Schweiz will Ilir S.* am liebsten loswerden
Kein Asyl für den UCK-Kommandanten

Der kosovarische Ex-Kommandant Ilir S.* ist ein wichtiger Zeuge für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Den Schweizer Behörden ist er vor allem lästig. SonntagsBlick hat ihn ein halbes Jahr begleitet.
Publiziert: 21.09.2019 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2019 um 10:27 Uhr
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Zwei Jahre wohnte der UCK-Kommandant mit seiner Familie in einem Asylheim in der Deutschschweiz. Bei der Ankunft im Asylheim fanden sie die Küche in einem prekären Zustand vor. «Wie soll man da kochen?»
Foto: zVg
Dafina Eshrefi

Ilir S. war Kommandant der kosovarischen Befreiungsarmee UCK. Heute ist er ein wichtiger Zeuge im Den Haager Kosovo­tribunal. Dieses Spezialgericht wurde 2017 zur Aufklärung von Kriegsverbrechen während des Kosovokriegs Ende der Neunzigerjahre eingerichtet.

In der Schweiz jedoch ist Ilir S. offensichtlich wenig erwünscht. Zwei Jahre musste er mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem Asylheim in der Deutschschweiz ausharren. Diesen Sommer hat er einen negativen Asylentscheid erhalten. Die Familie S. erhält den Status «vorläufig aufgenommen».

Mehrere Mordversuche überlebt

Ausreisen muss sie also nicht. Doch für einen vorläufig Aufgenommenen ist es viel schwieriger, eine Arbeitsstelle zu bekommen, denn der Aufenthalt kann jederzeit widerrufen werden. Auch kann er nicht frei entscheiden, wo in der Schweiz er wohnen möchte.
SonntagsBlick hat den 50-Jährigen während sechs Monaten immer wieder getroffen und im Durchgangsheim besucht. Abgesehen von ein paar Familienmitgliedern weiss niemand, dass sich die Familie in der Schweiz befindet.

Ilir S. musste fliehen, weil es im Kosovo für ihn und seine Familie zu gefährlich wurde. Mehrere Male hat man offenbar versucht, ihn umzubringen. Denn Ilir S. hat sich mit den Mächtigsten seines Landes angelegt: Hashim Thaci, dem amtierenden Kosovo-Präsidenten, und dessen Entourage. Er sagt: «Ich sollte auch einer dieser Hunde werden, die willkürlich Gegner beseitigen.» Als er bei der Verhaftung des Bruders von Präsident Thaci dabei war, fiel er endgültig in Ungnade. Kurze Zeit später wurde ihm die Stelle bei der Polizei gekündigt. Beim letzten Mordversuch wurde vor seinem Haus in Kosovo ein Sprengsatz an der Eingangstür montiert. «Die Bombe hätte eine weiträumige Detonation ausgelöst und mehrere Menschen getötet.»

Sicherheitschef der UCK und Mitglied des Geheimdienstes

Ilir S. hat im Kroatienkrieg als Freiwilliger an der Seite der Kroa­ten gegen die Serben gekämpft. Als der Krieg im Kosovo ausbrach, lebte Ilir S. mittlerweile in Deutschland. «Sobald ich hörte, dass der UCK-Kommandant Adem Jashari zusammen mit 55 seiner Familienmitglieder getötet wurde – darunter hauptsächlich Frauen und Kinder – schloss ich mich dem Befreiungskampf an.» Im Kosovokrieg stieg er dann rasch zum Sicherheitschef innerhalb der Befreiungsarmee UCK auf. In deren Auftrag reiste er Ende 1998 in die Schweiz, um von einer israelischen Firma Panzer- und Luftabwehrwaffen zu kaufen.

Seine ehrlichen Aussagen be den Schweizer Behörden über diese versuchte Geschäftsabwicklung, werden ihm später zum Verhängnis. Damit hat er zugegeben, sich an einer «verwerflichen Handlung» beteiligt zu haben. «Alles, was die Behörden über mich wissen, haben sie von mir selber erfahren. Ich war stets ehrlich zu ihnen. Wäre es ihnen lieber gewesen, ich hätte gelogen? Es herrschte Krieg.» Der Deal mit der israelischen Firma kommt nicht zustande. «Die Menschen müssen verstehen, dass die UCK lediglich gekämpft hat, weil alle anderen Bemühungen für Frieden gescheitert sind.»

Ilir S. ist Zeuge – kein Verdächtiger

Nach dem Krieg war sich Ilir S. sicher: Alles würde nun seinen richtigen Lauf nehmen. Doch die Ernüchterung kam schnell. Durch seine Arbeit im Geheimdienst der UCK und später des Sicherheitsdienstes des Kosovo erhielt er Einblick in Akten, die viele hochrangige Politiker im Kosovo schwer belasten. Was er über Präsident Thaci weiss, will er SonntagsBlick nicht verraten. «Das ist viel zu gefährlich.»

Anfang dieses Jahres wird Ilir S. als Zeuge – und nicht als Verdächtiger – vom Kosovotribunal in Den Haag (NL) aufgeboten. Die schriftliche Einladung des Spezialgerichts liegt SonntagsBlick vor. Weil Ilir S. zu diesem Zeitpunkt noch Asylsuchender ist, darf er die Schweiz nur mit einer Ausnahmebewilligung des Bundes verlassen. In Den Haag wird Ilir S. mehrere Tage lang am Stück befragt.

Dass er eine wichtige Rolle zur Aufklärung von Kriegsverbrechen spielen könnte, interessiert die Schweizer Behörden nicht. Ilir S. hat «die Bedeutung seiner Person sowohl während als auch nach dem Krieg aufzubauschen versucht, um sich selbst unter anderem im Asylverfahren Vorteile zu verschaffen», glaubt man beim Bund. In den Augen der Schweizer ist er ein Aufschneider.

Beim Bund geht man aber auch davon aus, dass Ilir S. während des Krieges und danach an «verwerflichen Handlungen» beteiligt gewesen sein soll. Weil er jedoch mit seiner Zeugenaussage den derzeitigen Staatspräsidenten und andere namhafte Personen im Kosovo belaste, sei er gefährdet und darf deshalb mit seiner Familie vorläufig in der Schweiz bleiben.
Er habe durchgehend den Eindruck gehabt, die Schweiz wolle ihn einfach loswerden, behauptet Ilir S. gegenüber SonntagsBlick. Weshalb sonst man ihn habe zwei Jahre lang in einem Durchgangszentrum festgehalten?

Zwei Jahre im Asylheim

Ilir S. glaubt, man habe seinen Fall künstlich in die Länge gezogen, damit er vor Frust das Land verlasse. Bei den Befragungen hätten die Behörden immer wieder nachgehakt: «Wollen Sie wirklich hier bleiben? Die Schweiz ist doch für Sie unsicher. Hier leben so viele Albaner.» Ilir S. empfand die Zeit im Asyl-Durchgangszentrum als Zumutung. Vor allem junge, alleinstehende Männer aus den arabischen Ländern seien dort untergebracht gewesen.

«Es gab keine Regeln. Nachts machten sie Party oder spielten Fussball!» Als prekär empfand er vor allem die Sicherheit im Heim: «Eine alleinstehende Frau empfing Freier in ihrem Zimmer und liess deshalb nachts die Tür immer offen, damit die Männer unbemerkt zu ihr gelangen konnten.» Beschwerte er sich bei den Zuständigen da­rüber, liess man ihn abblitzen. «Die haben mich nicht ernst genommen und auch nicht die Gefahr, der ich ausgeliefert bin.» Ilir S. bastelte selber eine Türsicherung in seinem Zimmer. «Das kann mich natürlich nicht retten, aber es würde mir bei einem Angriff etwas Zeit verschaffen, um meine Familie zu beschützen.»

«Wer die Wahrheit spricht, gilt als Verräter»

Das Kosovotribunal aus Den Haag hat Ilir S. angeboten, ihn in sein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Offenbar hält Den Haag die Schweiz für kein sicheres Land. Die Zusammenarbeit mit der Schweiz sei nicht einfach, habe man dem Kosovaren bei einem Treffen in der Schweiz erklärt.

Ilir S. will aber hier bleiben. «Ich will nicht meinen Namen ändern und zwanzig Jahre untertauchen. Ich schulde keinem was! Ich glaube an die Neutralität der Schweiz.»

Zur Lage in seiner Heimat meint Ilir S.: «Im Kosovo gibt es keine Gerechtigkeit. Wer die Wahrheit ausspricht, gilt als Verräter, während die wahren Verräter und Lügner sich als Patrioten ausgeben.» 

*Name der Redaktion bekannt

Tribunal gegen UCK

Womöglich zieht sich die Schlinge zu für den Staatspräsidenten des Kosovo, Hashim Thaci (51, Bild). Im Jahr 2017 wurde das Kosovotribunal mit Sitz in Den Haag gegründet. Dieses Spezialgericht soll die Kriegsverbrechen der Befreiungsarmee UCK während des Kosovokriegs aufdecken. Das Kosovotribunal ermittelt dabei gegen führende kosovarische Politiker. Opfer der Kriegsverbrechen sollen serbische Zivilisten, Roma und Albaner sein, die mit Serbien zusammenarbeiteten.

Gemäss Experten sollen aussagewillige Zeugen in der Vergangenheit eingeschüchtert oder sogar ermordet worden sein. Eine Vorladung des Kosovotribunals führte zuletzt dazu, dass Staatschef Ramush Haradinaj (51) sein Amt als Premierminister Kosovos niederlegte. Haradinaj stand schon zwei Mal vor dem Uno-Tribunal für das frühere Jugoslawien. Aus Mangel an Beweisen wurde die Anklage jedoch fallen gelassen.

Die Vorwürfe gegen die Anführer der UCK stützen sich unter anderem auf einen Bericht des Schweizers Dick Marty aus dem Jahr 2011. Parlamentarier, die Präsident Thaci nahestehen, versuchten mehrmals das Spezialgericht zu sabotieren. Nach wie vor sollen sie entschlossen sein, dem Tribunal ein Ende zu setzen. Zu hoch sei die Gefahr, dass führende Politiker ihre Macht verlören.

Im Januar 2018 stellte die Schweiz dem Kosovotribunal Fördermittel in Höhe von 200 000 Franken zur Verfügung. Das Gericht hat noch keine Anklage erhoben.

Womöglich zieht sich die Schlinge zu für den Staatspräsidenten des Kosovo, Hashim Thaci (51, Bild). Im Jahr 2017 wurde das Kosovotribunal mit Sitz in Den Haag gegründet. Dieses Spezialgericht soll die Kriegsverbrechen der Befreiungsarmee UCK während des Kosovokriegs aufdecken. Das Kosovotribunal ermittelt dabei gegen führende kosovarische Politiker. Opfer der Kriegsverbrechen sollen serbische Zivilisten, Roma und Albaner sein, die mit Serbien zusammenarbeiteten.

Gemäss Experten sollen aussagewillige Zeugen in der Vergangenheit eingeschüchtert oder sogar ermordet worden sein. Eine Vorladung des Kosovotribunals führte zuletzt dazu, dass Staatschef Ramush Haradinaj (51) sein Amt als Premierminister Kosovos niederlegte. Haradinaj stand schon zwei Mal vor dem Uno-Tribunal für das frühere Jugoslawien. Aus Mangel an Beweisen wurde die Anklage jedoch fallen gelassen.

Die Vorwürfe gegen die Anführer der UCK stützen sich unter anderem auf einen Bericht des Schweizers Dick Marty aus dem Jahr 2011. Parlamentarier, die Präsident Thaci nahestehen, versuchten mehrmals das Spezialgericht zu sabotieren. Nach wie vor sollen sie entschlossen sein, dem Tribunal ein Ende zu setzen. Zu hoch sei die Gefahr, dass führende Politiker ihre Macht verlören.

Im Januar 2018 stellte die Schweiz dem Kosovotribunal Fördermittel in Höhe von 200 000 Franken zur Verfügung. Das Gericht hat noch keine Anklage erhoben.

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