Die SVP hat harte Tage hinter sich – und schwierige stehen bevor: So ging die Volkspartei bei den Wahlen in der Stadt Zürich und in Winterthur regelrecht unter. Und am kommenden Sonntag steht mit dem Urnengang im Kanton Bern ein wichtiger Gradmesser an. BLICK traf Parteichef Albert Rösti (50) in Bern zum Interview. Und dieser rechnet ab: mit den SVP-Stadtparteien, die mit «nicht genügend guten» Kandidaten in die Wahlen ziehen würden. Mit der Jung-SVP, die mit einem heiklen Plakat Stimmung macht. Und mit SP-Bundesrat Alain Berset, der bei der AHV-Reform Vorschläge «aus dem Tierbuch» bringe.
BLICK: Herr Rösti, Sie fahren regelmässig von Ihrem Wohnort Uetendorf im Berner Oberland in die Stadt Bern. Von einer Gemeinde, in der teils über 50 Prozent SVP wählen, in eine Stadt mit mit rund 12 Prozent. Das muss für Sie eine Reise des Grauens sein!
Albert Rösti: Nein, nur wenn ich mit dem Zug komme und an der Reitschule vorbeifahre. Aber ja, es schleckt keine Geiss weg, dass es die SVP in den Städten schwer hat, langfristig glaubwürdige Köpfe aufzubauen.
Nicht nur in Bern – auch die Wahlen in der Stadt Zürich waren ein Debakel. Wieso kommt Ihre Volkspartei in den Städten auf keinen grünen Zweig?
Nebst den eigenen Schwächen haben die Niederlagen eine gewisse Logik: In den Städten leben überdurchschnittlich viele Personen, die vom Staat abhängig sind, Staatsangestellte, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose. Diese Klientel wird von den Linksparteien durch das Versprechen von günstigen Staatswohnungen und mehr staatlichen Leistungen angesprochen. Besser sieht es für die SVP diesbezüglich in den Agglomerationen aus.
Das ist doch eine billige Ausrede. Die SVP macht in den Städten schlicht vieles falsch.
Es liegt unbestritten auch an den Kandidaten. Wir haben in den Städten oft nicht genügend gutes Personal. Um eine Wahl zu gewinnen, braucht es bekannte und profilierte Köpfe. Die fehlten zum Teil. So wurde etwa die Vetterliwirtschaft der Linken bei der Vergabe von Sozialwohnungen in Zürich viel zu wenig konsequent aufgedeckt.
Fordern Sie von national bekannten Städtern wie Natalie Rickli in Winterthur, Hans-Ueli Vogt in Zürich oder Céline Amaudruz in Genf, dass sie bei nächster Gelegenheit in den Ring steigen?
Es ist nicht an mir, Kandidaten vorzuschlagen. Die von Ihnen genannten Personen wären sicherlich Zugpferde, aber wir brauchen sie auch in Bern. Der Aufbau von Köpfen ist Basisarbeit, die in der Westschweiz und in urbanen Zentren wieder vermehrt geleistet werden muss.
Eine BLICK-Datenanalyse hat gezeigt, dass die Städter bei Nationalratswahlen durchaus SVP wählen, nicht jedoch bei Stadtparlamentswahlen. Wie erklären Sie sich die grossen Unterschiede in derselben Stadt bei unterschiedlichen Urnengängen?
Uns gelingt es bei Wahlen in den Städten nicht, die Leute hinter dem Ofen hervorzuholen. Die Linke mobilisiert unbestrittenermassen besser. Dies bedeutet aber nicht, dass die SVP-Themen in der Stadt nicht greifen. Sie müssen einfach pointiert umgesetzt sein. Etwa mit dem Link, dass die massive Zuwanderung zur Wohnungsnot bzw. zu sehr hohen Mieten führt. Oder dass Über-50-Jährige enorm Mühe haben, einen Job zu finden.
Sie verlangen also einen scharfen Wahlkampf à la SVP Schweiz?
Wenn die SVP aus Rücksicht auf Exekutivwahlen einen harmlosen Wahlkampf betreibt oder sich gar zur Mitte hinbewegt, verliert sie meist in den Parlamenten und gewinnt den Regierungssitz dennoch nicht. Ein letzter Punkt: Wenn es den Leuten wie heute wirtschaftlich sehr gut geht, profitiert meist die Linke.
Damit gratulieren Sie den seit Jahren linken Stadtregierungen für die hohe Lebensqualität – und sagen auch: Erst wenn es den Leuten schlecht geht, wählen sie SVP!
Nein, die Glückwünsche gehen an die Wirtschaft, die für gute Arbeitsplätze und viel Steuereinnahmen sorgt. Wenn die Zeiten schwieriger werden, besinnt man sich darauf, dass der Staat nicht alles finanzieren kann: etwa Forderungen nach einem Vaterschaftsurlaub oder teure staatliche Regulierungen, um die Lohnungleichheit zu bekämpfen. In schwierigeren Zeiten legen Personen ihren Fokus auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und wählen deshalb SVP.
Die FDP hat als Reaktion auf die linke Dominanz in den Städten das Projekt FDP Urban gegründet. Wann kommt SVP Urban?
Nie. Es gibt nur eine SVP. Ihr Programm für Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit gilt vom Boden- bis Genfersee. Aber natürlich müssen wir uns der Frage, wie man beim Wahlkampf in den Städten zu mehr Erfolg kommt, annehmen.
Nicht nur in den Städten hapert es. Seit Ihrem Amtsantritt am 23. April 2016 hat die SVP in den Kantonsparlamenten elf Sitze verloren.
Diese Bilanz gefällt mir ganz und gar nicht! Mit aktuell 578 kantonalen Parlamentssitzen sind wir zwar mit Abstand die grösste Partei, und insgesamt erachte ich die SVP als stabil. Aber ich will nichts beschönigen: Wenn wir träge werden, verlieren wir.
Die Wahlen am Wochenende im Kanton Bern sind bereits der nächste Testfall.
Die Berner Wahlen mit Stadt und Land werden zeigen, wo die SVP derzeit steht. Ich habe grosse Sorgen wegen der sich abzeichnenden tiefen Stimmbeteiligung, deshalb haben wir reagiert: Zum ersten Mal in einem Kanton mobilisieren wir mit einer Telefonaktion unsere Basis. Rund 5000 Mitglieder und Sympathisanten haben wir angerufen. Auch ich hing Stunden am Draht.
Und Ihre Jungpartei macht mit einem beleidigenden Wahlplakat gegen Fahrende Stimmung und hat nun ein Rassismus-Verfahren am Hals. Verstehen Sie das unter Mobilisierung?
Die Junge SVP Bern hat 2017 im Alleingang den Asylkredit gebodigt, was eine hervorragende Leistung war. Manchmal übertreiben sie es aber auch, wie vielleicht mit dem genannten Plakat. Den Jungen darf aber eine gewisse Narrenfreiheit zugestanden werden.
Die CVP schwächelt enorm. Warum schafft es die SVP nicht, die CVP-Verluste bei sich zu verbuchen?
Die konservativen CVPler sind bereits mehrheitlich bei uns. Und die linken städtischen CVP-Wechselwähler kommen nicht zu uns. Dort politisiert die CVP zu links. Ich hoffe jedoch für die Schweiz, dass die Partei endlich den Kurs ihres Chefs Gerhard Pfister mitfährt und uns hilft. Dann schafft sie vielleicht den Turnaround.
Bei den Nationalratswahlen 2015 gab es einen Rechtsrutsch. Inhaltlich hat sich der aber nicht ausgezahlt.
Im Nationalrat kommen wir mit der FDP und Lega zwar auf eine Mehrheit von 101 Stimmen. Doch der Mitte-links-Ständerat blockiert eine konstruktive rechte Politik. Im Nationalrat können wir nur verhindern, dass es nicht schlimmer kommt. Das haben wir bei der «Grünen Wirtschaft», die abgelehnt wurde, gesehen.
Immerhin die Rentenreform vermochten FDP und SVP an der Urne zu bodigen. Doch jetzt legt Sozialminister Alain Berset eine AHV-Reform vor, die eine Mehrwertsteuererhöhung um 1,7 Prozent statt wie vorher nur 0,6 Prozent vorsieht. Ihr Nein wird zum Bumerang.
Was Berset hier bringt, ist aus dem Tierbuch. Offenbar hat er seine Niederlage nicht verwunden. Jetzt verweigert er sich den Abstimmungsgewinnern und bringt eine Vorlage, die zum Vornherein zum Scheitern verurteilt ist.
Wie wollen Sie Berset davon abbringen?
Wenn Berset die Richtung nicht anpasst, werden wir in der Kommission einen bürgerlichen Kompromiss zur finanziellen Sicherung der AHV ausarbeiten. Eine Reform in kleinen, überschaubaren Schritten.
Wie sieht die aus?
Jetzt muss rasch eine Angleichung des Frauenrentenalters auf 65 und eine bescheidene Mehrwertsteuererhöhung vors Volk. Allenfalls mit einer gewissen Ausgleichsmassnahme für tiefe Einkommen.
Für die Rentenalter-Kompensation muss Berset drei Varianten ausarbeiten – für 400, 800 und 1200 Millionen Franken. Wie viel kommt für die SVP in Frage?
Die Einsparung des höheren Rentenalters muss ein Mehrfaches davon sein, was die Kompensation kostet.
Dann also die 400-Millionen-Variante.
Auch die ist mir zu hoch. Wir können die AHV nicht sichern, wenn wir wieder Milliarden-Zückerchen verteilen.
Zückerchen verteilt ja auch Ihr Bundesrat Ueli Maurer mit höheren Kinderzulagen bei der neuen Unternehmenssteuerreform, die er gestern vorstellt hat.
Höhere Kinderzulagen sind sachfremd, unnötig und für den Erfolg der Vorlage auch nicht entscheidend.
Ohne sozialen Ausgleich droht erneut der Absturz.
Die Unternehmenssteuerreform III ist abgestürzt, weil die Gemeinden und damit die Steuerzahler nicht wussten, was sie die Reform kostet. Die Kantone müssen jetzt klaren Tisch machen. Entscheidend ist, dass dem Normalbürger etwa gleich viel im Portemonnaie bleibt.
Damit übergehen Sie die linken Abstimmungsgewinner!
Nein, denn diese haben behauptet, dass jeder Bürger mehr Steuern bezahlen wird. Deshalb wurde die Vorlage abgelehnt.