Zu viele Pestizide im Trinkwasser
Wasserversorger wollen Parmelins Beamte verklagen

Weil im Kanton Bern Pestizide vielerorts das Trinkwasser belasten, prüft ein Wasserversorger jetzt, das Bundesamt für Landwirtschaft vor Gericht zu ziehen. Der Vorwurf: Der Bund habe die Pestizid-Folgen bei der Zulassung zu wenig berücksichtigt.
Publiziert: 08.02.2020 um 14:34 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2020 um 21:05 Uhr
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«Wir prüfen eine Haftungsklage gegen das Bundesamt für Landwirtschaft», sagt Roman Wiget, Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung.
Foto: zVg
Tobias Bruggmann

Der Kanton Bern hat ein Trinkwasser-Problem. Ebenso der Kanton Aargau. Schätzungsweise müssen in der ganzen Schweiz über eine Million Menschen Wasser trinken, dass Abbaustoffe von Pflanzengiften enthält. Zu diesem Schluss kommt der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler (56) in der SRF-Sendung «Schweiz Aktuell».

Nun drohen juristische Konsequenzen – und zwar dem Bund. «Wir prüfen eine Haftungsklage gegen das Bundesamt für Landwirtschaft», sagt Roman Wiget (47), Geschäftsführer der Wasserversorgung im Berner Seeland. Denn das Bundesamt, das Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) unterstellt ist, entschied in den 1970er Jahren, das Pflanzengift Chlorothalonil zuzulassen.

180'000 Berner trinken verschmutztes Wasser

Das Gift schützt Getreide und Gemüse vor Pilzbefall. Wenn sich das Pestizid aber zersetzt und im Grundwasser landet, wird es zum Problem. Der Wirkstoff kann Krebs verursachen und wurde darum im vergangenen Jahr verboten. Dennoch taucht es noch immer im Grundwasser auf.

Das hat Folgen für die Wasserversorger. Im letzten Juni musste Wigets Team eine Trinkwasserfassung in Worben BE stilllegen. Die Quelle dorthin führt direkt durchs Ackerbaugebiet, wo viele Pestizide gespritzt werden. «Wegen der Stilllegung sind wir deutlich weniger leistungsfähig und unsere Versorgungssicherheit ist eingeschränkt.»

Insgesamt müssen rund 180'000 Menschen im Kanton Bern Wasser trinken, das den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen nicht genügt, so die «Berner Zeitung».

Filter soll Trinkwasser aufbereiten

Für Wiget gibt es jetzt zwei Möglichkeiten. «Entweder legen wir die Trinkwasserfassung nun jahrelang still und gefährden damit unsere Betriebssicherheit oder wir investieren einen Millionenbetrag.» Seit Oktober 2019 tüftelt Wigets Team an einem Pilotprojekt: Ein grosser Filter mit feinsten Nanomaschen soll die Pestizide aus dem Wasser filtern. Der Test klappte, in zwei Wochen entscheidet der Vorstand, ob die Seeländische Wasserversorgung den Kredit von einer Million Franken für einen fixen Filter aufnehmen soll.

«Unsere Gebührenzahler haben aber den Schaden nicht verursacht. Also sollten sie auch nicht dafür bezahlen müssen», sagt Wiget. Darum prüfe er jetzt die Klage gegen Parmelins Beamte. «Man hätte vor der Zulassung von Chlorthalonil die längerfristigen Folgen viel stärker bedenken müssen. Wenn man die Folgen für die Umwelt und Gesellschaft nicht abschätzen kann, gebietet die Vorsicht, nicht einfach blindlings ein Pflanzengift zuzulassen!»

«Kanton Bern schützt Grundwasser zu wenig»

Wigets Vorhaben bringt Bauernpräsident Markus Ritter (52) in Rage. Das sei «dicke Post», so der CVP-Nationalrat. Alle Wasserversorger müssen zuerst ihr Grund- und Quellwasser korrekt schützen. «Gerade im Kanton Bern wird das viel zu wenig gemacht!»

Seit über 20 Jahren müsse das als Trinkwasser genutzte Grund- und Quellwasser gemäss Bundesrecht geschützt werden. Doch das wurde von vielen Wasserversorgern einfach nicht umgesetzt, ärgert sich Ritter. «Nach über 20 Jahren sind erst 58 Prozent des Grund- und Quellwassers bundesrechtskonform geschützt!» In die Pflicht nimmt Ritter auch die Behörden – aber andere: «Das Bundesamt für Umwelt und teilweise die Kantone kontrollieren zu wenig, ob die geltenden Gesetze umgesetzt werden. Dann nützt das Gesetz nichts.»

«Bezeichnend für die Bauernlobby»

Das lässt Wiget nicht auf sich sitzen. «Dieser Vorwurf ist falsch und bezeichnend für die Bauernlobby.» Sie hätten schon vor Jahrzehnten Felder in der Grösse von 28 Fussballfeldern als Schutzzone erworben. «Aber gegen diese langlebigen Pestizidrückstände nützt sie null und nix, denn diese Stoffe legen grosse Distanzen zurück und stammen von weiter weg!»

In einem Punkt gibt Wiget dem Bauernpräsidenten aber recht. «Es stimmt, dass viele Schutzzonen nicht mustergültig sind.» Doch selbst wenn: «Das Problem des pestizidbelasteten Trinkwassers würde genauso bestehen, denn die Natur kommt mit diesen kaum abbaubaren Pestiziden schlicht nicht klar.»

Hohe Prozesskosten

Trotz Wigets kämpferischer Stimme: Ob er tatsächlich vor Gericht geht, ist noch offen. «Geschätzt kostet uns ein Prozess 80'000 Franken. Wir müssen uns gut überlegen, ob wir unseren Kunden dieses Risiko zumuten können.» Wiget hofft deshalb auf finanzielle Unterstützung. «Wir sind in Gesprächen. Alleine könnten wir den Betrag nicht stemmen.»

Das Bundesamt für Landwirtschaft ist noch nicht sonderlich beunruhigt: «Sollte ein Schadenersatzbegehren beim Bund eintreffen, wird dieses geprüft», so Sprecher Alessandro Rossi. «Die Zulassung von Chlorothalonil erfolgte gemäss den zum damaligen Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen.»

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