Trotz Wahlschlappe in Bern
Angriff der SVP auf die Sozialhilfe geht weiter

Bern hat den Plänen der SVP, die Sozialhilfe teilweise massiv zu kürzen, eine Abfuhr erteilt. Muss man in den anderen Kantonen nun einen Gang zurückschalten? Im Gegenteil, sagen Parteiexponenten.
Publiziert: 20.05.2019 um 18:28 Uhr
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Alt SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer (74) hat bereits 2013 eine parteiinterne Gruppe gegründet, die zum Angriff auf die Sozialhilfe bläst.
Foto: Keystone
Lea Hartmann

Bei der Abstimmung über die Verschärfung des Waffenrechts ging die SVP gestern als Verliererin hervor. Doch die grosse Niederlage musste die Partei nicht auf nationaler Ebene, sondern im Kanton Bern verkraften: Mit 52,6 Prozent Nein-Stimmen machte das Berner Stimmvolk dem Plan von SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (56) einen Strich durch die Rechnung. Er wollte den Grundbedarf in der Sozialhilfe für alle Bezüger um acht Prozent kürzen. Wer innert sechs Monaten keine Arbeit findet oder eine Ausbildung beginnt, sollte sogar bis zu 30 Prozent weniger bekommen.

Vorstösse auch in Aargau, Zürich, Baselland und Solothurn

Das Nein ist eine herbe Schlappe für die SVP, die derzeit in mehreren Kantonen eine Offensive gegen die Sozialhilfe fährt. Im Aargau hat die Partei zwei Vorstösse durchgebracht, die die Regierung nun prüfen muss. Einer sieht vor, dass die Höhe der Sozialhilfe von der Anzahl Jahre, die jemand Steuern gezahlt hat, abhängig sein soll. Der andere fordert eine generelle Kürzung des Grundbedarfs um 30 Prozent aufs Existenzminimum. Nur wer sich bemüht, soll mehr bekommen.

Auch das Baselbieter Parlament hat sich für eine 30-Prozent-Kürzung und die Einführung eines sogenannten Motivationszuschlags ausgesprochen. Im Kanton Solothurn wurde der gleiche Vorschlag vergangene Woche eingereicht. Auch in Zürich steht er zur Debatte – ebenso wie der Vorschlag, die Sozialhilfe an die Anzahl Steuerjahre zu koppeln.

«Wir müssen die Aufklärungsarbeit intensivieren»

Dass die Forderungen in allen vier Kantonen dieselben sind, ist kein Zufall. Das Vorgehen ist koordiniert. Schon 2013 rief der ehemalige Zürcher SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer (74) eine parteiinterne Gruppe ins Leben, um mit vereinten Kräften die Sozialhilfe anzugreifen. Dass sich die SVP auf das Thema eingeschossen hat, hat mit dem hohen Ausländeranteil in der Sozialhilfe zu tun. Über die Hälfte der Bezüger haben nicht den Schweizer Pass. Zudem beziehen über 85 Prozent der Asylbewerber Sozialhilfe.

Der Entscheid der Berner gegen die Kürzung erzürnt Schlüer. Was ihn besonders aufregt, ist das Nein der urbanen Gebiete. «Die finanzielle Sorglosigkeit der links-grünen Städte muss einem Sorgen machen», wettert er. 

Im Juni komme das Sozialhilfe-Komitee der SVP das nächste Mal zusammen. «Wir werden das Resultat in Bern sicher diskutieren», sagt Schlüer. Geht es nach ihm, muss die Partei nun keinen Gang zurück, sondern einen vorwärts schalten. Schlüer: «Wir müssen nun die Aufklärungsarbeit intensivieren.»

Kampagne sei viel zu brav gewesen

Dieser Meinung ist auch Barbara Steinemann (42). Die Zürcher SVP-Nationalrätin kämpft in der Partei an vorderster Front für massive Einschnitte bei der Sozialhilfe. Die Abstimmungskampagne in Bern sei viel zu brav gewesen, findet sie. «Ich hätte den Fokus viel mehr auf stossende Fälle gelegt und die Gegner so in die Defensive gedrängt.» Denn die Beispiele, mit denen die Gegner für ein Nein weibelten, spiegeln aus Sicht Steinemanns nicht die Wirklichkeit wider.

«Die grosse Mehrheit der Sozialhilfebezüger sind nicht ältere Ausgesteuerte oder alleinerziehende Mütter, sondern Personen mit Migrationshintergrund und schlechter Bildung.» Für viele lohne es sich mit den heutigen Sätzen oftmals gar nicht zu arbeiten. Diesen Fehlanreiz müsse man beseitigen.

«Wir sollten uns vom Ergebnis in Bern nicht ins Bockshorn jagen lassen», sagt Steinemann kämpferisch. Dass die Vorstösse in Zürich eine Chance haben werden, glaubt sie nach dem Abstimmungsausgang in Bern realistischerweise zwar nicht. In den bürgerlich dominierten Kantonen Aargau, Baselland und Solothurn sei die Ausgangslage aber eine andere. 

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