Trockenheit und Hitze setzen dem Schweizer Wald zu
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Buchen haben Probleme:Trockenheit und Hitze setzen dem Schweizer Wald zu

Bäume leiden unter Trockenheit und Hitze
Klimawandel tötet jede zweite Buche

«In Tieflagen müssen wir die Buche abschreiben», sagt Sabine Braun, leitende Pflanzenbiologin aus Witterswil SO. Auch die Fichtenbestände sind bedroht.
Publiziert: 31.08.2019 um 23:23 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2019 um 13:17 Uhr
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Forstwart Tim Oberkirch räumt mit der Säge eine tote Buche aus dem Weg. Im Wald bei Ettingen betreiben Förster derzeit Schadensbegrenzung.
Foto: Andrea Brunner
Cyrill Pinto

Es geht eigentlich nur noch um Schadensbegrenzung: An den Rändern von Strassen und Wanderwegen fällen Christoph Sütterlin (58) und seine Leute von der Forstbetriebsgemeinschaft «Am Blauen» vertrocknete Bäume. Vor allem Buchen, denn die sind für Waldspaziergänger eine Gefahr.

Auch wenn die Bäume gesund aussehen, können sie ohne äusseren Einfluss einfach zusammen­brechen. «Trockenbruch», diesen Begriff aus dem Fachjargon hat Sütterlin in seiner knapp 30-jährigen Karriere noch nie gebraucht – bis vor wenigen Wochen. Nun benutzt er ihn häufig: «Was sich derzeit in unseren Wäldern abspielt, ist extrem!»

Innerhalb von drei bis vier Wochen werfen die Buchen ihre Blätter ab, dann kommt das Ende. Für besonders betroffene Waldstücke hat Sütterlin versucht, das Phänomen zu quantifizieren: «In Rodersdorf SO sind 62 Prozent der Bäume krank und sterben demnächst ab, in Witterswil gar 70 Prozent.»

Waldbesuch ist zu gefährlich

Über das ganze Revier, schätzt der Revierförster, ist mindestens ein Fünftel der Bäume betroffen. Ein ganzer Wald stirbt. Auslöser war das extrem heisse, trockene Wetter 2018 – in diesem Jahr gaben ihnen Hitzeperioden mit über 35 Grad, Pilzerkrankungen und Borkenkäfer den Rest. Sütterlin zeigt auf eine Buche, die sein Team soeben gefällt hat: «Statt dem natürlichen Weiss hat das Holz eine gelbe Farbe – solche Bäume brechen zurzeit einfach auseinander.»

Lehrer, die wissen möchten, ob sie mit ihren Klassen in den Wald dürfen, weist Sütterlin ab: «Es ist zu gefährlich – ich kann keine Schulbesuche verantworten!» Sicherheitshalber liess er am Waldrand Warntafeln aufstellen.

Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, spielt sich in Schweizer Wäldern ein stilles Drama ab.

In der Ajoie sind 50 Prozent der Buchen dem Tod geweiht

Seit 35 Jahren erforscht Sabine Braun, heute Leiterin des Instituts für angewandte Pflanzenbiologie (IAP) in Witterswil, Werden und Vergehen in den grünen Lungen des Landes. Im Auftrag von Bund und Kantonen gibt das IAP alle vier Jahre den Bericht «Wie geht es unserem Wald?» heraus, zuletzt 2018. Braun zeichnet ein katastrophales Bild: In der nordjurassischen Ajoie seien 50 Prozent der Buchen bereits tot oder würden die nächsten Jahre nicht überstehen. Sie sind dort die verbreitetste Baum­art. Hohe Abgänge verzeichne man auch in Baselland, Solothurn und Schaffhausen, wo der Laubbaum ebenfalls die wichtigste Art im Wald ist.

Das derzeitige Ausmass des Baumsterbens ist für Braun einzigartig und erschreckend: «Wir wussten, dass Bäume wie die Buche durch den Klimawandel unter Druck geraten, doch niemand hat damit gerechnet, dass der Wandel so schnell voranschreitet», sagt die Pflanzenbiologin: «In den Tieflagen müssen wir die Buche abschreiben.»

Nicht nur nördlich des Juras, auch im Mittelland schlägt der heisse und trockene Sommer Schneisen in die Wälder: Vornehmlich die Fichte fällt dem Klima zum Opfer. Mehrere Gebiete im Kanton Zürich, die das IAP über Jahre im Auge hatte, musste das Institut inzwischen aufgeben, «weil alle Fichten auf der Beobachtungsfläche abgestorben sind» – unter anderem auf einer Fläche beim Gubrist und dem Gebiet Höri am Flughafen Zürich. Was derzeit im Schweizer Wald geschehe, gehe ihr unter die Haut, sagt Braun, die vor 38 Jahren zu den Mitgründern des IAP gehörte. Auch für die Zukunft kann sie keine Entwarnung geben: «Das Baumsterben wird sich im kommenden Jahr fortsetzen; von der Hitze und Trockenheit geschwächte Bäume sind besonders anfällig für Pilz- und andere Erkrankungen – viele werden deshalb die nächsten Sommer nicht überleben», so Braun.

Ausmass vergleichbar mit Orkan Lothar

Fast täglich melden sich derzeit Förster bei Thomas Wohlgemuth von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL): «Sie sind ratlos, wollen wissen, wie sie auf das Baumsterben reagieren sollen.» Doch auf die meisten Fragen weiss nicht einmal der Spezialist für Walddynamik eine Antwort.

Das Ausmass in den am meisten betroffenen Regionen sei mit dem Jahrhundert-Orkan Lothar am Stephanstag 1999 vergleichbar. Damals betrugen die Schäden im Schweizer Wald 750 Millionen Franken. Noch Jahre später dauerten die Aufräumarbeiten an.

Heute sind die Kantone Jura, Baselland, Solothurn, Schaffhausen, Gebiete am Walensee und in den Tieflagen der Zentralalpen besonders betroffen, weiss Wohlgemuth.

Manche Schätzungen betrachten bis zu ein Fünftel des Schweizer Walds als Notstandsgebiet. Da die regionalen Behörden mit den Folgen der Katastrophe finanziell überfordert sind, musste das Bundesamt für Umwelt bereits seine Vereinbarungen mit den Kantonen über die Abgeltung zum Erhalt von Schutzwäldern anpassen, so etwa für Bern, Luzern, Schaffhausen, Schwyz und Zug.

Noch hat Sütterlin in seinem Revier mit dem Wegräumen der abgestorbenen Bäume genug zu tun. Doch was dann? Aufforstung kostet Geld. Und als Ersatz für die geschlagenen Baumsorten kommen nicht viele infrage. Niemand weiss, wie unser Wald in zehn Jahren aussieht. Auch Christoph Sütterlin nicht.

Kommentar von Cyrill Pinto über das Waldsterben

Im Sommer 2015 wurden in Alaska rund 300 tote Seeotter angeschwemmt, mehr als drei Mal so viele wie gewöhnlich. Biologen fanden heraus: In ihrer Hauptnahrung, den Muscheln, hatte sich das Gift einer Alge angesammelt – die Otter waren am toxischen Schock verendet.

In den Jahren zuvor war im Ozean vor Alaska eine Warmwasserblase entstanden, die das Wachstum der tödlichen Alge begünstigte. Als das Meer kälter wurde, verschwanden die giftigen Algenteppiche.

Doch das Wasser vor Alaska wird nicht mehr kälter.

Die University of Washington veröffentlichte im Oktober 2018 Temperaturdaten der Pazifikregion zwischen dem Golf von Alaska und dem Nordpolarmeer: Im Zeitraum von drei Jahren lagen sie um rund zwei Grad Celsius über dem langjährigen Mittel. Noch fehlt ein endgültiger Beweis, doch die US-Meeresforscher haben einen Hauptverdächtigen für die Vorgänge ausgemacht: den globalen Klimawandel.

Auch die Pflanzenbiologin und Wald-Spezialistin Sabine Braun aus Witterswil SO ist sicher, dass das veränderte Klima Haupttreiber einer regionalen Katastrophe ist: des Waldsterbens in der Schweiz. Ursprünglich hatte sie erwartet, dass es langsam voranschreitet, weil sich Tiere und Pflanzen an höhere Temperaturen anpassen können.

Falsch gedacht: In den nördlichen Landesteilen starben 2018 rund 50 Prozent aller Bäume ab. Vor allem den Buchen setzte der heisse und trockene Sommer zu, die anderen waren so geschwächt, dass Pilze oder Schädlinge leichtes Spiel hatten: Manche Wälder verloren bis zu 70 Prozent ihres Bestandes. Vor kurzem war hierzulande das Gletschersterben sichtbarstes Symptom des Klimawandels, nun sind es die Wälder.

Statt Gegensteuer zu geben, befeuert die Europäische Union durch ihr Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten die Zerstörung des tropischen Regenwalds. Und in der Schweiz tun die Behörden so, als wäre das Absterben ganzer Wälder bloss ein finanzielles Problem.

Die vier Reiter der Apokalypse nahen bereits: Der Dritte bringt Hunger, der Vierte den Tod.

Cyrill Pinto, Reporter.

Im Sommer 2015 wurden in Alaska rund 300 tote Seeotter angeschwemmt, mehr als drei Mal so viele wie gewöhnlich. Biologen fanden heraus: In ihrer Hauptnahrung, den Muscheln, hatte sich das Gift einer Alge angesammelt – die Otter waren am toxischen Schock verendet.

In den Jahren zuvor war im Ozean vor Alaska eine Warmwasserblase entstanden, die das Wachstum der tödlichen Alge begünstigte. Als das Meer kälter wurde, verschwanden die giftigen Algenteppiche.

Doch das Wasser vor Alaska wird nicht mehr kälter.

Die University of Washington veröffentlichte im Oktober 2018 Temperaturdaten der Pazifikregion zwischen dem Golf von Alaska und dem Nordpolarmeer: Im Zeitraum von drei Jahren lagen sie um rund zwei Grad Celsius über dem langjährigen Mittel. Noch fehlt ein endgültiger Beweis, doch die US-Meeresforscher haben einen Hauptverdächtigen für die Vorgänge ausgemacht: den globalen Klimawandel.

Auch die Pflanzenbiologin und Wald-Spezialistin Sabine Braun aus Witterswil SO ist sicher, dass das veränderte Klima Haupttreiber einer regionalen Katastrophe ist: des Waldsterbens in der Schweiz. Ursprünglich hatte sie erwartet, dass es langsam voranschreitet, weil sich Tiere und Pflanzen an höhere Temperaturen anpassen können.

Falsch gedacht: In den nördlichen Landesteilen starben 2018 rund 50 Prozent aller Bäume ab. Vor allem den Buchen setzte der heisse und trockene Sommer zu, die anderen waren so geschwächt, dass Pilze oder Schädlinge leichtes Spiel hatten: Manche Wälder verloren bis zu 70 Prozent ihres Bestandes. Vor kurzem war hierzulande das Gletschersterben sichtbarstes Symptom des Klimawandels, nun sind es die Wälder.

Statt Gegensteuer zu geben, befeuert die Europäische Union durch ihr Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten die Zerstörung des tropischen Regenwalds. Und in der Schweiz tun die Behörden so, als wäre das Absterben ganzer Wälder bloss ein finanzielles Problem.

Die vier Reiter der Apokalypse nahen bereits: Der Dritte bringt Hunger, der Vierte den Tod.

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