Die linke «Wochenzeitung» hat heute mit einer Recherche gezeigt, dass die Unia-Leitung alles versucht hat, die sexuelle Belästigungen durch Star-Gewerkschafter Roman Burger unter dem Deckel zu halten. Doch offenbar krankt das ganze System Unia.
Die Zeitung hat mit einem Dutzend ehemaligen und aktiven Unia-Mitarbeitern gesprochen. Und was sie erzählen, wirft kein gutes Licht auf die grösste und stärkste Gewerkschaft der Schweiz.
Leute aus anderer Regionen sagen laut «WOZ» über die Zürcher Unia-Leute, sie wirkten sektiererisch, als eingeschworene Gemeinschaft, sie wüssten immer alles besser. Aus dem Inneren der «eingeschworenen Gemeinschaft» tönt das so: «Wir grenzen uns tatsächlich stark von den anderen ab, wir sind kämpferischer und arbeiten mit anderen Methoden», erklärt eine Zürcher Gewerkschafterin.
Die Instrumente stammen aus den USA – sie heissen Organizing. Ziel sei es, Leute in Betrieben zu befähigen, selber Kampagnen für bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren. «Du beginnst mit Einzelgesprächen in Betrieben, die du organisieren willst, und baust nach und nach Kontakte auf», erklärt eine Zürcher Unia-Gewerkschafterin. Damit hat die nordamerikanische Gewerkschaft Unite Here etwa Angestellte in den Casinos von Las Vegas erfolgreich organisiert.
Der Ansatz sei laut der «WOZ» innovativ und dynamisch, birgt aber auch Risiken: «Unite Here wird zum Beispiel vorgeworfen, die persönlichen, intimen Geschichten der Mitglieder gezielt verwendet zu haben, um sie bei Bedarf zu manipulieren.» Laut «New York Times» nennt sich das «pink sheeting», weil pinkfarbene Formulare verwendet worden seien, um die privaten Geschichten der Mitglieder aufzuzeichnen.
Ob es auch in Zürich zu «pink sheeting» kam, ist laut «WOZ» nicht klar. Unbestritten sei aber, dass gezielt mit den persönlichen Lebensgeschichten der Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern gearbeitet wurde. Die Leute sollten damit lernen, mit der eigenen «personal story» das Gegenüber – also die Person, die man als Gewerkschaftsmitglied gewinnen will – dazu zu bringen, auch Privates zu erzählen: «Dadurch entsteht eine persönliche Beziehung, auf der die Gewerkschaft aufbauen kann. Die ArbeiterInnen und Angestellten gewinnen Selbstvertrauen und getrauen sich, innerhalb des Betriebs Widerstand zu leisten», schreibt die «WOZ». Und: «Klingt überzeugend und sinnvoll. Kann aber psychologisch brandgefährlich werden.»
Gemäss der Zeitung organisierte die Unia Zürich anfang 2015 für Mitarbeiter in einem Hotel im Glarnerland eine Retraite, an der intensiv an den «personal stories» gearbeitet werden sollte. Der Gruppendruck mitzumachen war sehr hoch. Ein knappes Dutzend Organizer, Frauen und Männer, im Durchschnitt nicht älter als dreissig, reisten für ein Wochenende dahin. Aus der regionalen Geschäftsleitung war niemand dabei – ausser Roman Burger.
Man gab viel von sich preis, erzählen Teilnehmer der «WOZ»: eine schwierige Beziehung mit dem Vater, Drogenvergangenheiten und so weiter. «Es wurden zwei Gruppen gebildet», erinnert sich eine Teilnehmerin, «dann hat man seinen Werdegang erzählt, und die anderen konnten Fragen stellen. Es war ein bisschen wie vor einem Gericht. ‹Wurdest du denn als Kind nicht geliebt?›, so Sachen halt. Wenn du nicht antworten wolltest, hiess es: ‹Du musst dich öffnen.› Einzelne haben geweint», schreibt die «WOZ». Gehirnwäsche fast wie einer Sekte.
Die Informationen hätten vertraulich bleiben sollen, später seien aber Sprüche gefallen, die darauf zeigten, dass sie doch Einfluss auf Beförderungen gehabt hätten. «Ich finde es auch heute nicht grundsätzlich schlecht, so was zu machen. Es hätte aber unbedingt eine externe Psychologin dabei sein müssen – und man hätte das nur innerhalb derselben Hierarchiestufe machen dürfen», sagt eine der Anwesenden der Wochenzeitung rückblickend.
Eine andere Gewerkschafterin schildert der Zeitung, wie sich «der Groove» innerhalb der Unia Zürich durch diese Vermischung von Professionellem und Privatem verändert habe: «Strukturelle Probleme gab es nicht mehr, alles war nur noch persönlich begründet.» Habe man einen Missstand angesprochen, sei das rhetorisch sofort zu einem Problem der Person gemacht worden, die Kritik geübt habe.
Eine weitere Retraite-Teilnehmerin resümiert: «Es wurde dann etwas sektenhaft bei der Arbeit. Wenn du die Geschichte der Leute so gut kennst, dann kannst du heikle Punkte gegen sie verwenden. Ich würde nicht sagen, dass so Voraussetzungen für sexuelle Belästigung geschaffen werden, aber es war sicher alles andere als hilfreich dabei, ein professionelles Arbeitsumfeld aufrechtzuerhalten.»
Und genau damit sicherte sich Burger seine Machtposition. Die er solange verteidigen konnte, bis BLICK letzte Woche aufgrund der Resultate der unabhängigen Untersuchung zu einem sexuellen Übergriff mit schlüpfrigen SMS bei der Unia nachfragte. Vor diesem Hintergrund verblassen die Leistungen von Burger im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen in der Schweiz. (hlm)