SVP-Präsident Albert Rösti will Personenfreizügigkeit beenden
Die Kündigungs-Initiative steht

Der Bundesrat wird heute über die künftigen Beziehungen zur EU reden. Namentlich über das Rahmenabkommen. Derweil zieht die SVP schon den nächsten Pfeil aus dem Köcher und kündigt an, die Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit im September einzureichen.
Publiziert: 26.06.2018 um 23:38 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:56 Uhr
Interview: Ruedi Studer

BLICK: Herr Rösti, ist FDP-Bundesrat Ignazio Cassis schon Ehrenmitglied der SVP?
Albert Rösti: (lacht) Die SVP hat keine Ehrenmitglieder. Wir halten nichts auf solche Titel. Die Nagelprobe mit dem Reset-Knopf in der EU Politik steht aus.

Aber Cassis hätte ihn verdient: Er hat im Bundesrat einen Rechtsdrall ausgelöst – gegen den Vaterschaftsurlaub, gegen mehr Geld für die familienergänzende Kinderbetreuung, für eine Lockerung der Waffenexporte.
Sie nennen die richtigen Beispiele! Sie könnten auch noch den 8-Milliarden-Franken-Planungskredit für den Schutz der Menschen vor Gefahren aus der Luft nennen: Ohne Cassis wäre dieses wichtige Geschäft im Bundesrat wohl nicht mehrheitsfähig gewesen. Mit Cassis ist der Bundesrat tatsächlich rechter geworden! Es dürfte aber noch deutlich mehr sein. Gerade bei der Europapolitik bestehen riesige Differenzen. Mit einem Rahmenabkommen wird unser Stimmrecht verkauft und die direkte Demokratie zerstört.

Der Aussenminister stellt die Lohnschutz-Politik gegenüber der EU auf den Kopf, indem er die Acht-Tage-Regel in Frage stellt. Was halten Sie davon?
Cassis hat einige rote Linien gegenüber der EU definiert – und will sie nun schon überschreiten. Das zeigt: Wenn man der EU den kleinen Finger gibt, will sie die ganze Hand. Deshalb dürfen wir jetzt weder bei den flankierenden Massnahmen noch bei den Sozialversicherungen Kompromisse eingehen.

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«Wir haben 125'000 Unterschriften beisammen», sagt Albert Rösti. Der Parteipräsident der SVP kündigt im BLICK-Interview in seinem Büro in Uetendorf BE an, dass die SVP die Kündigungs-Initiative spätestens im Herbst einreichen wird.
Foto: Daniel Kellenberger

Das erstaunt! Gerade die SVP schimpft doch ständig über die flankierenden Massnahmen.
Solange die Personenfreizügigkeit besteht, sind die flankierenden Massnahmen ein notwendiges Übel. Die Ursache des Lohndrucks und der Probleme älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt ist aber die Personenfreizügigkeit. Wegen ihr strömen junge, günstige Arbeitskräfte in unser Land. Wenn wir die Freizügigkeit beseitigen und die Zuwanderung wieder eigenständig steuern, braucht es auch keine flankierenden Massnahmen mehr.

Sie sammeln ja derzeit Unterschriften für eine entsprechende Kündigungsinitiative. Wann wird diese eingereicht?
Wir werden unsere Begrenzungs-Initiative im August oder September einreichen.

Ach ja? Die Unterschriften sind bereits beisammen?
Ja, wir haben rund 125'000 Unterschriften gesammelt. Wir müssen diese zwar noch beglaubigen, aber man kann jetzt schon sagen: Die Initiative steht.

Das ging aber rasch. Sie haben nur ein halbes Jahr für die Initiative gebraucht.
Das Tempo hat mich selbst etwas überrascht. Die Initiative hat sich als eigentlicher Selbstläufer entpuppt. Auf der Strasse bekommt man sehr viel Zuspruch. Das zeigt: Die Sorge um den Arbeitsplatz bewegt die Leute enorm. Gerade aus Grenzregionen wie Tessin, Genf, Waadt oder Basel-Stadt haben wir überdurchschnittlich viele Unterschriften erhalten.

Die Initiative setzt erneut die bilateralen Verträge aufs Spiel. Wollen Sie die Wirtschaft schon wieder schädigen?

Solch ein Quatsch! Es geht nur um die Personenfreizügigkeit, alle andern Verträge sind auch in hohem Interesse der EU, da werden sich Lösungen finden. Die Personenfreizügigkeit ist demgegenüber für den Wohlstand langfristig schädlich. Seit der vollständigen Einführung der Personenfreizügigkeit gab es praktisch kein Pro-Kopf-Wachstum, aber grossen Lohndruck in den Grenzregionen und eine Erwerbslosigkeit, die heute etwa gleich gross ist wie jene von Deutschland. Diese volkswirtschaftlichen Folgen sind wichtiger als kurzfristige Gewinnerwartungen einzelner Unternehmen.

Warum reichen Sie die Initiative nicht erst 2019 ein? Das würde doch ins Wahljahr passen.
Wir wollen vorwärtsmachen, damit wir die Zuwanderung rasch wieder eigenständig steuern können. Das Thema bleibt so oder so auf der Agenda. Der Bundesrat wird innerhalb eines Jahres eine Botschaft dazu vorlegen müssen.

Haben Sie für 2019 auch schon eine neue Initiative in der Hinterhand?
Wir haben immer Pläne. Im Moment konzentrieren wir uns auf unsere Selbstbestimmungs-Initiative, die wohl im November zur Abstimmung kommt. Damit stellen wir den früheren Zustand wieder her, wonach die Schweizerinnen und Schweizer weiterhin bestimmen, welche Regeln und Gesetze bei uns gelten und nicht ausländische Organisationen und Richter.

Im Wahljahr nützt die Ihnen nichts.
Wahlen sind nicht Selbstzweck, wir arbeiten für das Wohl der Schweiz. So wird uns der Verkauf der Schweizer Unabhängigkeit per Rahmenabkommen mit der EU voll beschäftigen. Wenn das Abkommen mit automatischer Rechtsanpassung und fremden Richtern tatsächlich vom Bundesrat abgeschlossen wird, werden wir es mit aller Kraft bekämpfen und wenn nötig auch das Referendum dagegen ergreifen. Ein Abkommen, mit einem Souveränitätsverlust, Unionsbürgerschaft, Anspruch auf Sozialhilfe für praktisch alle EU-Bürger, für mehrere Hundert Millionen jährlich Arbeitslosenversicherung für Grenzgänger, keine Ausschaffung Krimineller mehr ist für uns ein absolutes No-Go.

Könnten Sie aber bei Bedarf auch eine neue Initiative aus der Schublade ziehen?
Wir geben  für das Asylwesen und die Entwicklungshilfe insgesamt fast 6 Milliarden Franken aus. Geld, das wir zum Beispiel für die Sicherung der AHV nutzen könnten. Wenn das Parlament hier weiterhin untätig bleibt, ist eine Initiative in diesem Bereich durchaus denkbar. 

Neben der EU nehmen Sie neuerdings auch die Sozialhilfe ins Visier. Machen Sie diese ebenfalls zum Wahlkampfthema?
Wir kämpfen auf kantonaler Ebene für eine Differenzierung bei der Sozialhilfe. Junge sollen nicht gleich viel erhalten wir ältere Arbeitnehmer, die ein Leben lang Beiträge einbezahlt haben. Arbeit muss sich lohnen.

Unter den Sozialhilfebezügern finden sich auch viele Kinder, Kranke und Behinderte. Sie betreiben Wahlkampf auf dem Buckel der Schwächsten!
Nein, wir stehen zu einer Sozialhilfe für die wirklich Bedürftigen. Wir bekämpfen aber Missbrauch und Betrug. Zu viele nutzen die Sozialhilfe oder IV aber aus. Deshalb verwundert mich schon, dass ausgerechnet die Linke das neue Gesetz für Versicherungsdetektive bekämpft und damit Versicherungsbetrüger schützt. Wir hingegen wollen dafür sorgen, dass jene arbeiten, die arbeiten können!

In der Schweiz ist es recht ruhig an der Asylfront. Die EU hingegen streitet sich um Grenzkontrollen und Flüchtlingszentren. Da kommt doch Schadenfreude auf!
Nein, Schadenfreude ist hier fehl am Platz. Im Moment kommen zwar weniger Asylsuchende zu uns. Wenn Deutschland die Grenzen dichtmacht, besteht für die Schweiz aber ein grosses Risiko, dass die Wirtschaftsmigranten in die Schweiz ausweichen. 

Und was dann?
Dann müssen wir das Grenzwachtkorps mit Militärpolizei verstärken und die gleichen Massnahmen treffen wie Deutschland, damit wir nicht überschwemmt werden. Entscheidend ist aber, dass wir den Schleppern das Handwerk legen, indem wir verhindern, dass die Migranten überhaupt die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer wagen.

Die EU diskutiert über Asylzentren in Afrika. Ist das die Lösung?
Was es braucht, ist mehr Hilfe vor Ort, damit die Betroffenen in ihren Ländern bleiben. Und abgewiesene Asylbewerber müssen konsequent zurückgeführt werden. Ich verstehe Italien, das nicht alle Flüchtlinge aufnehmen will. Letztendlich setzt die italienische Regierung das richtige Signal an die Schlepper.

Ein anderes Thema: In der Sommersession hat der Steuer-AHV-Deal des Ständerats für Furore gesorgt. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi hat darüber geschimpft, SVP-Wirtschaftschefin Magdalena Martullo-Blocher hat das Paket begrüsst. Was gilt nun?
Es braucht gewisse Anpassungen. Erstens müssen die beiden Teile in sich stimmen. Zweitens geht es nicht an, dass die AHV saniert wird, indem man nur Geld reinpumpt. Es braucht auch ein strukturelles Element: Rentenalter 65 für Mann und Frau ist ein Muss. Wir werden das in der Kommission und im Nationalrat beantragen.

Gerade das höhere Frauenrentenalter wollen auch viele Bürgerliche nicht in diese Vorlage packen, weil es das ganze Paket gefährdet. Was machen Sie dann?
Wie werden für die Erhöhung kämpfen. Entscheiden, ob wir die Vorlage mittragen, werden wir erst, wenn das Endergebnis vorliegt.

Der Steuer-AHV-Deal ist ein Beispiel dafür, wie im Ständerat eine Mitte-links-Mehrheit gewisse Themen dominiert. Wie wollen Sie diese Macht im Stöckli brechen?
Wir werden natürlich möglichst in vielen Kantonen mit guten Ständeratskandidaten antreten. Aber der Fokus liegt auf dem Nationalrat. Dank einer starken SVP im Nationalrat konnten wir einige Erfolge, so zum Beispiel die Verhinderung einer grünen Wirtschaft oder dass Asylsuchende ihre Handydaten offenlegen müssen, verbuchen.

Treten Sie selbst als SVP-Ständeratskandidat an?
Nein, als Parteipräsident konzentriere ich mich voll auf den Wahlkampf.

Architekt des SVP-Siegs 2015

Am 23. April 2016 übernahm Albert Rösti (50) das SVP-Parteipäsi­dium als Nachfolger des Toggenburgers Toni Brunner (43). Rösti war von 2007 bis 2013 Direktor der Schweizer Milchproduzenten. Seit 2011 sitzt der Berner im ­Nationalrat. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Rösti aber erst 2015 als Wahlkampf­leiter seiner Partei ein Begriff, als die SVP mit 29,4 Prozent ein historisches Glanzresultat erzielte.

Anfang November 2015 nominierte ihn die Berner SVP – eigenen Angaben zufolge, um seinen Rückhalt innerhalb der SVP zu prüfen – als ihren Bundesratskandidaten. Die Kandidatur zog er zwei Wochen später jedoch wieder zurück. Auch als Ständeratskandidat war Rösti erfolglos. Der studierte Agronom wuchs in Kandersteg BE auf, heute lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Uetendorf BE. Seit 2014 ist er dort Gemeinde­präsident.

Am 23. April 2016 übernahm Albert Rösti (50) das SVP-Parteipäsi­dium als Nachfolger des Toggenburgers Toni Brunner (43). Rösti war von 2007 bis 2013 Direktor der Schweizer Milchproduzenten. Seit 2011 sitzt der Berner im ­Nationalrat. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Rösti aber erst 2015 als Wahlkampf­leiter seiner Partei ein Begriff, als die SVP mit 29,4 Prozent ein historisches Glanzresultat erzielte.

Anfang November 2015 nominierte ihn die Berner SVP – eigenen Angaben zufolge, um seinen Rückhalt innerhalb der SVP zu prüfen – als ihren Bundesratskandidaten. Die Kandidatur zog er zwei Wochen später jedoch wieder zurück. Auch als Ständeratskandidat war Rösti erfolglos. Der studierte Agronom wuchs in Kandersteg BE auf, heute lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Uetendorf BE. Seit 2014 ist er dort Gemeinde­präsident.

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