Staatsanwälte verhindern Ausschaffungen von kriminellen Ausländern
Greifen Sie jetzt durch, Frau Sommaruga?

Nur gut die Hälfte der kriminellen Ausländer wird ausgeschafft. Auch weil Staatsanwälte in Eigenregie milde Entscheide fällen. SP-Bundesrätin Sommaruga liebäugelt damit, das Gesetz zu verschärfen.
Publiziert: 06.06.2018 um 09:37 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:59 Uhr
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Wird sie das Ausschaffungs-Gesetz verschärfen? SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Foto: ANTHONY ANEX
Nico Menzato

Der Umgang mit kriminellen Ausländern beschäftigt einmal mehr die Schweiz. Grund: Gut die Hälfte wird nicht ausgeschafft. Konkret fällten Staatsanwälte und Gerichte im letzten Jahr 1210 Urteile gegen Ausländer, die unter den neuen Ausschaffungsartikel fallen. Sie haben Diebstahl, Betrug oder schwere Körperverletzung begangen. Doch 46 Prozent mussten das Land nicht verlassen. Fast immer sind es Täter, die zu einer Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten verurteilt worden sind.

Dabei sind die kantonalen Unterschiede riesig. Einige haben Ausschaffungsquoten von über 60 Prozent (etwa BL, BS, GE, GR, TI, VD und ZH). In anderen Kantonen (etwa AG, FR, NE, SO oder VS) werden kriminelle Ausländer viel seltener mit einem Landesverweis bestraft.

Härtefälle sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel

Grund für die Milde ist die sogenannte Härtefallklausel. Diese erlaubt es, dass «ausnahmsweise» von einer Ausschaffung abgesehen wird, wenn ein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt. Diesen Passus wollte die SVP mit der Durchsetzungsinitiative kippen – verlor die Abstimmung 2016 aber klar. 

Pikant: Wie die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, wenden nicht etwa vor allem Richter die Härtefallklausel an, sondern Staatsanwälte mittels Strafbefehl. 440 der insgesamt 559 Entscheide gegen eine Ausschaffung fällten Staatsanwälte in Eigenregie.

Wird Volkswille missachtet?

Die SVP spricht von einer «Täterschutz-Klausel» und verlangt eine Aussprache mit der zuständigen SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (58). «Die Bevölkerung wurde bei der Nicht-Durchsetzung der Ausschaffungsinitiative von Bundesrätin Sommaruga, Ständerat Müller und dem ganzen Rest der Classe politique brandschwarz angelogen», so die Partei in einem Communqué von gestern Abend.

Sommaruga selbst überlegt sich, Strafbefehle bei kriminellen Ausländern zu verbieten. Der Bundesrat verfolge die Entwicklung aufmerksam und behalte sich eine Gesetzesrevision vor, falls sich herausstelle, dass das heutige Recht die Absicht des Gesetzgebers vereitle, sagte sie in der nationalrätlichen Fragestunde am Montag. Ähnlich äusserte sie sich bereits vor vier Monaten auf einen entsprechenden Vorstoss. Mehr wollte Sommaruga gegenüber BLICK nicht sagen.

«Staatsanwälte können Gesetz nicht lasch anwenden»

Wenig Verständnis für die Kritik zeigt die Staatsanwälte-Konferenz (SSK). Sie hält an der Empfehlung vom November 2016 fest, die kantonalen Staatsanwaltschaften sollen die Möglichkeit des Strafbefehls nutzen. Dieser habe viele Vorteile, sagt SSK-Präsident Fabien Gasser (44) gegenüber BLICK: «Die Kosten der Justiz sinken. Es gibt weniger Beschwerden vor den kantonalen Gerichten und weniger Gerichtsverhandlungen.»

Gemäss Gasser würden Staatsanwälte keine milderen Urteile fällen als Richter: «Das Bundesgericht stellt ziemlich strenge Auflagen. Staatsanwälte müssen viele Kriterien wie Aufenthaltsdauer, Integration, Familie und Arbeit berücksichtigen und können das Gesetz unter keinen Umständen lasch anwenden.»

BFS korrigiert Zahlensalat

Er und andere Staatsanwälte üben zudem Zweifel an den Zahlen des Bundesamts. Dieses kündigt  an, heute eine neue Tabelle zu publizieren, diesmal ohne den Straftatbestand des einfachen Betrugs. Diese ziehen nur dann einen Landesverweis nach sich, wenn es um Sozialhilfe oder Steuern geht. Trotzdem hat das BFS auch alle anderen Betrugsdelikte eingerechnet.

Werden hingegen – wie nun vorgesehen – alle Betrugsdelikte rausgerechnet, soll die Ausschaffungsquote auf 69 Prozent steigen, was dann einen zu hohen Wert ergibt. Die wahre Ausschaffungsquote wird also irgendwo zwischen 54 und 69 Prozent zu liegen kommen.

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