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Philosoph Ludwig Hasler (75):«Wir Alten können uns selber helfen»

Alt Bundesrätin wehrte sich erfolgreich
Senioren sind keine Risikogruppe mehr – Altersklausel fällt aus Covid-Gesetz

Eveline Widmer-Schlumpf ist Präsidentin von Pro Senectute. Die Alt Bundesrätin erklärt, warum es keinen Sinn macht, sämtliche Senioren zur Risikogruppe zu erklären.
Publiziert: 05.09.2020 um 23:55 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2020 um 21:55 Uhr
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«Pro Senectute war es zu rigoros, Menschen im Pensionsalter, also 1,6 Millionen Menschen in der Schweiz, allein aufgrund ihres ­Alters zur sogenannten Risiko­gruppe zu zählen.»
Foto: Philippe Rossier
Interview: Milena Stadelmann

Menschen ab 65 Jahren gehörten bisher offiziell zur Risikogruppe. Sie haben sich gegen diese «Altersguillotine» ausgesprochen. Weshalb?
Eveline Widmer-Schlumpf:
Für ­ Pro Senectute war es zu rigoros, Menschen im Pensionsalter, also 1,6 Millionen Menschen in der Schweiz, allein aufgrund ihres ­Alters zur sogenannten Risiko­gruppe zu zählen. Auch ist der ­Begriff «Risikogruppe» problematisch. Von diesen Menschen geht kein Risiko aus – sie müssen durch unser aller Verhalten besonders vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt werden, ­respektive müssen sich ganz besonders schützen. Fakt ist: Wir Menschen altern sehr unterschiedlich. Seniorinnen und Senioren sind heute länger gesund und nehmen sehr aktiv am gesellschaftlichen ­Leben teil. Zudem sind sie eine wichtige Ressource und tragen viel zum Funktionieren der Gesellschaft bei.

Pro Senecute hat sich also gegen das «Risikoalter 65 plus» gewehrt ...
Unsere Mitarbeitenden auf der ­Geschäftsstelle setzten seit April alle Hebel in Be­wegung, um in der Öffentlichkeit, beim Bundesamt für Gesundheit und bei verschie­denen Behörden bezüglich dieser ­«Altersklausel» ein Umdenken zu erwirken. Mit Erfolg: So konnte Pro Senectute beim Covid-19-Gesetz ­erwirken, dass die Altersgrenze 65 nun gestrichen werden soll.

Corona-Gesetz: Jetzt ohne gefährdete Altersgruppen

Die Weisungen des Bundes für den Umgang mit dem Coronavirus waren klar. ­Ältere Menschen zählten offiziell zur Risikogruppe. «Als besonders gefährdete Personen gelten nach aktuellem Kenntnisstand Personen ab 65 Jahren»: So stand es in den Erläuterungen des ­Covid-19-Gesetzes, die der Bundesrat Ende Juni pub­lizierte. Diese Woche nun kommt das Gesetz ins Parlament, allerdings in einer neuen Version. Ein konkretes Alter taucht nirgends mehr auf. Die Rede ist nur noch von «besonders gefährdeten Personen». Auf die Streichung hatte vor allem Pro Senectute ­gedrängt. Menschen wegen ihres Alters als Risikopersonen zu bezeichnen, sei diskriminierend. Tatsächlich arbeiten viele Menschen auch nach Erreichen der Pensionsgrenze weiter – die Altersklausel unterwarf sie teilweise massiven Einschränkungen: Sie mussten im Lockdown zu Hause bleiben, durften nicht ausserhalb der eigenen vier Wände arbeiten.
Nicht nur Grosseltern, die ihre Enkel nicht mehr hüten durften, auch Eltern über 65 Jahren mit schulpflich­tigen Kindern standen vor Schwierigkeiten. Diese Problematik scheint nun behoben. ­Allerdings nur im Prinzip: Zwar beauftragt der Bundesrat das Parlament, mit seinem Entwurf zum Covid-Gesetz die gesetzlichen Grund­lagen dafür zu schaffen, dass er das bis­herige Massnahmenpaket fortführen kann. Dennoch erklärt das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage, man plane ­keine Anpassung der Richtlinien. Auf der Website des Bundes werden Personen von mehr als 65 Jahren weiterhin als Risikogruppe auf­geführt. (zis)

Die Weisungen des Bundes für den Umgang mit dem Coronavirus waren klar. ­Ältere Menschen zählten offiziell zur Risikogruppe. «Als besonders gefährdete Personen gelten nach aktuellem Kenntnisstand Personen ab 65 Jahren»: So stand es in den Erläuterungen des ­Covid-19-Gesetzes, die der Bundesrat Ende Juni pub­lizierte. Diese Woche nun kommt das Gesetz ins Parlament, allerdings in einer neuen Version. Ein konkretes Alter taucht nirgends mehr auf. Die Rede ist nur noch von «besonders gefährdeten Personen». Auf die Streichung hatte vor allem Pro Senectute ­gedrängt. Menschen wegen ihres Alters als Risikopersonen zu bezeichnen, sei diskriminierend. Tatsächlich arbeiten viele Menschen auch nach Erreichen der Pensionsgrenze weiter – die Altersklausel unterwarf sie teilweise massiven Einschränkungen: Sie mussten im Lockdown zu Hause bleiben, durften nicht ausserhalb der eigenen vier Wände arbeiten.
Nicht nur Grosseltern, die ihre Enkel nicht mehr hüten durften, auch Eltern über 65 Jahren mit schulpflich­tigen Kindern standen vor Schwierigkeiten. Diese Problematik scheint nun behoben. ­Allerdings nur im Prinzip: Zwar beauftragt der Bundesrat das Parlament, mit seinem Entwurf zum Covid-Gesetz die gesetzlichen Grund­lagen dafür zu schaffen, dass er das bis­herige Massnahmenpaket fortführen kann. Dennoch erklärt das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage, man plane ­keine Anpassung der Richtlinien. Auf der Website des Bundes werden Personen von mehr als 65 Jahren weiterhin als Risikogruppe auf­geführt. (zis)

Welche zusätzlichen Differenzierungen wären denn angebracht?
Aus unserer Sicht müssen sich ­Seniorinnen und Senioren mit ­einer Vorerkrankung, beispiels­weise einer Autoimmunerkrankung, chronischen Atemwegs­erkrankung, einem stark geschwächten Immunsystem sowie Menschen ­hohen Alters besonders schützen. Wichtig ist, dass die Schutzmassnahmen laufend der ­Situation ­angepasst werden.

Tatsache aber ist, dass Covid-19 vor allem bei über 65-Jäh­rigen Todesopfer fordert ...
Tatsache ist, dass das Immun­system ab 50 Jahren nachweislich weniger leistungsfähig ist und im Alter oft zusätzliche ­Erkrankungen auftreten. Aktuell stecken sich vor allem jüngere Menschen mit dem Virus an, was darauf schliessen lässt, dass ­Seniorinnen und Senioren der ­momentanen Situation mit der nötigen Vorsicht begegnen.

Der Herbst steht vor der Tür. Fürchten Sie, dass damit ­Covid-19 wieder vermehrt unter älteren Menschen zirkuliert?
Das Virus war und ist im Bewusstsein älterer Menschen nicht verschwunden. Die Gefahr einer Ansteckung ist nicht gebannt. Dies, zumal die saisonale Grippewelle zu erwarten ist. Eine Grippe kann für einen hochaltrigen Menschen, respektive für Menschen mit Vor­erkrankungen bereits eine Gefahr darstellen. Ältere Menschen sind nach wie vor besonders gefordert, auf sich Acht zu geben.

Sollten Senioren auf Wandern oder Jassabende wieder verzichten?
Nun gilt es, mit allen Mitteln eine zweite Ansteckungswelle zu verhindern. Das bedeutet aber nicht, dass Seniorinnen und Senioren ­darauf verzichten müssen, ein Stück Normalität zurückzuer­halten. Pro Senectute erarbeitete hierfür umfassende Schutzkon­zepte, um das breite Angebot an Kursen und Dienstleistungen unter sicheren Bedingungen wieder zu ermöglichen. Diese werden fortlaufend den neusten Entwicklungen angepasst. Die Wirksamkeit ­aller Schutzmassnahmen ist aber nur dann gegeben, wenn sich alle an die Vor­gaben halten.

Sind Sie damit zufrieden, wie die Seniorinnen und Senioren sich an die Schutzmassnahmen des BAG halten?
Wenn immer die Vorgaben des Bundes eindeutig und klar waren, wurden diese – insbesondere auch von den Seniorinnen und Senioren – gut eingehalten. Dies änderte sich nach dem Lockdown, ergo mit den Lockerungen der Massnahmen. Es galt, einen Weg in eine neue Normalität zu finden. Was darf ich tun? Worauf sollte ich derzeit noch verzichten? Diese Fragen muss jeder für sich klären und sein Risiko ­abschätzen. Damit auch besonders gefährdete Menschen langsam in ihren Alltag zurückkehren können, machte sich Pro Senectute dafür stark, dass eine Maskenpflicht im ÖV eingeführt wurde.

Wieso halten sich nicht alle Menschen an Abstandsregeln und Maskentragepflicht?
Natürlich ist die Disziplin nicht überall gleich. Grundsätzlich stellen wir aber fest, dass sich Jung und Alt gut an die Vorschriften halten.

Viele Seniorinnen und Senioren haben in den letzten Monaten Verzicht geübt. Insbesondere was die sozialen Kontakte an­belangt. Was bewirkt das bei den Menschen?
Der Rückzug ins Private geht mit ­einem Verlust an sozialen Kontakten einher, die für ältere Menschen besonders wichtig sind. Hier ist die Gesellschaft gefordert, an diese Menschen zu denken – anzurufen, nachzufragen, wie es geht oder ob man einen Einkauf oder etwa einen Gang zur Post für sie erledigen darf.

Haben Sie Angst davor, dass die ­Altersheime im Herbst wieder ein Besuchsverbot verhängen?
Die wegen der ersten Wochen der Coronavirus-Pandemie notwendig gewordenen Massnahmen der ­Altersheime bedeuteten oftmals eine Isolierung. Die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten via Telefon oder Post lasteten schwer auf den älteren Menschen, auf den ­Angehörigen, aber auch auf dem Pflegepersonal. Wir sind überzeugt, dass die Alters- und Pflegeheime ihre Schlüsse aus den letzten Monaten gezogen haben.

Sind die besonders verletzlichen Menschen jetzt also besser vor Covid-19 geschützt als zuvor?
Das Thema Corona war und ist omnipräsent. Die Menschen sind sensibilisiert. Aber natürlich stellt sich auch eine gewisse «Corona-Müdigkeit» ein. Jetzt heisst es umso mehr, am Ball zu bleiben, die Hygiene­regeln und Verhaltensempfehlungen weiter zu befolgen und eine zweite Ansteckungswelle mit aller Kraft zu verhindern – auch im Hinblick auf die zu erwartende saisonale Grippewelle.

Sie sind selber Grossmutter. Hüten Sie Ihre Enkel weiterhin?
Ich bin 64 und gehöre damit noch nicht zu den vom BAG als Corona-­Risikogruppe bezeichneten Personen. Die BAG-Empfehlung betreffend Enkelhüten gilt heute nicht mehr. Grundsätzlich können und dürfen also alle Grosseltern ihre Enkel­kinder hüten. Wichtig ist aber, dass man innerhalb der Familie ­abspricht, was für jede und jeden richtig und vertretbar ist. Und auch im Familienkreis ist es wichtig, sich immer an die Hygieneregeln und Verhaltensempfehlungen zu halten.

Welche Erfahrungen nehmen Sie aus dem letzten halben Jahr mit?
Diese Krise zeigte die Fragilität der «Normalität» auf. Das Credo un­serer Organisation, «Gemeinsam stärker», bewahrheitet sich einmal mehr. Es bleibt zu hoffen, dass wir alle auch etwas Positives aus dieser Krise mitnehmen können. Wir s­ehen heute, dass wir als Gemeinschaft – Jung und Alt, gesunde und besonders gefährdete Menschen – in den letzten, schwierigen Monaten grundsätzlich sehr gut funktioniert haben. Die Erkenntnis, dass wir als Gesellschaft viel durch­stehen und meistern können, wird Einfluss auf das Zusammenleben und die Bewältigung künftiger ­Herausforderungen haben. Die zahlreichen Solidaritäts­bekundungen über die Genera­tionengrenzen hinaus, die in den letzten Monaten wieder stärker wahrnehmbar ­waren, machen mir jedenfalls Mut.

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