Vollgeld-Erfinder Huber warnt vor Kollaps der Banken
«Bei der UBS-Rettung hatte die Schweiz mehr Glück als Verstand»

Er ist der Kopf der globalen Vollgeld-Bewegung: Ökonomie-Professor Joseph Huber. Über sein Konzept stimmen wir in sechs Wochen ab. Im BLICK-Interview erklärt der Deutsche, wieso Vollgeld extreme Krisen verhindern könne: «Niemand mehr müsste Banken retten, weil das Geld ja unabhängig von den Banken weiterexistiert.»
Publiziert: 29.04.2018 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2018 um 15:26 Uhr
Darum geht es bei der Vollgeld-Initiative
4:07
Abstimmungsvorlagen kurz erklärt:Darum geht es bei der Vollgeld-Initiative
Interview: Nico Menzato und Andrea Willimann; Fotos: Marcus Höhn

Wegen dieses Mannes stimmen wir in sechs Wochen über die Vollgeld-Initiative ab: Der deutsche Professor Joseph Huber (69) ist der Erfinder des modernen geldwirtschaftlichen Vollgeld-Konzepts.

Der emeritierte Professor für Ökonomie und Sozialwissenschaften hat von 1975 bis 1977 in St. Gallen gelebt. Er war an der HSG Mitarbeiter eines Forschungsprojekts. Danach lehrte er lange an der Freien Universität Berlin und der Universität Halle. BLICK gibt der geistige Vater des Vollgeldes eines seiner überaus seltenen Interviews.

BLICK: Herr Huber, Sie misstrauen den Banken. Haben Sie Ihr Geld unter dem Kopfkissen versteckt?
Nein. Auf einem Bankkonto und in Aktien. 

Joseph Huber hat trotz Kritik an den Banken sein Geld nicht unter dem Kopfkissen versteckt.
Foto: Marcus Höhn

Wo liegt Ihr Vertrauen in Banken auf einer Skala von eins bis zehn?
Bei zwei bis drei. 

Weshalb so tief? 
Ich habe gegenüber Bankern als Menschen keine Ressentiments. Banken und andere Finanzinstitute sind im Prinzip unverzichtbare Einrichtungen. 

Aber?
Mein Misstrauen richtet sich gegen das bestehende Geld- und Bankensystem. Es ist instabil und krisenanfällig. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, aber die wichtigste Ursache ist die Buchgeldherstellung durch die Banken selbst, die sogenannte Buchgeldschöpfung. Denn damit verbindet sich eine Überproduktion von Kredit und Schulden. 

Was sind die Folgen?
Um 100 Franken Buchgeld für eine Kreditvergabe, einen Wertpapier- oder Immobilienkauf auf einem Konto gutzuschreiben, brauchen die Banken für ihre eigene Rückfinanzierung nur drei bis fünf Prozent Bargeld und Zentralbankguthaben. Die Banken haben hier ein eigentlich hoheitliches Privileg erlangt, eben das Privileg der Geldschöpfung. Und weil dieses Privileg je länger, desto mehr in Extreme führt, kommt es zu immer häufigeren und auch immer schlimmeren Banken- und Finanzkrisen. 

Was hat Sie angetrieben, das Vollgeld-Konzept im Jahr 1998 mit dem Buch «Vollgeld» zu lancieren? Sind Sie ein Bankenopfer?
Persönlich habe ich keine allzu negativen Erfahrungen gemacht. Mein Interesse ist ein wissenschaftliches, in der Konsequenz sicherlich auch ein politisches. Die Geldschöpfungs-Spirale der Banken hat spätestens um 1980 massiv zu drehen begonnen. In allen Industrieländern überstieg das Wachstum der Geldmengen, der Kredite, Wertpapiere und Schulden das Wirtschaftswachstum jahrzehntelang um das Drei- bis Vierfache. Die Zentralbanken haben die Kontrolle über die Geldmengen aufgegeben. Auch die herkömmlichen Instrumente der Zinspolitik greifen nicht mehr. 

Vollgeld war bislang eine rein akademische Diskussion, für die einfachen Bürger kaum zu verstehen. Nun müssen diese aber in gut sechs Wochen darüber abstimmen. Erklären Sie bitte in einfachen Worten Ihre Theorie.
An die Stelle des Buchgelds der Banken tritt ein vollgültiges gesetzliches Zahlungsmittel der Zentralbank für den bargeldlosen Zahlungsverkehr, abgekürzt Vollgeld. Die Schweizer hätten dann neben dem Bargeld echte elektronische Schweizer Franken auf dem Konto. Dadurch würden die Zentralbanken als staatliche Währungsbehörden die Kontrolle über die Geldschöpfung und den regulären Geldbestand zurückerlangen – eine Kontrolle, die sie heute an die Banken verloren haben.

«Vollgeld ist weder links noch rechts», so der ordoliberale Huber.
Foto: Marcus Höhn

Es ist schwierig, Ihr Konzept politisch zu verorten. Es ist eine bürgerliche Idee, die aber eher in linken Kreisen ankommt. Im Nationalrat hat einzig eine Handvoll Links- und Rechtsaussenpolitiker zugestimmt. Wo stehen Sie politisch?
Vollgeld ist weder links noch rechts. Ich bin ein Ordoliberaler. Auch und gerade eine freie Marktwirtschaft braucht einen staatlichen Ordnungsrahmen, in diesem Fall eine Geldordnung, in der die staatliche Zentralbank die volle Kontrolle über die Geldschöpfung ausübt, statt wie heute nur noch als Erfüllungshelfer der Banken tätig zu sein. 

Welche gesellschaftspolitischen Folgen hätte die Umstellung auf ein Vollgeld-System?
Das Geld wäre sicher und es gäbe stabilere Finanzen. Dadurch gäbe es auch weniger und moderater verlaufende Wirtschafts- und Finanzkrisen. Die Vermögen würden nicht mehr so rasant wachsen wie in den letzten Jahrzehnten, dafür aber stetiger und stabiler. Die Finanzvermögen würden nicht länger einen wachsenden Anteil des Wirtschaftsprodukts für sich beanspruchen, die Arbeitseinkommen würden mit den Finanzeinkommen wieder besser Schritt halten. Die Gewinne aus der Geldschöpfung in Milliardenhöhe kämen der öffentlichen Hand zugute. 

Die Nationalbank hätte im Vollgeldsystem massiv mehr Macht. Und sie käme stärker von der Politik unter Druck. Die Unabhängigkeit wäre gefährdet.
Nein, die Macht der Zentralbank wäre genauer begrenzt und ihre Unabhängigkeit bestünde weiter. Es gibt klar abgegrenzte Zuständigkeiten. Die Nationalbank ist für die Geldschöpfung und die laufende Anpassung der Geldmenge zuständig. Banken und andere Finanzinstitute bleiben dafür zuständig, Vermögen zu verwalten und durch Kredite, Investments, Beteiligungen die Wirtschaft zu finanzieren. Regierung und Parlament sind für die Haushalts- und Steuerpolitik zuständig. So wenig, wie eine Regierung den Bundesrichtern dreinreden darf, so wenig hat die Regierung in einem Vollgeld-System der Nationalbank dreinzureden. 

Seit der Krise 2008 sind die Banken mit neuen Gesetzen sicherer gemacht worden. Ist die Vollgeld-Initiative nicht überholt?
Im Gegenteil. Eigenkapital ist gut und schön, hat sich aber als Sicherheitspolster, wenn es hart auf hart kommt, noch nie bewährt. Banken gehen bankrott, seit es Banken gibt. Im 19. Jahrhundert hatten die Banken Eigenkapitalquoten von 30 bis 50 Prozent – und gingen trotzdem pleite. Heute festgeschriebene Eigenkapitalpolster von um die zehn Prozent sind im Ernstfall schnell weg. 

Joseph Huber: «Im Vollgeld-System könnten Banken pleitegehen, und niemand muss sie retten – weil das Geld ja unabhängig von den Banken weiter existiert.»
Foto: Marcus Höhn

Auch Ihr Vollgeld-Konzept kann viele solcher Krisen nicht verhindern.
Das behaupte ich auch nicht. Aber Vollgeld kann extremen Krisen besser vorbeugen, weil es dafür sorgt, dass Finanzzyklen moderater verlaufen. In einem Vollgeld-System kann die Zentralbank dafür sorgen, dass nicht weiter mutwillig Öl ins Feuer gegossen wird, wenn ein Finanzmarkt oder die Konjunktur schon am Überhitzen sind. Im Vollgeld-System könnten Banken pleitegehen, und niemand muss sie retten – weil das Geld ja unabhängig von den Banken weiterexistiert. 

In der Schweiz sind 100'000 Franken pro Kunde und Bank versichert. Die Gefahr, dass Bürger ihr Erspartes verlieren, ist gering.
Die  Einlagensicherung der Banken trägt in den meisten Ländern nicht weit. Was zählt, ist die Stützung der Banken durch die Zentralbank und die staatliche Garantie des privaten Buchgelds der Banken. Ordnungspolitisch und verfassungsrechtlich gesehen sind solche Hilfen und Garantien skandalös. Einlagensicherung und Staatsgarantien dienen wohl mehr der Beruhigung. Sollten sie aber jemals eingefordert werden, wären die Staaten ruiniert. Beispiel Irland: Hier musste der Staat mit zuvor solidem Haushalt und wenig Schulden die Banken retten und ist nun hoffnungslos überschuldet. 

In der Schweiz garantiert die Bankiervereinigung diesen maximalen Betrag, nicht der Staat.
Ja, nur ist die Sicherung auf insgesamt sechs Milliarden Franken begrenzt. Die Verbindlichkeiten der Schweizer Banken aus Kundeneinlagen belaufen sich aber auf über 1000 Milliarden. Das scheint mir im Verhältnis nicht gerade beruhigend. 

Die Schweiz hat die UBS gerettet und damit vier Milliarden Franken Gewinn gemacht.
Nationalbank und Bundesrat hatten dabei mehr Glück als Verstand. Dass es so glimpflich ausging, haben sie der amerikanischen Regierung zu verdanken. Diese hat 100 Milliarden Dollar in die Verbindlichkeiten des Versicherungskonzerns AIG gesteckt. Damit sind Ausfallversicherungen auch der UBS doch noch zugute gekommen, und damit wurde auch der Wertverfall der etwa 40 Milliarden Franken schweren UBS-Papiere gestoppt, die die Nationalbank als «Bad Bank» für die UBS von dieser übernommen hatte. 

Trotzdem: Niemand auf der Welt hat das Vollgeld-Konzept eingeführt. Die Schweiz wäre bei einem Ja weltweit eine Exotin. Mit unvorhersehbaren Folgen für unseren globalisierten und global sehr erfolgreichen Finanzplatz.
Den Banken würde einzig das Buchgeldprivileg genommen. Der Geld- und Kapitalverkehr mit dem Ausland wäre davon nicht berührt und würde wie gewohnt weiterlaufen. Der erfolgt heute schon weitgehend mit Zentralbankguthaben, also mit Vollgeld.

Das behaupten Sie. Erfahrungen mit Vollgeld gibt es keine. Wollen Sie in der Schweiz testen, ob Ihre Theorie in der Praxis taugt?
So anmassend zu denken, liegt mir fern. Davon abgesehen gibt es sehr gute Erfahrungen mit Vollgeld, zum Beispiel seit 300 Jahren wiederkehrend in den heutigen USA und Kanada. In Europa wurden im 19. Jahrhundert private Banknoten verboten; die Nationalbanken erhielten das Monopol. Bis heute. So auch in der Schweiz. Genauso reibungslos ginge es, wenn Buchgeld durch Vollgeld ersetzt würde.

Eine Krise wie 2008 könne jederzeit wieder auftreten.
Foto: Marcus Höhn

Das ist lange her und mit der heutigen Situation kaum zu vergleichen. Sie benutzen unsere direkte Demokratie als Spielwiese! Unser Finanzminister Ueli Maurer sagt doch treffend, es ergebe keinen Sinn, ein System auf den Kopf zu stellen, ohne ein konkretes Problem lösen zu müssen!
Das ist eine Betriebslüge. Das Bankensystem ist hochgradig gefährdet. Die Krise von 2007/2008 ist nicht bereinigt, sondern durch massives Gelddrucken der Zentralbanken auf die lange Bank geschoben worden. Aber es muss nur etwas passieren – zum Beispiel ein Zinsanstieg um zwei, drei, vier Prozent – und eine internationale Schulden- und Bankenkrise wie vor zehn Jahren wäre erneut die Folge.

Dennoch: Die Schweizer Geldpolitik funktioniert gut und effizient. Und die Banken sorgen dafür, dass Firmen und Privatpersonen mit genügend Krediten versorgt werden, weshalb die Wirtschaft brummt. Was ist daran schlecht?
Historisch betrachtet, ist es richtig, dass die Wirtschaft real profitiert hat. Aber in den letzten 30 bis 50 Jahren ist in allen fortgeschrittenen Industrieländern der grösste Teil des neu geschöpften Geldes in reine Finanzmarktanlagen geflossen, ohne direkt zum Wirtschaftsprodukt beizutragen – ins Investmentbanking, in die Vermögensverwaltung, in Immobilien als Geldanlage. 

Banken schufen Geld vorab durch die Vergabe von Baukrediten. Davon haben Wirtschaft und auch Bürger doch stark profitiert.
Zum Teil ja, aber der grössere Teil des Buchgelds ist eben in spekulative Finanzgeschäfte geflossen. Wenn die Geldmenge, die Vermögenstitel und die Schulden jedes Jahr um ein Vier-, Fünf-, Siebenfaches der Wirtschaftsleistung wachsen, dann kann das auf Dauer nicht gut gehen. 

Sie malen dunkelschwarz!
Irgendwann ist die Grenze der finanziellen Tragfähigkeit erreicht, und es kommt zur Krise oder sogar zum Zusammenbruch. Die Staaten und inzwischen auch die Bankkunden müssen dann die Banken retten – die Bankkunden mit ihren Einlagen, die Staaten mit massiver Mehrverschuldung auf Kosten aller Steuerzahler. 

Die Nationalbank soll das Vollgeld schuldfrei in Umlauf bringen. Das schafft grosse Begehrlichkeiten. Warum ohne Gegenleistungen?
Eine grössere Gier als zuletzt Investmentbanker und Vermögensverwalter wird eine freiheitliche und demokratische Regierung wohl kaum an den Tag legen. Davon abgesehen: Die finanzwirtschaftliche Zirkulation von Vollgeld ist nicht zins- und tilgungsfrei!  Auch Vollgeld wird natürlich seinen Preis haben. Aber nur die Zentralbank kann Geld in eigener Währung ohne Finanzierungskosten herstellen und einen hohen Geldschöpfungsgewinn erzielen. Dieser Geldschöpfungsgewinn kann ohne weiteres an den Staatshaushalt oder direkt an die privaten Haushalte ausgeschüttet werden. 

Unser Finanzminister sagt aber, er wolle gar nicht so viel Geld. Knappe Mittel seien gut für die öffentliche Hand, damit nichts für Unnötiges ausgegeben werde.
Ja gut. Dann kann er den Geldschöpfungsgewinn dafür verwenden, Steuern zu senken. Dann haben die Firmen und Haushalte mehr Geld. Umso besser. Aber irre Reichtümer sind das nicht. In einem Vollgeldsystem kommt weder der Staat noch sonst jemand «einfach so» ohne produktive Gegenleistung in den Besitz von unerhörtem Reichtum – anders als heute die Grossbanken. 

Der Abstimmungskampf hat begonnen. Wie werden Sie sich aus Deutschland einmischen?
Gar nicht. Ich halte mich da bewusst raus.

Spenden Sie Geld für die Kampagne?
Nein. Das mache ich absichtlich nicht, um gewissen frei erfundenen Unterstellungen nicht auch noch Nahrung zu geben.

 

Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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