der Region Thun BE wurden in den letzten Monaten vom Bandidos MC aufgenommen. Bilder, die von Rockern ins Internet gestellt wurden, belegen: Nach einem halben Jahr als Anwärter wurden die Männer Ende 2016 als vollwertige Mitglieder des Bandidos MC Italien aufgenommen.
Enge Beziehungen zum Chapter in Meran (I)
Die Schweizer Rocker pflegen enge Beziehungen zum Ableger im italienischen Meran. Bilder zeigen sie bei Treffen im Kreis ihrer Brüder im Südtirol. Nachdem zwei von ihnen sechs Monate lang die Aufschrift «Probationary» (Anwärter) trugen, wurden die bei Thun wohnhaften Männer Ende letzten Jahres offiziell aufgenommen. Seither tragen sie das Abzeichen «Bandidos Italy» auf ihrer Kutte.
Marco M. (43) spielt dabei eine zentrale Rolle. Bis vor ein paar Jahren war er Mitglied der Broncos Emmental, dann wurde er wegen eines klubinternen Streits mit einem sogenannten Bad Standing (schlechter Stand) hinausgeworfen.
Wechselnde Verbindungen
Seit dem letzten Sommer aber ist M. mit seinen Kontakten zum weltweit zweitstärksten MC wieder in einer starken Position. Insider wissen: Gründen die Bandidos in der Schweiz einen Ableger, wechseln auch andere, bisher den Hells Angels zugeordnete Chapter die Seiten. Beispielsweise sollen die Broncos Westside mit einem sogenannten Patch-over liebäugeln.
«Die Frage ist nur, ob die Bandidos in Deutschland und Italien die Neugründung in der Schweiz unterstützen würden», so der Szenekenner gegenüber SonntagsBlick.
Auch die Hells Angels haben die Zeichen der Zeit erkannt: Um der drohenden Neugründung eines Bandidos MC in der Schweiz entgegenzuwirken, haben sie in den letzten Monaten in der Region Thun einen Unterstützerklub ins Leben gerufen: die Kodiaks. Letzten Herbst eröffneten die Hells-Angels-Supporter ihr Klublokal in Mühlethurnen BE. Sergeant-at-Arms, also Sicherheitschef des Klubs, ist der Bodybuilder und Sporternährungshändler Marco H. (39) aus Heimberg BE.
Bundesamt für Polizei warnt vor Gewaltpotenzial
Die jüngsten Entwicklungen in der Rockerszene alarmieren die Sicherheitsbehörden. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) warnt vor einem «ernst zu nehmenden Gewaltpotenzial» der Rockerszene. Die Präsenz mehrerer rivalisierender Gruppierungen habe in den letzten Jahren wiederholt zu Spannungen und Übergriffen geführt, heisst es in einer Stellungnahme weiter. Tatsächlich sei die Szene derzeit «stark in Bewegung», sagt eine Sprecherin des Fedpol.
Mit wie viel Gewalt die Hells Angels ihr Territorium verteidigen, zeigte sich 2010, als ein weiterer Weltklub, der Outlaws MC, einen Ableger im Aargau gründete.
Mehrere Dutzend Hells Angels straften mit Unterstützung von Supportern in Ehrendingen AG die Outlaws-Rocker ab. Schüsse fielen, Autos wurden beschädigt.
Die Polizei identifizierte 50 Personen und beschlagnahmte unter anderem Schlagstöcke und Pistolen.
In der Schweiz sind mehrere Outlaws Motorcycle Clubs aktiv. Bisher kontrollierten die Hells Angels fast das ganze Land. Doch die Alleinherrschaft begann in den letzten Jahren zu bröckeln. Neben der Gründung von zwei Ablegern des Outlaws MC im Aargau und im Wallis steht nun die Gründung eines Bandidos MC in der Schweiz bevor. Zusätzlich machen auch Streetgangs den Hells Angels ihr Territorium streitig. Die balkanstämmigen United Tribuns und die Kurden-Gang Bahoz spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Ihr Ziel ist vor allem, das Türsteher- und Rotlichtgeschäft in der Schweiz zu kontrollieren. Stossen Angehörige verfeindeter Gruppen aufeinander, wird es gefährlich.