Ankara gibt Geld und schreibt Lehrinhalte vor
Türkei plant Schulen in der Schweiz

Machthaber Erdogan will schweizerisch-türkische Schüler in Religion und Kultur ausbilden. Das zeigen Staatsdokumente aus Ankara, die dem SonntagsBlick vorliegen. Experten sind beunruhigt.
Publiziert: 12.05.2018 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2018 um 20:24 Uhr
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Erdogan plant Schulen in der Schweiz. Experten befürchten, dass Ankara den Unterricht für Staatspropaganda nutzten wird.
Foto: Illustration: Lily Metzker
Fabian Eberhard

Der türkische Staat macht in der Schweiz Schule. Vor einer Woche veröffentlichte der SonntagsBlick Bilder von uniformierten Kindern, die in Uttwil TG ein nationalistisches Kriegstheater nachspielen mussten. Organisiert im Heimatkunde-Unterricht, aufgeführt unter der Schirmherrschaft der türkischen Botschaft in Bern.

Ankara will Einfluss weiter ausbauen

Jetzt zeigen neue Recherchen: Ankara will seinen Einfluss auf schweizerisch-türkische Schüler weiter ausbauen. Die Türkei hat ein gross angelegtes Bildungsprogramm gestartet. Dieses hat zum Ziel, türkische Wochenendschulen in 15 westlichen Ländern zu gründen – darunter die Schweiz. Hinter dem staatlichen Projekt steht das Ministerium für Auslandstürken (YTB), eine 2010 von der Erdogan-Regierung gegründete Behörde mit 300 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von knapp 200 Millionen Franken.

Der offizielle Leitspruch des YTB: «Wir sind überall, wo wir einen Staatsangehörigen, einen Artgenossen, einen Verwandten haben.» Ein Leitartikel im offiziellen Medienorgan des Ministeriums ortet als grösstes Problem der Auslandstürken die Islamophobie und die strukturelle Benachteiligung von türkischstämmigen Schülern in Europa. Und: Jugendämter würden türkische Pflegekinder bewusst bei christlichen, in manchen Fällen sogar bei Familien mit Drogenproblemen oder bei «lesbischen Partnern» unterbringen. Dies sei Teil einer «kalkulierten Assimilationspolitik».

Anforderungen sind klar definiert

Mit der Bildungsoffensive will die AKP-Regierung dem nun entgegentreten. Dem SonntagsBlick liegen Dokumente aus dem YTB-Ministerium vor. Sie zeigen, wie sich Ankara das vorstellt. Die geplanten Schulen in der Schweiz sollen von türkischen Organisationen geführt werden und sind als freiwillige Ergänzung zur Volksschule gedacht. Interessenten können bis am 30. Juni 2018 einen Antrag auf Unterstützung einreichen. Dazu hat das YTB auf seiner Webseite ein detailliertes Anmeldeformular aufgeschaltet.

Die Anforderungen sind klar definiert: Die Klassen müssen aus 15 bis 25 Kindern und Jugendlichen bestehen. Die Angebote richten sich an Unter- und Oberstufenschüler von sechs bis 17 Jahren. Pro Woche sollen mindestens fünf Stunden ausgerichtet werden, darunter zwei Stunden türkische Sprache und je eine Stunde Geschichte, Religion und türkische Kultur.

Dabei werden die Schulen von der Erdogan-Regierung grosszügig unterstützt. Der türkische Staat bezahlt die Lehrer, die Unterrichtsmateria-lien sowie Zuschüsse für soziale und kulturelle Aktivitäten. Und: Das Ministerium diktiert den Lehrplan. Unklar ist, wie viele Schulen die Türkei in der Schweiz gründen will. Insider sprechen von bis zu einem Dutzend. Klar hingegen ist, um was es Machthaber Erdogan dabei geht. Schon 2008 rief er seinen Landsleuten im Ausland zu: «Niemand kann erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Assimila-tion ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.» Ein Schlachtruf wider die Integration, den er seither mehrmals erneuert hat.

Pädagogisches Förderprogramm

Das «pädagogische Förderprogramm», wie Ankara die Schuloffensive nennt, beunruhigt liberale Türken in der Schweiz. Sie befürchten, dass der türkische Staat die Kurse dazu nutzen will, Schüler mit nationalistisch-islamischer Propaganda zu indoktrinieren. Davor warnt auch Türkei-Experte Christoph Ramm von der Universität Bern. «Erdogan hat den Bildungsbereich extrem politisiert. An den Schulen hat die ideologische Beeinflussung von jungen Menschen zugenommen.» Diese Tendenz dürfte laut Ramm auch bei türkischen Angeboten in der Schweiz bestehen.

Er sagt: «Für Erdogan steht die Integration seiner Landsleute im Ausland an zweiter Stelle. Die türkische Kultur kommt für ihn immer zuerst.» Sowieso sei zu diskutieren, weshalb die gut integrierten türkischen Migranten der zweiten oder dritten Generation solche Schulen überhaupt brauchen. Der Türkei-Experte plädiert dafür, dass die Schweiz selber Angebote für türkische Sprache schafft. Und er mahnt: «Die Behörden sollten das Vorhaben von Ankara beaufsichtigen.»

Fakt ist aber: Im Gegensatz zu den vergangene Woche in die Schlagzeilen geratenen Heimatkundekursen wird der nun vom türkischen Staat  geplante Unterricht komplett unter dem Radar der Kantone laufen. Denn solche Ergänzungsschulen, wie es sie in der Schweiz auch vereinzelt für andere Sprach- und Religionsgemeinschaften gibt, brauchen keine Bewilligung. Solange kein eidgenössisch anerkanntes Diplom ausgestellt wird, haben die Schulbehörden nichts zu sagen.

Radikale Inhalte sind Fall für NDB

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) tönt aber an, dass allfällig radikale Unterrichtsinhalte ein Fall für den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) wären. Entscheidend wird sein, welche Organisationen die Wochenendschulen ausrichten werden. Ankara dürfte aber kaum ein Interesse daran haben, diese Erdogan-Kritikern zu überlassen. Möglich ist, dass Türken in der Schweiz Vereine gründen, um den Unterricht zu übernehmen. Interessiert an den Fördergeldern könnten aber auch bestehende Organisationen sein, darunter die AKP-Lobbygruppe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) oder die Türkisch-Islamische Stiftung für die Schweiz (TISS), ein direkter Ableger des Religionsministeriums Diyanet in Ankara.

Deren Führungsriegen pflegen enge Beziehungen in den türkischen Machtapparat – sie sind glühende Anhänger des Autokraten Recep Tayyip Erdogan.

Fabian Eberhard (Text) und Lily Metzker (Illustration)

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