Wie die Kavallerie galten die Radfahrer als Eliteeinheit, lautlos im Gefecht, berühmt für ihren Korpsgeist und topfit. Mehrere von ihnen schafften es bis in den Generalsrang, einer sogar in den den Bundesrat: Finanz- und Ex-Verteidigungsminister Ueli Maurer befehligte bis 1994 ein Radfahrer-Bataillon.
Dabei war es in den Anfängen mit der Disziplin offenbar nicht zum Besten bestellt: «Dank der Schnelligkeit ihrer Stahlrosse waren unsere Radfahrer meist sehr rasch den Blicken ihrer Obersten entschwunden und hatten sich in den Wirtshäusern eingenistet, aus denen sie nicht so leicht wieder herauszubringen waren», monierte 1895 der Geschäftsbericht des Eidg. Militärdepartements.
Die erste «Militär-Velocipedisten»-Rekrutenschule hatte drei Jahre zuvor in Bern stattgefunden und 22 Tage gedauert. Die Plätze im 231 Mann starken Radfahrer-Korps waren gefragt, obwohl die Teilnehmer ihre «Fahrmaschine» zunächst selber stellen mussten. So verlangte es das am 5. April 1892 in Kraft getretene Bundesgesetz über die «Radfahrerabtheilungen».
Ab 1905 wurde den Soldaten das sogenannte Ordonnanzrad abgegeben, das der Bund bei Herstellern wie Schwalbe, Caesar, Condor und Cosmos anfertigen liess. Die Hälfte der Anschaffung mussten die Soldaten selber bezahlen, erhielten dafür aber pro Diensttag eine Entschädigung ausgerichtet.
Anders als die ersten «Fahrmaschinen» war das «Modell 05» bereits mit Luftbereifung und Freilauf ausgerüstet. 1944 kam zur vorderen Stempelbremse und zum Rücktritt noch eine Trommelbremse hinzu. Ansonsten blieb das schwarz emaillierte Velo während beinahe 90 Jahren weitgehend unverändert - so lang wie kaum ein anderer Ausrüstungsgegenstand der Armee.
In ihrer Pionierzeit dienten die Radfahrer vor allem als Übermittler und Kuriere. 1924 wurden sie zur Kampftruppe umgewandelt und mit einem leichten Maschinengewehr ausgerüstet. Später kamen auch Raketenrohre und Panzerabwehr-Lenkwaffen (PAL) hinzu. Im Zweiten Weltkrieg erreichte der Sollbestand der drei Radfahrer-Regimente rund 9000 Mann.
1995 erhielt die Truppe mit der Eigenentwicklung «Modell 93» ein zeitgemässeres Fortbewegungsmittel, das auch mit einer Gangschaltung ausgerüstet war. Die Handicaps der flinken, aber im modernen Gefechtsfeld leicht verwundbaren Radler vermochte dies aber nicht wettzumachen.
Der fehlende Splitterschutz war einer der Hauptgründe, dass es für sie in der Armee XI keinen Platz mehr gab. 2001 kam der endgültige Befehl zum Abtreten. Hatte die Abschaffung der Kavallerie (1972) und der Militär-Brieftauben (1996) noch zu einem Aufschrei geführt, verabschiedeten sich die Radtruppen am 1. Mai 2003 mehr oder weniger lautlos mit einem letzten Defilee.
Das Velo ist deswegen nicht aus der Armee verschwunden. Als umweltfreundliches und billiges Nahverkehrsmittel kommt es im Rahmen von Ausbildungsdiensten weiter zum Einsatz, seit kurzem in Form des «Fahrrades 12». 4100 dieser Velos à 2500 Franken hat das Bundesamt für Rüstung vor fünf Jahren bei der Schweizer Firma Simpel geordert. Die Beschaffung wurde nötig, weil für das Ordonnanzrad 93 keine Ersatzteile mehr erhältlich waren.
Ein Design-Klassiker wie das «Modell 05»dürfte das Fahrrad 12 kaum werden. Denn die 22 Kilogramm schweren, äusserst robusten Veteranen mit dem Schweizerkreuz am Gabelrohr sind bei Liebhabern im In- und Ausland nach wie vor begehrt.
Fast 70'000 Stück hatte die Armee bis 1988 herstellen lassen. Bis vor wenigen Jahren verscherbelte sie die Räder noch für 150 Franken in ihren ArmyLiqShops. Heute werden perfekt restaurierte Modelle für rund 1500 Franken gehandelt, wie Philippe Schranz weiss. Der Lehrer aus Uetendorf BE bereitet selber Kulträder auf und unterhält auch eine der informativsten Websites (ordonnanzrad.ch) zum Thema.
Auch Ueli Maurer hält seinem Armee-Göppel bis heute die Treue. Noch immer legt der Bundesrat von Zeit zu Zeit seinen Arbeitsweg mit dem Zweirad zurück und benutzt dabei «zwischendurch» auch mal das Militärvelo, wie sein Sprecher Roland Meier auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda verrät.
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