Ältere Mitarbeitende in der Corona-Krise
Die Entlassungswelle kommt noch

Zu Beginn der Pandemie verloren vor allem jüngere Mitarbeiter ihre Stelle. In den nächsten Monaten dürfte es eher die älteren Angestellten treffen.
Publiziert: 29.08.2020 um 23:37 Uhr
1/8
In der ersten Monaten der Corona-Krise verloren vor allem Junge ihren Job.
Foto: Keystone
Camilla Alabor

Aufbruch zu neuen Ufern: Als Monica Odermatt (53) ihre Schwimmschule verkaufte, die sie 20 Jahre zuvor aufgebaut hatte, fühlte es sich an wie ein Befreiungsschlag. Sie freute sich, künftig ­wieder nur Mitarbeiterin zu sein und nicht mehr ­Chefin. Darauf, ihre Moti­vation wiederzufinden. Auf einen neuen Lebensabschnitt. Die Zugerin war sicher: Einen Job zu finden, wäre aufgrund ihres breiten Netzwerks keine grosse Sache. Das war im Jahr 2018.

Heute ist ihr Optimismus ver­flogen. Zwar wurde die ausgebildete Detailhändlerin immer wieder zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Drei Mal schaffte sie es unter die letzten zwei Kandidaten. Doch bis jetzt hat sie – abgesehen vom 20-Prozent-Pensum in einem Bistro – keine passende Stelle gefunden.

«Ich hätte nie damit gerechnet, dass es so schwierig wird», sagt sie ernüchtert. Nun habe die Corona-Krise alles noch schwieriger gemacht. «Bei den Unternehmen heisst es seither durchs Band: Wir sind auf Kurzarbeit, wir stellen niemanden an, müssen selber Personal entlassen», erzählt Odermatt, die gern im Verkauf oder im Aussendienst arbeiten würde.

Wie angewurzelt

Mit diesem Stillstand umzugehen, sei schwierig. «Es fühlt sich an, als ob meine Füsse am Boden angeleimt wären. Ich würde gerne loslaufen, komme aber nicht voran.»

Monica Odermatt ist mit ­ihren Schwierigkeiten nicht allein: Schon heute zählt die Schweiz rund 22 000 Langzeitarbeitslose, also Menschen, die seit über einem Jahr auf Stellensuche sind. Ihre Zahl dürfte in Zukunft deutlich zunehmen, wie ein Vergleich mit der Finanzkrise von 2008 nahelegt.

«Ähnlich wie bei der aktuellen Wirtschafts­krise verloren damals in den ersten Monaten vor allem die Jungen ihre Stelle», hält Michael Siegenthaler von der ETH- Konjunkturforschungsstelle fest.

In der zweiten Entlassungsrunde traf es laut dem Arbeitsmarktexperten hingegen vorwiegend die älteren Mitarbeiter.

Das ist ein Problem, denn ältere Arbeitslose brauchen im Schnitt länger, bis sie wieder eine Stelle finden. Laut Siegenthaler könnten die Langzeitarbeitslosen 2021 ein Drittel aller Arbeitslosen aus­machen. Zum Vergleich: Noch im ­Januar 2020 lag ihr Anteil bei 12 Prozent. Siegenthalers Fazit: «Der Effekt der Krise wird erst nächsten Sommer voll zu spüren sein.»

40 Prozent Langzeitarbeitslose?

Noch düsterer ist das Szenario, das der emeritierte Basler Wirtschafts­professor George Sheldon entwirft: Laut dem von ihm entwickelten Frühindikator könnte der Anteil der Langzeitarbeitslosen im nächsten Jahr auf bis zu 40 Prozent steigen!

Keine Frage, dass die Situation für ­jeden Betroffenen ein persönliches Drama bedeutet. Doch sie birgt auch strukturelle Risiken. «Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist umso schwieriger, je höher der Anteil Langzeit­arbeitsloser ist», so Arbeitsmarkt­experte Sheldon. Mit ein Grund dafür ist das Stigma der Langzeitarbeitslosigkeit: Unternehmer zögern eher, jemanden einzu­stellen, der lange ohne Job war. «Das ist, wie wenn Sie in ein Blumengeschäft gehen», zieht Sheldon einen Vergleich. «Da wollen Sie auch die frischen Blumen kaufen und nicht jene von gestern.»

Doch Sheldon will nicht nur schwarzmalen, sondern auch ein wenig Hoffnung verbreiten. «Der Frühin­dikator zeigt an, was passiert, wenn man keine Massnahmen ergreift», sagt der Ökonom.

Sein Ratschlag an ­Stellensuchende lautet deshalb, sich einen Zwischenverdienst zu suchen. Selbst wenn das Salär unter dem liegt, was man zuvor verdient hatte.

«Denn damit», so Sheldon, «ist man für die Jobsuche in einer bes­seren Ausgangslage, als wenn man gar ­keine Stelle hat.»

«Hänge nicht an deinem Ideal fest» - Tipps für einen Neustart mit 50

Frau Höller, die Neustarter-Stiftung unterstützt Menschen über 49, die beruflich etwas Neues wagen wollen. Was raten Sie Personen, die sich nach einer halben Karriere im selben Bereich neu orientieren möchten?
Bernadette Höller: Zwei Punkte scheinen mir wichtig. Viele Menschen, die beruflich neu starten wollen, überlegen sich: Was will ich? Das ist ein guter Startpunkt. Oft gehen aber andere Aspekte vergessen. Die Frage etwa, wie der Markt aussieht: Welche Angebote, Profile und Fähigkeiten werden gesucht? Fehlt im angestrebten Bereich die Nachfrage, ist ein Wechsel womöglich keine gute Idee.

Und Ihr zweiter Ratschlag?
Hänge nicht zu sehr an deinem Ideal fest. Viele Menschen halten sich über Monate oder gar Jahre mit der Frage auf, was ihr Traumjob wäre.

Was ist daran falsch?
Es besteht die Gefahr, dass man beim Nachdenken bleibt und nicht ins Handeln kommt. Manchmal ist es sinnvoller, sich zu überlegen, wie man sich seinem Ziel schrittweise nähern kann, statt zu sagen: Das oder gar nichts.

Können Sie ein Beispiel geben?
Es gab eine Dame, die war noch in einer Festanstellung, aber wollte gerne als Selbständige ein Nachmittagsprogramm für Kinder berufstätiger Eltern auf die Beine stellen. Anstatt sich lange mit einem Businessplan aufzuhalten, verhandelte Sie bei ihrem Arbeitgeber einen freien Nachmittag, an dem sie erstmal begann, ihr Angebot zu testen. So konnte Sie wertvolles Feedback der Kinder und Eltern sammeln: Welche Zeiten wären für die Eltern besonders praktisch? Wie ist die Zahlungsbereitschaft? Je mehr man weiss, desto besser kann man potentielle Kunden begeistern. Klappt das Ganze nicht, ist man trotzdem schlauer.

Und steht nicht ohne nichts da.
Genau. Grundsätzlich gilt: Wer tatsächlich etwas ganz anderes machen will, tut gut daran, vor dem Sprung ins kalte Wasser erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Wenn jemand zum Beispiel ein Restaurant eröffnen will, ist es sicher eine gute Idee, in den Ferien erstmal in einem Betrieb mitzuhelfen und zu erfahren, inwiefern Traum und Realität tatsächlich übereinstimmen. Oft gibt es aber auch Möglichkeiten, innerhalb der aktuellen Anstellung sein Spielfeld zu erweitern.

Ja?
Ich denke da an jene HR-Verantwortliche in der Finanzbranche, die sich kreativ betätigen wollte. Sie beschloss, auf LinkedIn kleine Artikel aus dem Berufsalltag und was dort gerade so passiert, zu schreiben – während ihrer Arbeitszeit. Das war eine Win-Win-Situation: Die Mitarbeiterin war zufriedener in ihrem Job und das Unternehmen profitierte von der authentischen Darstellung der Firma nach aussen.

Die Coronakrise dürfte dazu führen, dass auch viele über 50-Jährige ihren Job verlieren. Sie sind besonders gefährdet, langzeitarbeitslos zu werden. Was raten Sie Menschen in einer solchen Situation?
Die Coronakrise verdeutlicht, wie volatil die heutige globalisierte Welt ist. Auch ältere Mitarbeiter müssen sich, nicht erst seit Corona, vermehrt überlegen, wie ihr Plan B aussehen könnte. Das heisst auch, Freizeit und vielleicht sogar Geld dafür auszugeben, sich weiterzubilden.

Müssen ältere Mitarbeiter auch bereit sein, Lohneinbussen in Kauf zu nehmen?
Wir sollten uns davon lösen, ein fixes Gehalt oder ein konkretes Einsatzgebiet im Kopf zu haben. Stattdessen sollte man sich überlegen: Welcher Bereich interessiert mich und warum? Welche Unternehmen bewegen sich in diesem Feld und wie könnte ich mich einbringen? Noch orientieren sich viele am System, das Personen nach ihrem Gehalt und ihrer Hierarchiestufe bewertet. Doch das ändert sich langsam.

Tatsächlich?
Ja, immer mehr Menschen in ihrer Lebensmitte suchen explizit nach «etwas sinnvollem». Wenn der Inhalt der Arbeit im Zentrum steht statt die Kaderstufe, kann man auch viel besser übers Gehalt sprechen.

Wie sagen Sie jemandem, der mit über 50 den Job verloren hat und überzeugt ist, aufgrund seines Alters nichts mehr zu finden?
Das kalendarische Alter ist nichts, was man ändern kann. Daher sollte man Sätze wie «Bei mir liegt es am Alter, dass ich beruflich nicht weiter komme» möglichst gar nicht erst denken. Zielführender ist es, zu überlegen, was im eigenen Einflussbereich liegt. Und das ist viel mehr, als wir oft glauben: Wir können Einfluss nehmen auf unsere Einstellung, unsere Fähigkeiten, unser Wissen, das eigene Netzwerk, die Vorgehensweise bei der Stellensuche unseren Look und vieles mehr. Darauf lohnt es sich, zu fokussieren.

Frau Höller, die Neustarter-Stiftung unterstützt Menschen über 49, die beruflich etwas Neues wagen wollen. Was raten Sie Personen, die sich nach einer halben Karriere im selben Bereich neu orientieren möchten?
Bernadette Höller: Zwei Punkte scheinen mir wichtig. Viele Menschen, die beruflich neu starten wollen, überlegen sich: Was will ich? Das ist ein guter Startpunkt. Oft gehen aber andere Aspekte vergessen. Die Frage etwa, wie der Markt aussieht: Welche Angebote, Profile und Fähigkeiten werden gesucht? Fehlt im angestrebten Bereich die Nachfrage, ist ein Wechsel womöglich keine gute Idee.

Und Ihr zweiter Ratschlag?
Hänge nicht zu sehr an deinem Ideal fest. Viele Menschen halten sich über Monate oder gar Jahre mit der Frage auf, was ihr Traumjob wäre.

Was ist daran falsch?
Es besteht die Gefahr, dass man beim Nachdenken bleibt und nicht ins Handeln kommt. Manchmal ist es sinnvoller, sich zu überlegen, wie man sich seinem Ziel schrittweise nähern kann, statt zu sagen: Das oder gar nichts.

Können Sie ein Beispiel geben?
Es gab eine Dame, die war noch in einer Festanstellung, aber wollte gerne als Selbständige ein Nachmittagsprogramm für Kinder berufstätiger Eltern auf die Beine stellen. Anstatt sich lange mit einem Businessplan aufzuhalten, verhandelte Sie bei ihrem Arbeitgeber einen freien Nachmittag, an dem sie erstmal begann, ihr Angebot zu testen. So konnte Sie wertvolles Feedback der Kinder und Eltern sammeln: Welche Zeiten wären für die Eltern besonders praktisch? Wie ist die Zahlungsbereitschaft? Je mehr man weiss, desto besser kann man potentielle Kunden begeistern. Klappt das Ganze nicht, ist man trotzdem schlauer.

Und steht nicht ohne nichts da.
Genau. Grundsätzlich gilt: Wer tatsächlich etwas ganz anderes machen will, tut gut daran, vor dem Sprung ins kalte Wasser erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Wenn jemand zum Beispiel ein Restaurant eröffnen will, ist es sicher eine gute Idee, in den Ferien erstmal in einem Betrieb mitzuhelfen und zu erfahren, inwiefern Traum und Realität tatsächlich übereinstimmen. Oft gibt es aber auch Möglichkeiten, innerhalb der aktuellen Anstellung sein Spielfeld zu erweitern.

Ja?
Ich denke da an jene HR-Verantwortliche in der Finanzbranche, die sich kreativ betätigen wollte. Sie beschloss, auf LinkedIn kleine Artikel aus dem Berufsalltag und was dort gerade so passiert, zu schreiben – während ihrer Arbeitszeit. Das war eine Win-Win-Situation: Die Mitarbeiterin war zufriedener in ihrem Job und das Unternehmen profitierte von der authentischen Darstellung der Firma nach aussen.

Die Coronakrise dürfte dazu führen, dass auch viele über 50-Jährige ihren Job verlieren. Sie sind besonders gefährdet, langzeitarbeitslos zu werden. Was raten Sie Menschen in einer solchen Situation?
Die Coronakrise verdeutlicht, wie volatil die heutige globalisierte Welt ist. Auch ältere Mitarbeiter müssen sich, nicht erst seit Corona, vermehrt überlegen, wie ihr Plan B aussehen könnte. Das heisst auch, Freizeit und vielleicht sogar Geld dafür auszugeben, sich weiterzubilden.

Müssen ältere Mitarbeiter auch bereit sein, Lohneinbussen in Kauf zu nehmen?
Wir sollten uns davon lösen, ein fixes Gehalt oder ein konkretes Einsatzgebiet im Kopf zu haben. Stattdessen sollte man sich überlegen: Welcher Bereich interessiert mich und warum? Welche Unternehmen bewegen sich in diesem Feld und wie könnte ich mich einbringen? Noch orientieren sich viele am System, das Personen nach ihrem Gehalt und ihrer Hierarchiestufe bewertet. Doch das ändert sich langsam.

Tatsächlich?
Ja, immer mehr Menschen in ihrer Lebensmitte suchen explizit nach «etwas sinnvollem». Wenn der Inhalt der Arbeit im Zentrum steht statt die Kaderstufe, kann man auch viel besser übers Gehalt sprechen.

Wie sagen Sie jemandem, der mit über 50 den Job verloren hat und überzeugt ist, aufgrund seines Alters nichts mehr zu finden?
Das kalendarische Alter ist nichts, was man ändern kann. Daher sollte man Sätze wie «Bei mir liegt es am Alter, dass ich beruflich nicht weiter komme» möglichst gar nicht erst denken. Zielführender ist es, zu überlegen, was im eigenen Einflussbereich liegt. Und das ist viel mehr, als wir oft glauben: Wir können Einfluss nehmen auf unsere Einstellung, unsere Fähigkeiten, unser Wissen, das eigene Netzwerk, die Vorgehensweise bei der Stellensuche unseren Look und vieles mehr. Darauf lohnt es sich, zu fokussieren.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?