Es war eine heftige Abrechnung: HIV sei heute ein Geschäft. Und die Pharmaindustrie forciere die Behandlung von gesunden schwulen Männern mit den sogenannten «Prep»-Medikamenten, die in der Schweiz nur für Menschen mit dem HI-Virus zugelassen sind. Das sagte der ehemalige Mister Stopp Aids, Roger Staub (60), diese Woche im grossen Interview mit BLICK.
Jetzt wehrt sich das Unispital Zürich gegen Staubs Aussagen. Denn fast täglich suchen schwule Männer dort Rat in der speziell eingerichteten «Prep-Sprechstunde» von Dr. Benjamin Hampel (38). «Wir wissen durch die letzten 30 Jahre der HIV-Epidemie, dass es einen kleinen Teil der Bevölkerung gibt, für die Kondome schlicht nicht funktionieren», so Hampel. «Für sie ist Prep ein Segen.»
Gründe für eine Kondom-Aversion gebe es viele: Erektile Dysfunktion, sobald das Kondom angezogen wird, Drogenkonsum, aber auch die «physische Barriere, insbesondere wenn Gefühle und Liebe im Spiel sind.»
Benjamin Hampel: «Wir können die Augen doch nicht vor der Realität verschliessen»
Diese Leute seien bisher von der HIV-Prävention ausgeschlossen gewesen. «Schliesslich gab es keine Alternative zum Kondom», sagt Hampel. «Jetzt gibt es eine andere Möglichkeit, sich trotzdem vor HIV zu schützen. Als Ärzte sind wir verpflichtet, diese Informationen mit den Leuten zu teilen und Aufklärung zu betreiben.» Tatsächlich verhindert das Medikament bei korrekter Anwendung die Ansteckung.
Eingenommen werde das Medikament sowieso. «In den letzten Jahren hat sich ein Schwarzmarkt entwickelt. Das ist wirklich problematisch», betont der Spezialist. Bei einer Umfrage habe das Unispital zudem festgestellt, dass 20 Prozent der Leute, die Prep in der Schweiz nehmen, dies ohne ärztliche Kontrolle tun. «Dagegen müssen wir dringend etwas unternehmen», so Hampel.
Die Frage sei also nicht, ob er Prep mit seinen moralischen Vorstellungen vereinbaren könne. Sondern ob er seinen Auftrag als Arzt wahrnehme. «Wir können die Augen doch nicht vor der Realität verschliessen.» Die Nebenwirkungen schätze er bei einer medizinisch kontrollierten Einnahme als «nicht hoch» ein.
In den USA ist die Einnahme von Prep sehr verbreitet
Und sogar die Eidgenösssiche Kommission für sexuelle Gesundheit (EKSG) empfiehlt den sogenannten «Off Label Use» – also die Verschreibung des Medikaments, obwohl es nicht als Prophylaxe zugelassen ist. «Dies ist in der Medizin überhaupt keine Seltenheit. Aber natürlich ist die rechtliche Situation derzeit unbefriedigend und eine offizielle Zulassung wäre anzustreben.»
Vehement wehrt sich Benjamin Hampel gegen die Behauptung, die Pharmabranche fördere die Einnahme von HIV-Medikamenten durch gesunde Personen. «Dieser Vorwurf ist für mich nicht begründet. Das Gegenteil ist sogar der Fall», so Hampel. Schliesslich habe der Hersteller auch keine Zulassung von Prep als HIV-Prophylaxe beantragt. Angesichts des Preises, den der Anwender selbst bezahlt, sei eine Vermarktung «illusorisch». Eine Monatsration kostet in de Schweiz rund 900 Franken.
Dank Prep weniger HIV-Neuinfektionen
Denn die Schweiz ist das einzige Land in Europa, in dem es noch ein Patent auf das Medikament gibt. «So sind die Leute gezwungen, Generika im europäischen Ausland zu beziehen. Dort kosten sie teilweise weniger als ein Zehntel des Originalproduktes.»
Tatsächich sehr verbreitet sei Prep in den USA. «Aber ich glaube nicht, dass wir in der Schweiz denselben Zuwachs erleben. Schliesslich ist man in Europa Medikamenten gegenüber sehr viel kritischer eingestellt. Und das ist auch gut so.»
Ansonsten stimmen Hampel die Erfahrungen im Ausland zuversichtlich: «Denn in vielen Regionen, wo Prep als HIV-Prophylaxe zugelassen ist, ist die Zahl der Neuinfektionen gesunken.»