«Ich stellte alle Religionen in Frage»
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Pfarrer Wendelin Bucheli:«Ich stellte alle Religionen in Frage»

Priester Wendelin Bucheli (67) aus Bürglen UR lässt sich trotz bischöflicher Abmahnung nicht stoppen
«Ich werde weiter homosexuelle Paare segnen»

Priester Wendelin Bucheli wurde vom konservativen Ex-Bischof Vitus Huonder (79) für eine Lesbenhochzeit fast entlassen. Er musste schwören, das nie mehr zu tun. Nach einer tiefen Glaubenskrise ist er jetzt wieder voll da – für alle seine Schäfchen, ohne Ausnahmen.
Publiziert: 24.02.2022 um 06:56 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2022 um 10:57 Uhr
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Pfarrer Wendelin Bucheli im Gespräch mit Blick im Pfarreihaus in Bürglen UR. Er erklärt, wie sehr es ihn damals belastete, dass er keine Hochzeiten von gleichgeschlechtlichen Paaren mehr segnen durfte.
Foto: Stefan Bohrer
Beat Michel

Mit beschwingtem Schritt überquert der katholische Pfarrer Wendelin Bucheli (67) die Klausenstrasse in Bürglen UR auf dem Weg vom Pfarreigebäude in die Kirche. Auf den wenigen Metern wird er mehrmals freundlich von Passanten begrüsst. Das Urner Dorf mag offensichtlich seinen Pfarrer. Und dieser hat einen wichtigen Entschluss gefasst, wie er Blick mitteilt: «Ich werde offiziell wieder Lesben und Schwule in der Kirche segnen», sagt er. «Wir dürfen nie mehr Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgrenzen.»

Das ist bemerkenswert. Bucheli erlangte 2015 schweizweite Bekanntheit, weil ihn der Churer Bischof Vitus Huonder (79) nach einer kirchlichen Hochzeitsfeier eines lesbischen Paares genötigt hatte, fortan auf die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren zu verzichten. «Es war ein Deal. Ohne Einlenken hätte ich mein Amt in Bürglen als Priester aufgeben müssen», sagt Bucheli.

Huonder liest Hass-Zitat vor

Für den Pfarrer begann eine schwierige Zeit. Schon während seines Sabbaticals in Israel wenige Monate später musste er sich wieder mit dem Hass des damaligen Bischofs gegen Homosexuelle beschäftigen.

Kurz nach einem Messer-Attentat eines ultraorthodoxen Juden auf die Gay-Pride-Parade in Jerusalem im Sommer 2015 mit einer Toten (†16) und sechs Verletzten sorgte Huonder für einen Skandal. So zitierte er an dem katholischen Forum «Freude am Glauben» in Deutschland die gleiche Bibelstelle, die auch Attentäter als Rechtfertigung für Angriffe missbrauchen: «Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen. Beide werden mit dem Tod bestraft. Ihr Blut soll auf sie kommen.»

Bucheli war sprachlos: «Ich dachte nur, das kann doch nicht sein, dass er gerade jetzt so etwas öffentlich sagt!»

Glauben in Religionen erschüttert

Der Bürgler Pfarrer hadert danach mit allen Kirchen dieser Welt. «Ich sah überall den Missbrauch der Religionen. Ganz gleich ob Juden, Moslem, Hindu, Christen. Ich fragte mich sogar, ob man nicht besser alle Religionen verbieten sollte, um eine gerechtere Welt zu haben.»

Doch als überzeugter Christ findet er den Weg zurück auf seine Kanzel in Bürglen: «Ich kam zum Schluss, dass die Kirche nur eine Daseinsberechtigung hat, wenn sie den Menschen Frieden bringt und jeden einzelnen unterstützt. Jeder Mensch ist ein Gottesgeschöpf. Ohne Ausnahme. Und nicht erst dann, wenn er das Ideal der Kirche erreicht hat. Mit dieser Erkenntnis fühlte ich mich wieder stark.»

Gemeinde steht hinter ihrem Priester

Im kleinen Kreis der Gemeinde ist bald bekannt, dass Bucheli auch Hochzeiten von Lesben und Schwulen segnen würde. «Die Gemeinde steht da voll hinter mir», sagt er. Nur gab es in der Zeit gar keine Anfragen. Doch das könnte sich bald ändern. Nachdem das Schweizer Stimmvolk Ja zur «Ehe für alle» gesagt hat, dürfen gleichgeschlechtliche Paare ab 1. Juli 2022 heiraten.

Katholischen Pfarrern wie Bucheli bleibt aber auch dann der Spagat zwischen dem kirchlichen Gesetz und ihrer Überzeugung nicht erspart. Die gleichgeschlechtliche Liebe gilt im Katechismus weiterhin als Sünde – und somit sind kirchliche Segnungen für schwule und lesbische Paare nicht zulässig. Priester können Kühe, Schafe, Autos, Strassen oder Alpen segnen, aber keine gleichgeschlechtlichen Paare.

Würde wichtiger als der Bischof

Doch Bucheli will in dieser Frage auf den Katechismus pfeifen: «Ich kann diese Haltung nicht tragen. Ich schulde es dem Herrgott. Wir müssen für die Würde dieser Menschen einstehen. Kirchen müssen Vorreiter sein und niemandem die Hölle heiss machen.»

Vitus Huonders Nachfolger, Bischof Joseph Maria Bonnemain (73), will Bucheli nicht um Erlaubnis bitten – obwohl dieser als weltoffener, liberaler als Huonder gilt. Bucheli sagt: «Er kann ja gar keine Antwort geben, wenn die Frage nicht genau der Kirchenlinie entspricht. Mir bleibt nichts anderes übrig, als einfach nur zu handeln.»

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