Er zeigte Diashows, er schrieb Reportagen, er hatte eine eigene Sendung und er feierte Kinoerfolge: René Gardi (1909–2000), Fotograf und Filmer, erklärte der Schweizer Babyboomer-Generation den Kontinent Afrika.
Wer dieser Tage ins Kino geht, erfährt Unbekanntes über Leben und Werk des Berner Filmemachers. In «African Mirror» beleuchtet der Dok-Filmer Mischa Hedinger, wie Gardis koloniale Sicht das kollektive Bewusstsein einer ganzen Nation prägte.
Der Dok-Film, der seit November zum medialen Thema wurde, wartet mit einer erschütternden Recherche auf: René Gardi wurde 1945 als Lehrer in Brügg BE gerichtlich wegen «Unzucht mit Kindern» verurteilt – also wegen sexueller Übergriffe auf Kinder. Im Jahr zuvor erstattete er Selbstanzeige, auch ein Suizidversuch wird in diesem Zusammenhang erwähnt.
Zehnjähriges Berufsverbot
Wie Akten zeigen, auf die sich Filmemacher Hedinger stützt und die im Berner Staatsarchiv aufbewahrt werden, behandelten das Strafamtgericht Nidau sowie das Berner Obergericht Gardis Fall. Nach dem Urteil wurde er als Sekundarlehrer aus dem Schuldienst entlassen. Dazu wurde ihm ein zehnjähriges Berufsverbot auferlegt. Erst dann ging er nach Afrika.
«Bis heute gibt es keine Aufarbeitung dieser Missbrauchsfälle, man schwieg sich darüber aus», kritisiert Dok-Filmer Hedinger auf seiner Homepage. Dabei liessen sich unschwer Verbindungen zwischen Gardis sexueller Neigung und seiner Afrika-Obsession erkennen. Die Suche nach einer unschuldigen Reinheit beispielsweise scheine ein Leitmotiv Gardis zu sein, so Hedinger.
Die Recherchen bringen Berns Stadtregierung in eine schwierige Lage. Vor einigen Jahren benannte man eine neue Strasse nach Gardi. Die Stadt suchte damals nach Strassennamen für das am Reissbrett entworfene Quartier Wankdorf City, in dem mittlerweile unter anderem die Post und die SBB ihren neuen Hauptsitz hochgezogen haben. Das Motto der Namenssuche: «Grosse und kleine Helden und Heldinnen, die im Alltag Aussergewöhnliches geleistet haben.»
Diskussion zum Kolonialismus soll angestossen werden
Die Bauarbeiten für die Strasse und die umliegenden Gebäude sind bald abgeschlossen, das Schild mit Gardis Namen steht schon.
Parallel schreitet die Demontage des «Helden» voran: «Dem Gemeinderat war bei der Namensgebung für die Strasse nicht bekannt, dass René Gardi 1944 wegen Sexualstraftaten verurteilt worden war», teilt Berns Stadtregierung dem SonntagsBlick mit.
Wegen der neuen Erkenntnisse soll nun eine Strassenbenennungskommission die Namensgebung nochmals vertieft prüfen und der Stadtregierung eine Empfehlung abgeben. «Der Gemeinderat wird dann entscheiden, ob der Name der Strasse geändert werden soll.»
«Ob eine Strasse umbenannt wird, ist für mich sekundär. Ich verfolge in der Hinsicht keine konkrete Agenda», sagt Dokfilmer Mischa Hedinger auf Anfrage. Für ihn als Filmemacher sei es das Wichtigste, dass eine Diskussion zum Werk Gardis, zum Afrikabild der Schweiz und zum Verhältnis der Schweiz zum Kolonialismus angestossen werde.