Rätsel-Morde Teil 2
Lenzlinger kannte seinen Mörder

Hans Ulrich Lenzlinger war ein schillernder Held des Kalten Krieges: Er half DDR-Bürgern bei der Flucht. Eines Tages lag der 49-Jährige ermordet in seiner Zürcher Villa.
Publiziert: 15.01.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 19:10 Uhr
Lenzlinger kannte seinen Mörder
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Rätsel-Morde Teil 2:Lenzlinger kannte seinen Mörder
Walter Hauser

Enrico Rusconi war erst wenige Monate im Amt. Der junge Zürcher Bezirksanwalt hatte Pikettdienst, als am 5. Februar 1979 das Telefon klingelte. Er müsse zu einem Mordfall an die Ackersteinstrasse 116 in Zürich-Höngg ausrücken. Zur Villa von Hans Ulrich Lenzlinger.

Der Lebemann und seine Spielzeuge: In Zürich-Höngg hielt er sich mehrere Raubkatzen.
Foto: ZVG

Heute ist Rusconi (74) pensioniert. 37 Jahre nach jenem Vormittag steht der langjährige Bezirks- und Staatsanwalt wieder vor dem Anwesen. Ein steinerner Löwe beschützt den Eingang der Villa wie damals. Der Ex-Strafverfolger zeigt auf das Fenster links im Hochparterre, Lenzlingers einstiges Besprechungszimmer. Dort hatte er gelegen – von Pistolenschüssen durchlöchert.

Enrico Rusconi (74) vor dem damaligen Haus Lenzlingers in Zürich-Höngg. Der frühere Zürcher Bezirks- und Staatsanwalt glaubte, den Mörder zu kennen.
Foto: STEFAN BOHRER

Rusconi kannte Lenzlinger aus den Medien. Als DDR-Fluchthelfer war er weit über die Stadtgrenzen hinaus berühmt. «An diesem Tag bin ich ihm erstmals begegnet», erinnert sich Rusconi. «Doch da war er tot.» Rücklings lag der 49-Jährige neben seinem Schreibtisch am Boden, den Kopf in ­einer Blutlache. Wie die Obduktion ergab, hatte der Täter aus nächster Nähe fünf Schüsse auf sein Opfer abgefeuert. Zwei trafen tödlich.

Die Tat war einfach zu rekon­struieren: Lenzlingers Lebensgefährtin hatte das Haus gegen 8 Uhr früh verlassen. Um 9 Uhr kam ein Geschäftspartner Lenzlingers zu Besuch. In diesem Zeitraum muss jemand die Villa betreten haben.

Der Ermordete hat den Täter mit grosser Wahrscheinlichkeit gekannt. Nichts deutete auf einen Einbruch oder einen Überfall hin. Es gab keinerlei Spuren eines Kampfs. Lenzlinger selbst muss den Mörder ins Haus gelassen haben. Wer es war? Das bleibt bis heute ungeklärt.

Die Statussymbole eines Geheimagenten: Lenzlinger liebte solche Posen.
Foto: ZVG

Rusconi hatte erst wenige Untersuchungen geleitet. Dieser Fall sollte während seiner 35 Dienstjahre sein grösster bleiben.

Auch heute noch denkt er oft daran. «Dieser Mordfall umfasst 20 bis 30 Aktenordner, etwa 60 Personen haben wir über Jahre hinweg befragt und überprüft. Wir gingen jeder Spur nach. Doch letztlich wurde der Fall nie gelöst.» Rusconi: «Es tut schon weh, wenn man einen so spektakulären Mordfall nicht zum Abschluss bringen kann.»

Lenzlinger war eine schillernde Figur, stilisierte sich als eine Art Milieukönig. Den Medien präsentierte er sich gern mit seiner 20 Jahre jüngeren Lebensgefährtin und seinen gezähmten Raubtieren.

Zu seinen Haustieren gehörten nebst Chinchillas, Servals (afrikanische Wildkatzen) und Doggen auch gezähmte Raubkatzen wie zum Beispiel Leoparden, die er in Zürich-Höngg spazieren führte. Dies führte zu jahrelangen heftigen Konflikten, etwa mit einem Tierarzt. Und wie fast immer, wenn Lenzlinger Streit hatte, waren am Ende auch Behörden und Gerichte involviert – Lenzlinger galt als notorischer Querulant. «Er war sehr umstritten und hatte viele Feinde», so Rusconi.

Lenzlingers Firma Aramco handelte nicht nur mit Tierfellen, Schmuck, Gold und Waffen, sondern auch mit Menschen. In der Zeit des Kalten Krieges machte er sich als Fluchthelfer einen Namen: Er schmuggelte Menschen aus der damaligen DDR in den Westen. Der Behördenschreck und Kommunistenhasser prahlte mit Hunderten erfolgreicher Schleusungen. In Tat und Wahrheit dürften es einige Dutzend gewesen sein.

Bis heute halten sich Gerüchte, der DDR-Geheimdienst «Stasi» habe einen Auftragskiller auf ihn angesetzt. Dies steht auch für den Lenzlinger-Biografen Stefan Hohler im Vordergrund, der 2013 über den «Fluchthelfer, Abenteurer und Lebemann» ein Buch veröffentlichte. Rusconi widerspricht dieser Version vehement. Denn 1979 war die Hochblüte des Schleppergeschäfts von Ost nach West längst vorbei.

Lenzlinger, der früher gern mit seinem Reichtum geprahlt hatte, unter anderem mit einer Yacht in Nizza (F), kämpfte mittlerweile mit finanziellen Problemen. Kurz vor seinem Tod stieg er ins ­Uhrengeschäft ein – allerdings nicht sehr erfolgreich.

Pompös bis über den Tod hinaus: Lenzlingers Beisetzung, 1979.
Foto: Hansruedi Walthart

Die Schuld sah er nicht bei sich selbst, wie Rusconi sagt, sondern bei seinen Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Deshalb liegt es für den Zürcher Ex-Staatsanwalt auf der Hand, dass der Täter im persönlichen Umfeld des Opfers zu suchen ist. Das Motiv war wohl Rache oder eine Abrechnung, «eine Fehde mit tödlichem Ausgang». Rusconi vermutet, Opfer und Täter hätten noch kurz miteinander diskutiert. Dann habe der Angreifer eine Pistole gezückt und auf Lenzlinger geschossen – die Tatwaffe blieb unauffindbar.

Der schillernde Lebemann hatte einst prophezeit, er werde nicht im Bett sterben. Er war vorsichtig und hatte nachts immer eine Pistole in Griffweite. Dass er seinem späteren Mörder trotzdem die Tür öffnete, spricht laut Rusconi ebenfalls dafür, dass es eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer gab.

Der erfahrene Strafverfolger glaubt sogar, den Täter zu kennen. Aber dies sei nur eine Vermutung, keine Gewissheit. «Wir konnten dem Mann nichts nachweisen, darum konnten wir auch nicht Anklage gegen ihn erheben», so Rusconi. «Es war kein Profikiller, sondern ein Mitarbeiter von Lenzlinger. Er hatte kein wasserdichtes Alibi. Inzwischen ist auch er gestorben.»

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