In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht stellt die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) fest, auch Politiker und Würdenträger der orthodoxen Kirche scheuten nicht vor verbalen Angriffen zurück. Homosexuelle würden oft als krank oder pervers bezeichnet, Muslime mit islamistischem Terror in Verbindung gebracht.
Sowohl in traditionellen Medien als auch im Internet seien solche Hassreden weit verbreitet, stellen die Experten des Europarats fest. Dies gelte für die meisten der 2500 russischen Fernsehsender und der gut 45 000 lokalen Zeitungen. Gut zwei Drittel dieser Medien seien im Besitz der Regierung oder staatlich kontrollierter Unternehmen.
Besonders beunruhigend sei, dass Vorurteile gegen Homosexuelle sowohl vom russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch von der orthodoxen Kirche «aktiv befeuert» würden, heisst es in dem 80 Seiten umfassenden Bericht weiter.
So habe Putin 2017 in einem vielbeachteten Interview mit dem US-Autor und Filmemacher Oliver Stone das Vorgehen gegen Homosexuelle ausdrücklich gerechtfertigt.
Als Staatsoberhaupt habe er die Pflicht, «die traditionellen Familienwerte» hochzuhalten - zumal durch gleichgeschlechtliche Beziehungen keine Kinder gezeugt würden, zitieren die Experten des Europarats aus dem mehrstündigen Interview.
Der Patriarch der orthodoxen Kirche Kyrill I. sei für seine virulenten Angriffe auf gleichgeschlechtliche Paare bekannt, betonen die Autoren des Berichts. So habe er Ehen von Homosexuellen als ein «sehr gefährliches akopalytisches Symptom» gegeisselt.
Solche Äusserungen hätten dazu geführt, dass Intoleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der russischen Gesellschaft tief verwurzelt seien. Homosexuelle würden stigmatisiert und lebten in Russland in einer «ständigen Furcht» vor Anfeindungen und physischen Übergriffen.
Eine Auswertung von rund 5000 Artikeln in russischen Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichten-Portalen hat dem Bericht zufolge ergeben, dass von 2011 bis 2016 mindestens 363 tätliche Angriffe auf Homosexuelle oder Einrichtungen wie Schwulen-Clubs begangen wurden.
Tatsächlich sei aber von einer viel höheren Zahl auszugehen, weil zahlreiche Opfer sich scheuten, Anzeige zu erstatten - aus Furcht vor Demütigungen durch die Polizei.
Muslime wiederum würden oft mit islamistischem Terror in Verbindung gebracht, heisst es in dem Bericht weiter. Eine Folge davon seien Petitionen gegen den Bau von Moscheen.
Angesichts solcher Proteste hätten die zuständigen Behörden den Bau mehrerer Moscheen verboten, etwa in der Stadt Uljanowsk an der Wolga und in der russischen Exklave Kaliningrad. Grundsätzlich seien «nicht slawisch aussehende» Bürger in Russland der Gefahr von Diskriminierungen und rassistisch motivierter Gewalt ausgesetzt.
Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Sova Center wurden im Jahre 2017 nachweislich 71 Menschen Opfer rassistischer Anschläge. Sechs von ihnen wurden demnach dabei getötet.
Menschen mit nicht-russischem Aussehen, etwa Tschetschenen und andere Bürger aus den Kaukasus-Republiken, werden lauf ECRI auch unverhältnismässig oft von der Polizei kontrolliert. Polizeistellen weigerten sich zudem regelmässig, Klagen von Opfern rassistischer Übergriffe entgegenzunehmen.
Der ECRI gehören Experten an, die Erfahrung beim Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit haben. Sie werden von den 47 Mitgliedsländern des Europarats ernannt. Das Gremium bewertet alle fünf Jahre die Lage in den Europaratsländern. Der vorliegende Bericht ist der fünfte, der sich mit Russland befasst.