Zu viele Listen
Droht jetzt das Wahlchaos?

Um sich selbst die Arbeit zu erleichtern, hat das Parlament das Wahlrecht geändert. Darum treten bei den Nationalratswahlen viele Parteien mit zusätzlichen Unterlisten an. Für die Bürger bedeutet das einen Mehraufwand – und das Risiko, dass sie Fehler machen.
Publiziert: 09.08.2019 um 23:12 Uhr
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Aktualisiert: 10.08.2019 um 20:15 Uhr
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Bei den Nationalratswahlen in diesem Jahr kommt es wohl zu einem Kandidaten- und Listenrekord.
Foto: Keystone
Tobias Bruggmann

Wenn bald die Unterlagen für die Nationalratswahlen in die Briefkästen flattern, droht den Bürgern dicke Post: Immer mehr Leute kandidieren auf immer mehr Wahllisten. Rekordhalter ist bis jetzt wohl die CVP Aargau, die mit neun unterschiedlichen Listen in den Wahlkampf zieht, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.

«Umständlich und Schikane»

Befeuert wurde die Papierschlacht vom Parlament: Früher mussten für jede Liste – wie bei einer Volksinitiative – zuerst Unterschriften gesammelt werden. Ausser eine grosse Partei trat nur mit einer Liste an. Bei der letzten Reform des Bundesgesetzes über die politischen Rechte forderte Marianne Streiff (61) von der EVP jedoch, den Passus zu streichen.

«Das Unterschriftensammeln für die Unterlisten ist umständlich und mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden», meint sie. «Im Kanton Bern brauchte es zum Beispiel pro Liste 400 Unterschriften.» Das Manöver gelang, auch weil Streiff den Antrag erst im Parlament einbrachte — obwohl sie selbst in der vorberatenden Kommission sass.

Für die Wähler können die vielen Wahllisten zur Herausforderung werden. Das bestätigte sich im März bei den Kantonsratswahlen in Luzern. «Die zuständigen Urnenbüros haben uns zurückgemeldet, dass es bei Wahlen vermehrt zu ungültigen Stimmen kommt, weil mehrere Listen in einem Stimmkuvert abgegeben werden», sagt Erwin Rast, Sprecher des Luzerner Justiz- und Sicherheitsdepartements.

Wahlchancen steigen

Die Parteien aber profitieren von den vielen Listen: Dank Listenverbindungen mit ihrer Hauptliste bekommen sie zusätzliche Stimmen und können womöglich wertvolle Prozentpunkte herausholen. Für Streiff war dies aber nicht der Grund für ihren Antrag. «Die zusätzlichen Listen helfen, verschiedene Wähler zu motivieren und die Vielfalt einer Partei abzubilden.»

Dass ihre Gesetzesänderung nun so ausgenutzt wird, hatte sie aber nicht erwartet. «Die neun Listen der CVP Aargau sind schon etwas viel», sagt sie. Ihre Partei nutzt selbst nicht übermässig viele Unterlisten: Die EVP tritt im Kanton Bern mit nur zwei Listen an.

Unsicherer Erfolg

Dass Bürger wegen des vielen Papiers nicht an die Urne gehen, glaubt Streiff nicht. «Sie werden sich zurechtfinden.» Eine Prognose zur Wahlbeteiligung möchte Politologe Mark Balsiger (52) hingegen nicht abgeben. «Natürlich törnt es ab, wenn das Wahlcouvert wegen vielen Listen und beigelegten Parteiprospekten ein halbes Kilo schwer ist. Tatsache ist: Die meisten Wähler haben eine Präferenz und arbeiten sich dann durch das Material.»

Obwohl die Hürden gesenkt wurden, sei das Problem nicht neu. «Es gibt seit Jahrzehnten ein stetiges Anwachsen der Anzahl Listen», sagt Balsiger. Doch ob diese den Parteien wirklich nützen, sei unsicher. «Mir ist keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt, die das belegen konnte.»

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