Über 800 Kinder im Kanton Thurgau werden nur im Notfall von einem Arzt behandelt, weil ihre Eltern die Prämien nicht bezahlen (BLICK berichtete). Eine unhaltbare Situation, nicht nur für die Ärzte, die im schlimmsten Fall Kinder leiden lassen müssen.
Auch der Bundesrat schlägt gegenüber den Ostschweizern nun scharfe Töne an: Der Kanton Thurgau verstosse damit gegen die Kinderrechtskonvention, die die Schweiz ratifiziert hat. Und das ist nicht alles: «Betroffene könnten sich vor Gericht darauf berufen», so der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Frage der Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher (55).
Kindswohl ist einklagbar
Der Thurgau – der als einziger Schweizer Kanton standardmässig Kinder auf die schwarzen Listen nimmt – riskiert damit eine Verurteilung, wenn jemand klagen würde. Denn gemäss Artikel 3 der Konvention ist bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, das Kindswohl vorrangig zu berücksichtigen – und nicht die Kantonskasse.
Für Graf-Litscher ist damit klar: «Ich erwarte, dass die Thurgauer Regierung handelt.» Und die Kinder von der Liste streicht.
Kesb ist auf Ärzte angewiesen
Auf ihrer Seite hat die Sozialdemokratin die Kinder- und Erwachsenschutzbehörde (Kesb) in Frauenfeld. «Es ist tragisch, wenn Schweizer Kinder keinen Krankenkassenschutz haben», sagt Olivia Trepp (46). Ihre Behörde muss eingreifen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.
Bevor die Kesb eingreift, seien jedoch andere Stellen, zum Beispiel die Sozialen Dienste, zuständig: «Wir können nur aktiv werden, wenn jemand bei uns eine Gefährdungsmeldung erstattet. Zum Beispiel ein Kinderarzt.»
Ist die Kesb einmal alarmiert, kann sie den Kindern nur indirekt helfen. «Die Kesb kann und darf die Prämien nicht bezahlen. Das ist Aufgabe der säumigen Eltern oder, wenn sie sozialhilfeabhängig sind, der Sozialen Dienste», sagt Trepp. Die Kesb könne lediglich Eltern und Kinder zur Anhörung laden.