Die Debatte um die Gefährlichkeit von Glyphosat war in vollem Gange, als Bundesrätin Doris Leuthard (56) im Jahr 2017 einen brisanten Vorschlag machte: Künftig sollte in Bächen, Flüssen und Seen für das Pestizid ein weit höherer Grenzwert gelten als bisher. Statt 0,1 Mikrogramm pro Liter sollten 360 Mikrogramm erlaubt sein – eine 3600-mal höhere Menge.
Die Folge war ein Aufschrei der Öffentlichkeit, woraufhin die CVP-Magistratin zurückkrebste. Am Ende schlug ihr Umweltdepartement (Uvek) einen Glyphosat-Grenzwert von 10 Mikrogramm pro Liter vor, eine Erhöhung um das Hundertfache. Die Idee hinter Leuthards Plan: Statt einem einheitlichen Grenzwert sollten für unterschiedlich giftige Pestizide unterschiedliche Werte gelten. So sollte für 25 Stoffe die Schwelle erhöht, für 12 Stoffe dagegen gesenkt werden.
Sommaruga mit Strategiewechsel
Seit 2019 steht nun Simonetta Sommaruga (59) dem Uvek vor. Wie sich jetzt zeigt, verfolgt die Sozialdemokratin beim Gewässerschutz eine andere Strategie als ihre Vorgängerin. SonntagsBlick weiss: In Kürze wird ihr Departement die entsprechende Verordnung anpassen. Bei Flüssen und Seen, aus denen Trinkwasser gewonnen wird, will das Uvek für Pestizide am generellen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter festhalten. Das gilt auch für Glyphosat. Für mehr als zehn andere Stoffe werden die Grenzwerte beim Trinkwasser verschärft.
Da es sich bei der Änderung um eine Departementsverordnung handelt, kann Sommaruga den Entscheid ohne Zustimmung des Bundesrats fällen. Die Medienstelle des Uvek bestätigt auf Anfrage, dass es insbesondere bei Glyphosat keine Erhöhung des Grenzwerts geben werde. Zu Details der Verordnung äussere man sich nicht.
SVP-Bundesrat auf Öko-Kurs
Sommaruga macht ihrem Namen als «grüne Bundesrätin» damit alle Ehre. Überraschender ist, dass auch der Gesamtbundesrat – zumindest in der Landwirtschaft – einen ökologischeren Kurs einschlagen will. Dies zeigte sich diese Woche, als Landwirtschaftsminister Guy Parmelin (60) die neue Agrarpolitik vorstellte und einen ganzen Strauss an Massnahmen für mehr Nachhaltigkeit präsentierte. So will der SVP-Bundesrat die Menge an Dünger reduzieren, die Bauern künftig ausbringen dürfen.
Kürzlich gemachte Aussagen von CVP-Nationalrat Markus Ritter (52) zielen in eine ähnliche Richtung: In der «SonntagsZeitung» zeigte sich der Präsident des mächtigen Bauernverbands offen für eine punktuelle Zusammenarbeit mit den Grünen.
Druck aus der Bevölkerung wirkt
Mit ihrem Schwenk reagieren Bundesrat Parmelin und Bauern-Chef Ritter auf die Stimmung in der Bevölkerung. Wie eine Umfrage des Bundesamts für Statistik zeigt, nimmt die Sorge um die Umwelt zu: So schätzen über die Hälfte der Schweizer den Verlust von Biodiversität, den Einsatz von Pestiziden und den Klimawandel als sehr gefährlich ein. Auch die Umweltqualität hat sich in der Wahrnehmung der Bevölkerung verschlechtert. 2015 beurteilten noch 92 Prozent der Befragten diese als gut; 2019 sank dieser Wert auf 84 Prozent.
Ob Parmelins Plan hin zu mehr Ökologie im Parlament Bestand haben wird, muss sich erst noch zeigen. Was aber sagen die Bauernvertreter zur neuen Agrarpolitik?
Konsumenten nicht vergessen
Martin Bossard von Bio Suisse, dem Dachverband der Schweizer Bioproduzenten, hält die Agrarpolitik für «gut eingespurt». Ihm fehlt jedoch die längerfristige Perspektive: «Wenn die Landwirtschaft wirklich nachhaltiger werden soll, müssen wir nicht nur die Produzenten miteinbeziehen – sondern auch die Konsumenten.» Bossard sieht dabei die öffentliche Hand in der Pflicht und verweist auf Kopenhagen: Die dänische Hauptstadt serviert in ihren Schulkantinen oder Altersheimen bereits heute fast nur noch Bio-Essen.
Zwar sind Bioprodukte teurer, wie Bossard einräumt. Doch fehle bei der konventionellen Landwirtschaft die Kostenwahrheit. Deren Schäden würden von der Allgemeinheit bezahlt. Zum Beispiel, wenn aufgrund von Pestizid-Verschmutzungen neue Trinkwasserfassungen nötig würden.
Mit den Schülern auf den Bauernhof
SVP-Nationalrat und Landwirt Marcel Dettling dagegen findet, keine Pestizide seien auch keine Lösung. Vielmehr gehe es darum, die Mittel richtig anzuwenden. Indem man die Menge begrenze oder für eine gezieltere Ausbringung neue Technologien wie Drohnen einsetze. «Bei den Pflanzenschutzmitteln geht der Bundesrat in die richtige Richtung», sagt Dettling. Dagegen fände er es problematisch, wenn aufgrund der erhöhten ökologischen Anforderungen weniger im Inland produziert und mehr importiert werde.
Einig ist sich Dettling mit Bossard, dass der Konsument eine wichtige Rolle spielt. Von staatlich verordneten Biomenüs hält Bauer Dettling zwar nichts, hingegen brauche es Aufklärungsarbeit in der Schule: einen Besuch auf dem Bauernhof etwa. Das findet auch Bossard eine gute Idee.