Ein winziges Grüppchen bringt die selbstbewussten Sozialdemokraten in Verlegenheit: Die Schriftstellerin Sibylle Berg (55) und ein paar Vertraute haben eine Online-Umfrage lanciert und suchen damit Unterstützung für ein Referendum gegen die im Parlament beschlossene «gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten».
Beinahe 9000 Personen haben bis gestern Nachmittag ihren Support erklärt – und damit die Erwartungen der Urheber massiv übertroffen.
Für die parlamentarische Linke wäre das eigentlich ein Grund zum Jubeln. Die SP war es, die sich mit Verve gegen die drohende Überwachung von Versicherten gestemmt hat. Sie war es auch, die vor den Eingriffen in die Privatsphäre von Sozialhilfebezügern warnte. Doch im bürgerlich dominierten Parlament verhallten ihre Rufe wirkungslos.
Ein aussichtsloser Kampf
Kommt nun doch ein Referendum, stünde die Partei vor einem Dilemma: Soll sie sich in einem Kampf engagieren, der aus Sicht der Parteistrategen kaum zu gewinnen ist? Der die Basis erfreut – aber letztlich nichts ändern wird? Die Antwort der Parteispitze ist klar: Mit der SP wird es kein Referendum geben. Fraktionspräsident Roger Nordmann (45, VD) erklärt, warum die SP «weder Unterschriften sammeln noch Geld einschiessen» könne.
Die SP habe die Vorlage zwar im Parlament bekämpft, aber die Mittel seien beschränkt: «Wir können jedoch nicht gegen jedes Gesetz aufstehen, das uns nicht passt. Wir müssen uns als Partei überlegen, wo wir für die Sache etwas erreichen können.» Nordmann weiter: «Mir graut vor einem Abstimmungskampf, in dem die SVP während Monaten über Sozialhilfebezüger und Behinderte herzieht.» Das könne nicht im Sinne dieser Menschen sein. «Sollte das Gesetz in der Praxis aber die Grundrechte verletzen, wird es spätestens am Europäischen Gerichtshof gekippt.»
Wahrscheinlich müsse die Partei bald andere Referenden lancieren: gegen die Lockerung des Arbeiterschutzes, gegen die Kürzung der AHV- und IV-Ergänzungsleistungen, gegen die Erhöhung der Franchisen in der Krankenversicherung. Viel Arbeit also.
Eine Reihe bekannter Genossen kann damit wenig anfangen. «Wir haben schon andere sogenannt aussichtslose Kämpfe ausgefochten – und einige auch gewonnen», sagt Nationalrätin Silvia Schenker (64, BS), eine der profiliertesten Sozialpolitikerinnen. Es wäre verfehlt, dies nicht auch beim Versicherungsgesetz zu versuchen.
Wermuth ist empört
Die Parlamentsmehrheit knöpfe sich einmal mehr die Kleinen vor, «die Grossen aber werden gehätschelt», empört sich Cédric Wermuth (32, AG). Als Partei habe man immer ein Ressourcenproblem. Die absehbaren Abstimmungskämpfe, wohl auch gegen die Neuauflage der Steuerreform, bedeuteten enormen Aufwand.
«Aber beim Versicherungsgesetz, das eigentlich uns alle unter Generalverdacht stellt, den liberalen Rechtsstaat aushebelt und in die Privatsphäre unbescholtener Bürger eindringt, werden wir nicht abseits stehen können.» Er glaubt, dass sich die SP doch noch gegen die Vorlage engagiere, sagt Wermuth. «Auch finanziell.»
Eine Gruppierung mit grosser Kampagnen-Erfahrung ist jedenfalls mit von der Referendums-Partie: Die Jungsozialisten rufen heute Sonntag ihre Anhänger zur Unterstützung der Kampagne auf. «Wir dürfen uns nicht nur von wahltaktischen Überlegungen leiten lassen», so Juso-Präsidentin Tamara Funiciello (28): «Hier geht es um eine konsequente Politik für die breite Bevölkerung».
Kommentar von Politredaktor Marcel Odermatt
Sibylle Berg vertritt die linke Sichtweise beim Thema Sozialdetektive: «Es gibt keinen Grund, die Menschen aufzuhetzen.» Die Schriftstellerin will deshalb das Referendum gegen ein Gesetz ergreifen, das die bürgerliche Mehrheit in der Frühjahrssession durchgepeitscht hat. Es erlaubt IV, Suva und Co., Menschen zu observieren, die verdächtigt werden, Sozialleistungen ungerechtfertigt zu beziehen.
Für SP, Grüne und Gewerkschaften kann es da nur eine Antwort geben: Widerstand! Und doch lassen die Genossen Berg im Regen stehen. Fraktionschef Roger Nordmann: «Wir können nicht gegen jedes Gesetz aufstehen, das uns nicht passt. Wir müssen als Partei überlegen, wo wir für die Sache etwas erreichen können.» Die beiden Sätze offenbaren, wie die Sozialdemokratie heute funktioniert. Die Parteikader verstehen sich als Machtfaktor im Land. Sie wollen Allianzen schmieden, Mehrheiten schaffen und an der Urne Siege einfahren.
So war es bei der Energiewende und der Unternehmenssteuerreform. Auch die totale linke Dominanz in den Städten lässt grüssen. Chancenlose Abstimmungskämpfe für die Galerie will Nordmann darum ebenso vermeiden wie Parteichef Christian Levrat.
Ein Sieg der Rechten wäre bei einer Abstimmung über Sozialdetektive garantiert – in der Bevölkerung ist unumstritten, dass gegen Sozialmissbrauch mit allen Mitteln vorgegangen werden muss. Deshalb kann Sibylle Berg an das linke Gewissen so lange appellieren, wie sie will: Diesen Kampf muss sie ohne die Parteioberen führen.
Kommentar von Politredaktor Marcel Odermatt
Sibylle Berg vertritt die linke Sichtweise beim Thema Sozialdetektive: «Es gibt keinen Grund, die Menschen aufzuhetzen.» Die Schriftstellerin will deshalb das Referendum gegen ein Gesetz ergreifen, das die bürgerliche Mehrheit in der Frühjahrssession durchgepeitscht hat. Es erlaubt IV, Suva und Co., Menschen zu observieren, die verdächtigt werden, Sozialleistungen ungerechtfertigt zu beziehen.
Für SP, Grüne und Gewerkschaften kann es da nur eine Antwort geben: Widerstand! Und doch lassen die Genossen Berg im Regen stehen. Fraktionschef Roger Nordmann: «Wir können nicht gegen jedes Gesetz aufstehen, das uns nicht passt. Wir müssen als Partei überlegen, wo wir für die Sache etwas erreichen können.» Die beiden Sätze offenbaren, wie die Sozialdemokratie heute funktioniert. Die Parteikader verstehen sich als Machtfaktor im Land. Sie wollen Allianzen schmieden, Mehrheiten schaffen und an der Urne Siege einfahren.
So war es bei der Energiewende und der Unternehmenssteuerreform. Auch die totale linke Dominanz in den Städten lässt grüssen. Chancenlose Abstimmungskämpfe für die Galerie will Nordmann darum ebenso vermeiden wie Parteichef Christian Levrat.
Ein Sieg der Rechten wäre bei einer Abstimmung über Sozialdetektive garantiert – in der Bevölkerung ist unumstritten, dass gegen Sozialmissbrauch mit allen Mitteln vorgegangen werden muss. Deshalb kann Sibylle Berg an das linke Gewissen so lange appellieren, wie sie will: Diesen Kampf muss sie ohne die Parteioberen führen.