Neuer EU-Poker
Bundesrat will mit Brüssel verhandeln

Der Bundesrat nimmt einen neuen Anlauf im EU-Poker: Bis Ende Juni soll Aussenminister Ignazio Cassis die Eckwerte für ein Verhandlungsmandat erarbeiten, wie die Landesregierung am Mittwoch mitteilte.
Publiziert: 29.03.2023 um 14:18 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2023 um 17:18 Uhr
Der Bundesrat will bis Ende Juni die Eckwerte eines Mandats für Verhandlungen mit der EU erarbeiten. Dies teilte er am Mittwoch mit.
Foto: GAETAN BALLY

Konkret soll Aussenminister Ignazio Cassis (61) in Zusammenarbeit mit dem Justiz- und dem Wirtschaftsdepartement bis Ende Juni die Eckwerte eines Verhandlungsmandats erarbeiten. Gleichzeitig bekam Staatssekretärin Livia Leu (62) den Auftrag, im Rahmen der laufenden Gespräche mit der EU die gemeinsame Basis für zukünftige Verhandlungen zu finalisieren.

Kein Rahmenabkommen 2.0

Die Verhandlungen mit der EU waren 2021 vom Bundesrat abgebrochen worden. Das Rahmenabkommen, das der damalige Staatssekretär Roberto Balzaretti (58) ausgehandelt hatte, war in der Schweiz auf grossen Widerstand gestossen: Die Gewerkschaften und Linke fürchteten um den Schutz der Schweizer Löhne, Bürgerlichen war die Macht des Europäischen Gerichtshofs ein Dorn im Auge und die Kantone hatten Angst um den Service public.

Klar ist: Ein Rahmenabkommen 2.0 soll es nicht geben. Stattdessen soll ein ganzes Paket mit neuen konkreten Abkommen (zu Strom, Lebensmittelsicherheit, Gesundheit) erarbeitet werden. Die bestehenden und neuen Binnenmarktabkommen sollen jeweils auch Lösungen für die institutionellen Fragen beinhalten, also beispielsweise wie EU-Recht übernommen und wie Streit geschlichtet wird.

Kommt jetzt ein Mindestlohn?

So schnell verhandelt wird aber wohl kaum: Die Eckwerte des Mandats müssen, wenn sie im Sommer dann einmal stehen, noch zur Konsultation bei den Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments. Wann diese ihre Meinung abgeben, ist offen – die Sommerferien und die Wahlen im Herbst könnten zu Verzögerungen führen.

Zudem muss die Landesregierung noch Überzeugungsarbeit leisten – insbesondere bei den Gewerkschaften. Daher hat der Bundesrat Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63) beauftragt, gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften Vorschläge auszuarbeiten, um den Lohnschutz in der Schweiz zu garantieren. Und zwar einseitig durch inländisches Recht. Eine Möglichkeit wäre etwa, einen schweizweiten Mindestlohn einzuführen oder mehr allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge abzuschliessen. Bei der EU würde dies sicher akzeptiert – schliesslich kennen EU-Mitglieder wie Deutschland flächendeckende Mindestlöhne ja bereits.

Die Gewerkschaften sind bereits mitten im Game: «Es braucht Absicherungen vonseiten der EU zum heutigen Lohnschutzsystem, damit Travailsuisse bereit ist, über Massnahmen zu diskutieren», sagt Adrian Wüthrich (42), Präsident des Personalverbandes. Er macht klar: «Ziel ist die Verbesserung des Lohnschutzes.» Wo sonst die Gewerkschaften allenfalls bereit wären, sich zu bewegen, lässt man offen – und setzt ein Pokerface auf. Früher hatte Wüthrich aber angetönt, dass für ihn die Voranmeldefrist von acht Tagen nicht in Stein gemeisselt ist und ausländische Firmen sich allenfalls auch erst fünf Tage, bevor sie in der Schweiz einen Auftrag ausführen, anmelden könnten.

Ähnlich dezidiert auf den Lohnschutz pocht auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund.

Kantone signalisieren Unterstützung

Der Bundesrat hat aber auch Verbündete: Es war insbesondere die einstimmige Stellungnahme der Kantone zur Europapolitik vom vergangenen Freitag, die die Landesregierung in ihrem Vorhaben bestärkte, ein neues Verhandlungsmandat mit der EU zeitnah zu verabschieden. Die Kantone hatten bekräftigt, dass kein Weg an einer dynamischen Übernahme von EU-Recht vorbeiführe. Und sie erklärten sich «grundsätzlich bereit, dieser Rechtsübernahme in den Verhandlungen zuzustimmen, sofern sie nicht automatisch ist». Ausserdem würden sie die Zuständigkeit des EU-Gerichtshofs akzeptieren, wenn es darum gehe, in Streitfragen EU-Recht auszulegen. (sf)

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