SP-Chef Levrat gibt den Tarif durch
«Wie wir unsere Löhne schützen, geht Brüssel nichts an»

BLICK trifft den SP-Präsidenten Christian Levrat an seinem Wohnort im freiburgischen Bulle zum Interview. Kurz vor den Ferien mit der Familie nimmt sich der Ständerat Zeit, um einiges in der Diskussion um das Rahmenabkommen mit der EU klarzustellen.
Publiziert: 03.07.2018 um 04:07 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:41 Uhr
Interview: Pascal Tischhauser (Text), Jean-Guy Python (Bilder)

BLICK: Morgen diskutiert der Bundesrat über das Rahmenabkommen mit der EU. Zur Debatte steht auch die Acht-Tage-Regelung. Sie besagt, dass EU-Firmen, die in der Schweiz Aufträge ausführen wollen, sich mindestens acht Tage vor der Arbeitsaufnahme in unserem Land anmelden müssen. Diese Regelung ist in der Europäischen Union umstritten. Kann diese abgeändert werden?
Christian Levrat: Rote Linien sind rote Linien. Mit diesen steht fest, dass das Arbeitsrecht und Lohnschutzmassnahmen nicht Gegenstand der Verhandlungen mit der EU sind. Das ist einzuhalten. Wenn sich unsere Sozialpartner auf ein anderes Modell zum Schutz der Löhne einigen, ist mir das recht. Wie wir unsere Löhne schützen, geht Brüssel nichts an. 

Aussenminister Ignazio Cassis sieht das anders.
Für mich zählt, was der Gesamtbundesrat festgelegt hat. Er hält an den roten Linien fest. Die flankierenden Massnahmen haben Brüssel nicht zu interessieren. Das wird sich auch morgen nicht ändern.

Was, wenn die EU nicht akzeptiert, dass die flankierenden Massnahmen, kurz FlaM, aussen vor bleiben?
Dann gibt es keinen Rahmenvertrag, ganz einfach. Meine Haltung unterscheidet sich hier keinen Millimeter von derjenigen der Gewerkschaften. Und ohne die Gewerkschaften und die Linke ist ein Rahmenvertrag nicht mehrheitsfähig, weil die SVP ja sowieso dagegen ist.

Braucht es denn das Rahmenabkommen überhaupt?
Um Stabilität bei den 120 Verträgen mit der EU zu erhalten, wäre ein institutionelles Dach über die Bilateralen wünschenswert – aber eben nicht um jeden Preis. Wir opfern nicht die Löhne von Bauarbeitern für dieses Abkommen.

Die Gewerkschaften drohen für diesen Fall mit dem Referendum. Würde sich die SP anschliessen?
Ich gehe davon aus, dass das nicht notwendig sein wird, weil der Bundesrat die roten Linien einhält und auch das Parlament die flankierenden Massnahmen nicht angreift. Die FlaM sind ein zentraler Teil des bilateralen Erfolgswegs. Mit einer Aushöhlung des Lohnschutzes wäre der bilaterale Weg am Ende.

Früher haben Arbeitgeberverband und Gewerbeverband am selben Strick gezogen. Das ist aber vorbei, wenn man deren Spitzenfunktionäre Valentin Vogt und Hans-Ulrich Bigler hört. Sie wollen die 8-Tage-Regelung kippen.
Die beiden haben nicht realisiert, worüber wir verhandeln. Sie meinen tatsächlich, es gehe darum, wie lange sich eine EU-Firma vor Arbeitsantritt in der Schweiz anmelden muss. Wir verhandeln aber über die Rechtsübernahme und die Beilegung von allfälligen Meinungsverschiedenheiten. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Basis des Gewerbeverbands es begrüsste, wenn Brüssel auch beim Wettbewerbsschutz für unser Kleingewerbe mitreden würde. 

Arbeitgeberpräsident Vogt will noch bei einem zweiten wichtigen Thema ausscheren: Beim Steuerdeal, der die AHV und die Unternehmenssteuerreform verknüpft. Er will die AHV ohne Lohnprozente finanzieren. 
Hier möchte ich ausholen: Einerseits haben wir hier die AHV-Reform von Herrn Berset. Sie sieht vor, das Frauenrentenalter und die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die AHV zu sanieren. Ich habe grosse Lust, diese Vorlage wieder an den Gesundheitsminister zurückzuschicken.

Die Vorlage kommt vom SP-Bundesrat, Ihrem langjährigen Weggefährten.
Und Alain Berset ist ein guter Freund von mir, ja. Aber eine Vorlage, die vom bürgerlich dominierten Bundesrat derart übersteuert wurde, dass sie ein reiner Leistungsabbau ist, kann ich nicht akzeptieren. Wir werden dem Bundespräsidenten deshalb eine höfliche Abfuhr erteilen.

Und beim Steuerdeal, was sagen Sie zum Vorschlag von Herrn Vogt?
Er ist ein Witz! Denn bei der Zusatzfinanzierung der AHV im Rahmen des Steuerdeals kommen wir an der Finanzierung via Lohnprozente nicht vorbei. Genau darin besteht ja der Ausgleich zum Steuerteil. Von der Finanzierung via Lohnprozente profitieren 93 Prozent der Bevölkerung. Die AHV-Sanierung wird in erster Linie also von den sieben reichsten Prozenten bezahlt. Das sind genau jene sieben Prozent, die von der Steuerreform profitieren. Herr Vogt will, dass statt Lohnprozenten der Bund mehr zahlen soll. Vogts Vorschlag ist einzig und allein ein Sabotageversuch, weil man eine Lösung ohne ihn eingefädelt hat.

Hält der Steuerdeal?
Der Kompromiss ist natürlich ehrgeizig. Er verbindet die beiden wichtigsten Geschäfte der Legislatur. Ich bin aber optimistisch, weil ich bislang weit und breit keinen besseren Vorschlag sehe. Aber wenn der Nationalrat jetzt wieder mit dem Frauenrentenalter 65 kommt, ist dieser Kompromiss tot. Bleibt er so, wird die SP sich wohl an der ausserordentlichen Delegiertenversammlung im September dahinterstellen. Von mir aus könnte die SP dazu auch eine Urabstimmung durchführen, denn ich bin zuversichtlich.

Auch für die Wahlen 2019? 
Ja, wir werden zulegen. Wir hoffen auf über 20 Prozent Wähleranteil. Aber wir schielen nicht auf Prozente, sondern wir wollen die rechte Mehrheit im Parlament brechen. Ich rechne fest damit, dass die FDP-SVP-Mehrheit im Nationalrat fällt und wir im Ständerat unsere Sitze halten. Denn in immer mehr Kantonen gelangen die Wähler zur Ansicht, es sei gut, einen bürgerlichen und einen linken Vertreter ins Stöckli zu entsenden. So findet auch der Bundesrat den Weg zurück zur Normalität.

Handelt der Bundesrat denn jetzt etwa unnormal?
Der Bundesrat hat mich schockiert, als er Waffenexporte in Kriegsregionen ermöglichte. Die Bevölkerung hat kein Verständnis für diesen Entscheid. Hier ist das letzte Wort längst nicht gesprochen. Stellen Sie sich vor, wie die Parlamentarier im Saal offen für Waffenlieferungen nach Syrien und Jemen einstehen und sich dafür zu Hause vor Freunden und der Familie rechtfertigen müssen. Dafür werden die Bundesräte einiges zu hören bekommen. Unsere Regierung reagiert auf Kritik. Auch diesmal wird sie kaum zuwarten, bis die Leute zuhauf gegen Waffenexporte auf die Strasse gehen.

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