16. Mai 2019, Washington, USA: Ueli Maurer (69) öffnet die Türe seiner schwarzen Limousine. Lächelnd nähert er sich dem Eingang des Weissen Hauses. Dort wartet bereits Donald Trump (73). Die beiden schütteln sich die Hand. Ein historischer Moment. Es ist das erste Treffen eines Schweizer Bundespräsidenten mit einem US-Präsidenten im Weissen Haus. Und es hätte der Auftakt zu Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der beiden Länder werden sollen – zumindest aus Sicht der Schweiz.
Genau ein Jahr ist seit Maurers Rendezvous mit Trump vergangen. Und Bern ist seinem Ziel keinen Schritt näher gekommen. BLICK weiss: Die Gespräche sind mittlerweile gar eingeschlafen. Schon der Start verlief nicht nach Plan. Im rund 40-minütigen Gespräch im Weissen Haus waren mögliche Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen nur kurz ein Thema. Das gleiche Bild beim Treffen zwischen Trump und Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) im Januar beim WEF. Auch in Davos wurde das Freihandelsabkommen nur am Rande thematisiert, stattdessen sprach Sommaruga den Klimawandel an und die Schweiz wurde für seine guten Dienste im Iran, wo sie als Schutzmacht für die USA agiert, gelobt.
«Ein Abkommen kommt dann zustande, wenn von beiden Seiten genügend Interesse da ist», konstatierte Sommaruga im Anschluss an das Treffen. Tatsache ist, dass die Trump-Regierung andere Prioritäten hat. Zum Beispiel der Handelskrieg mit China, der noch immer nicht beseitigt ist. Oder ein Deal mit Grossbritannien, wo man nach dem Brexit nun freie Hand hat und ein Abkommen mit den USA anstrebt.
Gespräche wegen Corona eingeschlafen
Die Schweiz musste sich in Washington von Anfang an weit hinten anstellen. Als Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) mit Trumps Handelsbeauftragtem Robert Lighthizer (72) Anfang 2019 beschloss, sogenannte exploratorische Gespräche über ein Freihiandelsabkommen aufzunehmen, wurde ihm dies klargemacht. In Washington sind die Erinnerungen an 2006 immer noch präsent, als der Deal am Widerstand aus der Schweizer Landwirtschaft scheiterte. Und ein Abkommen ohne die Bauern wird es mit den USA nicht geben.
Um ein neuerliches Scheitern zu verhindern, versucht die Schweiz herauszufinden, zu welchen Konzessionen die USA in Sachen Landwirtschaft bereit sind. Doch man beisst in Washington seit Monaten auf Granit. BLICK-Recherchen zeigen, dass die Gespräche auch wegen der Corona-Pandemie zusehends eingeschlafen sind. Die Schweizer Botschaft in Washington bestätigt dies: «Aufgrund des neuartigen Coronovirus ist sich die Botschaft der aktuellen Situation bewusst; wirtschaftliche und politische Notlagen und Prioritäten haben Vorrang.» Die Botschaft unterstütze weiterhin Bemühungen zur Erleichterung von Sondierungsgesprächen über das Freihandelsabkommen.
Die Vorzeichen vor Corona waren nicht schlecht: Die Beziehungen zu den USA sind so gut wie schon lange nicht mehr, Bern unterhält regelmässige Kontakte in die Trump-Regierung, anders als noch zu Zeiten von Barack Obama (58). Trump selbst sagte am WEF in Davos, dass er «gerne» ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz hätte. «Sehen wir, was möglich ist», fügte er damals an. Mehr als nette Worte an den Gastgeber waren das nicht.
Bis zu den US-Wahlen läuft nichts mehr
Die Pandemie könnte nun aber ein Turnaround sein, hofft Avenir-Suisse-Chef Peter Grünenfelder. Seine liberale Denkfabrik hat in einer Studie aufgezeigt, dass mit einem Freihandelsabkommen über 40'000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, 13'500 davon in der Schweiz: «Wenn nicht jetzt, wann dann?», sagt er. Die Schweiz und die USA könnten gegenseitig einen wichtigen Beitrag leisten, um wieder positive Perspektiven für die Wirtschaft zu schaffen. «Ein Freihandelsabkommen nach Corona wäre für beide Länder ein starkes Signal für Arbeitsplätze und Prosperität», sagt Grünenfelder.
Doch Corona hin oder her – die unmittelbare Realität sieht so aus: Bis im November 2020 wird nichts substanzielles mehr passieren. Die USA befinden sich in einem Wahljahr, der Fokus liegt auf den Präsidentschaftswahlen im November. Und dann muss die Schweiz womöglich wieder von vorne anfangen, sollte mit dem Demokrat Joe Biden (77) eine neue Regierung an die Macht kommen. Ein grosser Rückschlag wäre das aber nicht. Weit ist man ohnehin noch nicht gekommen.
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