Bei den Europawahlen überflutete eine grüne Welle den Kontinent. Auch in der Schweiz winkt den Grünen ein Rekordhoch: Bei den Nationalratswahlen im Oktober könnte die Partei erstmals die 10-Prozent-Hürde knacken! Das neuste SRG-Wahlbarometer sieht die Grünen bei 10,1 Prozent - ein sattes Plus von 3 Prozentpunkten gegenüber den Wahlen 2015.
Im Vergleich zum letzten Wahlbarometer vom Februar legt die Öko-Partei nochmals zu und würde damit zur grossen Gewinnerin. Die Grünen liegen der CVP im Nacken, die mit 10,6 Prozent nur noch einen halben Prozentpunkt Vorsprung hat.
«Es ist eine erfreuliche Bestätigung der langjährigen, kompetenten Arbeit der Grünen für den Klimaschutz und den sozialen Ausgleich in diesem Land», kommentiert Parteichefin Regula Rytz (57) das Resultat. «Wir haben uns konsequent für Klimagerechtigkeit eingesetzt, als das für viele Parteien gar kein Thema war.»
Nicht nur die Grünen profitieren von der grünen Welle, sondern auch die Grünliberalen. Sie konnten sich zwar nicht weiter verbessern, liegen aber mit 6,4 Prozent weiterhin mit fast zwei Prozent im Plus.
Aufatmen bei der SP
Aufatmen kann auch die SP. Denn während die grünen Gewinne in Europa vielerorts auf Kosten der Genossen gingen, bleiben die Sozialdemokraten hierzulande weitgehend stabil. Was auffällt: In der Deutschschweiz legen die Roten zu, in der Romandie verlieren sie.
Insgesamt macht das links-grüne Lager über drei Prozent vorwärts. So viel wie seit 2003 nicht mehr - und für helvetische Verhältnisse ein veritabler Linksrutsch. SP-Chef Christian Levrat (48) kommt damit seinem Ziel, die SVP-FDP-Mehrheit im Nationalrat zu brechen, einen grossen Schritt näher. Die knappe Mehrheit der Bürgerlichen von 101 von 200 Sitzen ist in akuter Gefahr.
Dämpfer für die FDP
Ihr Ziel aus den Augen verliert derweil die FDP: «Wir wollen die SP überholen», lautete die Kampfansage von Parteichefin Petra Gössi (43). Im Wahlbarometer vom Februar war dieses Ziel noch zum Greifen nah - lagen SP und FDP dort gleichauf.
Doch mittlerweile hat der Wind gedreht. Während die SP wieder zulegen konnte, erlebt die FDP mit derzeit nur noch 16,2 Prozent einen Dämpfer. Der freisinnige Schlinger-Kurs in der Klimapolitik wird von den Wählern offensichtlich nicht goutiert.
«Es ist eine Momentaufnahme, in der die grünen Parteien gestärkt sind, weil den Menschen die Umwelt- und Klimathematik sehr wichtig geworden ist», sagt Gössi. Das Barometer zeige klar, dass die FDP Handlungsbedarf bei der Klima- und Umweltpolitik habe. «Wir sind also richtig unterwegs, indem wir ein Papier erarbeitet haben, das den Weg einer liberalen Klimapolitik aufzeigt», so Gössi. «Diese Stärkung greift in der Romandie bereits und wird auch in der Deutschschweiz wirken.» Tatsächlich macht die FDP in der Romandie vorwärts, während sie in der Deutschschweiz verliert.
Am Ziel, die SP zu überholen, hält Gössi fest. «Es war immer klar, dass uns ein Wahlsieg nicht in den Schoss fallen wird, sondern hart erarbeitet werden muss», sagt sie. Als kleiner Trost bleibt ihr, «dass die anderen bürgerlichen Parteien noch viel stärker verloren haben».
SVP-Abwärtstrend setzt sich fort
Tatsächlich befinden sich die Bürgerlichen auf der Verliererstrasse. Allen voran die SVP. Ihr Abwärtstrend setzt sich fort. Mittlerweile summiert sich das Minus auf fast 3 Prozent. Allerdings bleibt die Partei von Albert Rösti (51) mit 26,5 Prozent weiterhin die mit Abstand stärkste Kraft.
Auf Verluste im Oktober müssen sich auch die beiden Mitteparteien CVP und BDP gefasst machen. Besonders drastisch wird es allerdings für die BDP, die nun sogar unter drei Prozent zu fallen droht - allerdings dürfte sie trotzdem mit Fraktionsstärke im Nationalrat vertreten bleiben.
Klima, Krankenkassen und Europa dominieren
Dass die Linke zulegt und die Rechte verliert, hat mit den dominierenden Themen zu tun. Ganz oben auf der Problem-Liste stehen die Krankenkassenprämien und der Klimawandel. Auch die Europa-Frage rangiert auf dem Podest, hat im Vergleich zum Februar bei den Stimmberechtigten aber an Brisanz verloren. Die typischen SVP-Themen Zuwanderung und Souveränität verlieren weiter an Bedeutung.
Dafür schlagen sich die Diskussionen rund um den der Frauenstreik vom 14. Juni im Wahlbarometer nieder: Das Thema Gleichstellung hat an Glanz gewonnen.
Das aktuelle Wahlbarometer beruht auf einer Umfrage, welche die Forschungsstelle Sotomo im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) zwischen dem 17. und 27. Mai bei 10'388 Stimmberechtigten durchgeführt hat. Der Stichprobenfehler liegt bei +/- 1,5 Prozentpunkten.