Dürfen Versicherungen ihre Kunden, die Versicherten, ohne richterliche Genehmigung observieren? Darüber ist im Rat der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva ein Streit entbrannt. Die sechs Ratsmitglieder des Gewerschaftsdachverbands Travail Suisse rügen das aggressive Lobbying der Suva in dieser Angelegenheit. Der Versicherer will strenge Beschränkungen für Observationen unbedingt verhindern.
Sozialdetektive erhalten mehr Rechte als die Polizei
Am Montag entscheidet der Nationalrat über diese heisse Frage. Der Ständerat hatte bereits im Dezember beschlossen, den Versicherern mehr oder weniger sämtliche Instrumente für die Observation in die Hand zu geben, um Missbräuche aufzudecken.
Das neue Gesetz stellt den Versicherern eine eigentliche «carte blanche» für Observationen aus. Privatdetektive dürfen im Auftrag der Versicherer künftig Verdächtige beobachten und verfolgen, Video- und Tonaufnahmen machen – und das alles in Eigenregie, ohne richterliche Genehmigung. Einzig für Instrumente zur Standortbestimmung, namentlich das GPS-Tracking, wäre das richterliche OK nötig.
Sagt auch der Nationalrat Ja, hätten Sozialdetektive mehr Rechte als Polizei und Staatsschützer bei verdeckten Observation von Straftätern und Terroristen. Darum ging der vorberatenden Sozialkommission (SGK) des Nationalrats der ständerätliche Gesetzesvorschlag ursprünglich auch zu weit.
Suva und SVV stossen Kommissionsentscheid um
In einer zweiten Sitzung stimmte die SGK der beinharten Vorlage dennoch zu. Urplötzlich wollte die bürgerliche Kommissionsmehrheit nichts mehr von strengeren Richtlinien für Observationen wissen. Grund für diesen rasanten Meinungsumschwung war das aggressive Lobbying des Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) und dem Unfallversicherer Suva, wie «Der Bund» schreibt. Denn zwischen den beiden Sitzungen schickten SVV und Suva einen Brief an alle Kommissionsmitglieder, mit dem sie ordentlich Druck aufsetzten.
«Richterliche Bewilligungen für alle Observationsmassnahmen einzuholen, sei «eine massive und praxisuntaugliche Verschärfung» der bisherigen Praxis, jammerten die Versicherer darin. «Hohe Kosten und zeitliche Verzögerungen» entstünden, welche die effiziente Verfolgung von Betrugsversuchen faktisch verunmöglichen, schreiben sie in ihrem Brief.
Travail-Suisse-Chef rügt Suva: Nicht verhältnismässig
Über das aggressive Lobbying der Suva ärgert sich Travail-Suisse-Präsident Adrian Wüthrich (37): «Es hat uns irritiert, dass die Suva und der SVV hier zusammenspannen und mit einem Brief die Entscheidungsfindung des Parlaments beeinflussen.» Es sei stossend, dass die Suva als nicht Privatversicherer, sondern als sozialpartnerschaftlich geführte selbstständige Unternehmung hierbei federführend mitspiele. Travail Suisse habe mit Befremden davon Kenntnis genommen, und deshalb selbst einen Brief an die Adresse der Suva verfasst, wie Wüthrich BLICK verrät.
Hauptkritik: Die Verhältnismässigkeit sei mit dem neuen Gesetz kaum gewahrt. Es beschneide die Persönlichkeitsrechte zutiefst. Dass die Suva strenge Voraussetzungen für Observationen möglichst verhindern will und derart einseitig auf ihre Versicherten losgehe, erstaunt Wüthrich.
Denn der Unfallversicherer führe pro Jahr gerade mal zehn Observationen durch. Das könne die Suva auch tun, wenn sie dafür richterliche Genehmigungen einholen müsste. Denn Richter würden Observationen genehmigen, wenn der Versicherer einen Missbrauchsverdacht plausibel vorbringen könne, ist Wüthrich überzeugt. «Das spricht ganz klar dafür, dem Schutz der Privatsphäre höchste Priorität einzuräumen. Die Suva hat sich bei diesem Geschäft zu sehr einspannen lassen», kritisiert er.