Die SP hat derzeit einen guten Lauf. In Zürich legte die Linke massiv zu, ebenso bei den Berner Grossratswahlen. Bei den 15 kantonalen Wahlen seit 2016 gewann die SP insgesamt zehn Mandate hinzu. Kein Wunder, trifft BLICK einen gut gelaunten Christian Levrat (47) zum Interview. Der SP-Chef nimmt die Siege als Ansporn, wie er bei einer Tasse Tee erzählt. Und er zeigt sich kämpferisch. Erst recht, nachdem die rechte Nationalratsmehrheit nach dem Nein zur Rentenreform wieder stärker auf Sozialabbau drückt – etwa bei den Ergänzungsleistungen.
BLICK: Herr Levrat, wie haben Sie Ostern verbracht?
Christian Levrat: Ich war mit meiner Familie in Frankreich und habe ein paar Tage frei gemacht.
Ihre Jungpartei, die Zürcher Juso, will alle religiösen Feiertage abschaffen.
Das ist ein totaler Quatsch. Die Feiertage sollten so bleiben, wie sie sind. Einzig der Tag der Arbeit am 1. Mai sollte noch dazukommen.
Sie schätzen also Rituale an Ostern oder Weihnachten?
Ja, natürlich. Ich bin katholisch. Und es sind beste Gelegenheiten, um die ganze Familie zu treffen. Unsere Gesellschaft lebt von solchen Ritualen.
Ostereier verstecken Sie wohl aber nicht mehr. Ihre drei Kinder im Alter von 14, 16 und 19 sind sicherlich zu gross dafür.
Ja, die wären wohl nicht begeistert (lacht). Früher haben wir dies jedoch immer gemacht. Mit grosser Freude. Vor allem, wenn einige Schoggi-Eier erst nach einem Jahr gefunden wurden.
Ein Ostergeschenk haben Ihnen die Berner gemacht. Bei den kantonalen Wahlen vor einer Woche legte die SP um über drei Prozent auf 22,2 Prozent zu.
Nicht nur die Berner. Wir sind tatsächlich gut unterwegs. Schon letztes Jahr siegte die SP im Aargau und in Basel-Stadt. Dann in den Städten Zürich und Winterthur.
Sind 22 Prozent Wähleranteil auch Ihre Zielvorgabe für die nationalen Wahlen von 2019?
Ja, diese Grössenordnung sollte passen. Ein solcher Zuwachs ist möglich! Und nötig, um die rechte Mehrheit zu brechen. Mein Ziel sind deutlich über 20 Prozent.
Von FDP-Chefin Petra Gössi kommt bereits die Kampfansage, die SP zu überholen und hinter der SVP zweitstärkste Kraft zu werden.
Ihr Vorgänger Philipp Müller hat schon das Gleiche gesagt. Wenn es der FDP psychisch guttut, darf sie dies immer wieder sagen. Einholen wird sie uns trotzdem nicht.
SVP-Präsident Albert Rösti erklärt die Siege der SP in den Zentren mit der Bevölkerungsstruktur. In Städten würden überdurchschnittlich viele «Staatsprofiteure» leben – Staatsangestellte, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Und damit typische SP-Wähler.
Die Analyse ist falsch. Ich wäre als Präsident der Bauernpartei vorsichtig mit Vorwürfen, wer am stärksten vom Staat profitiert. Was aber sicher stimmt: Wir sind nicht die Partei der Milliardäre. Das ist die SVP! Es wird doch immer deutlicher, für wen Rösti neben den Bauern politisiert – der Businessplan von Magdalena Martullo wird mehr und mehr zum SVP-Parteiprogramm. Wenn die SVP-Wähler endlich durchschauen, dass ihre Partei für die kleine Minderheit der Superreichen Politik macht, hat Rösti ein ernsthaftes Problem. Deshalb ist er so nervös.
Sie hingegen lehnen sich zurück, statt aktiv Gegensteuer zu geben. So will die SP kein Referendum gegen das umstrittene Gesetz zur Überwachung von Sozialversicherten ergreifen. Sie überlassen die Arbeit einer Bürgerbewegung.
Auch die SP ist der Meinung, dass Missbräuche in Sozialversicherungen aufgedeckt werden müssen. Weil sonst die Glaubwürdigkeit des ganzen Systems untergraben wird. Aber das vom Parlament beschlossene Gesetz geht deutlich zu weit. Ein Referendum ist allerdings kaum zu gewinnen, und wir würden unseren Gegnern unnötigerweise eine Plattform bieten, um eine aufgebauschte Sozialmissbrauchs-Debatte zu führen. Es ist vielversprechender, wenn völlig unverhältnismässige Überwachungsfälle zur Überprüfung an den Menschenrechtsgerichtshof gebracht werden.
Die SP könnte doch mit einem Referendum ihr Profil schärfen.
Vielleicht. Wir müssen aber kühlen Kopf bewahren. Wir stehen angesichts der Demontagepolitik der rechten Mehrheit vor turbulenten Jahren. Das wird brutal! Wir müssen sehr diszipliniert vorgehen und klare Prioriäten setzen, um den Schaden zu minimieren. Es gibt diverse andere Kämpfe, die ein Referendum provozieren.
Nämlich?
Die Reform der Ergänzungsleistungen etwa. Oder die Angriffe auf die Arbeitszeitbeschränkung und die Ausweitung der Sonntagsarbeit. Aber auch die Erhöhung der Krankenkassenfranchisen. Wenn diese Dossiers im Parlament so durchkommen, wie es sich derzeit abzeichnet, wird die SP das Referendum dagegen ergreifen müssen.
Dann besteht die SP-Politik bis zu den Wahlen aus einem Abwehrkampf mit Referenden?
Nicht nur. Wir werden im Herbst eine Volksinitiative starten, um die Bevölkerung im Gesundheitsbereich zu entlasten. Wir wollen die Krankenkassenprämien auf maximal zehn Prozent des Haushaltseinkommens beschränken – heute liegt der Durchschnitt bei zwölf Prozent. Die Belastung ist für viele viel zu hoch! Wir müssen hier rasch handeln.
Die CVP fordert stattdessen eine Kostenbremse im Gesundheitswesen.
Das tönt gut, aber bisher versteht kein Mensch, was die CVP mit dieser Initiative genau im Schilde führt und mit welchen konkreten Massnahmen sie die Einsparungen erzielen will. Gerhard Pfister betreibt hier Gesundheitspolitik in bester Wunderheilermanier.
Am 10. Juni stimmen wir über das Geldspielgesetz ab. Die SP Schweiz kämpft für ein Ja, doch soeben hat die SP Aargau die Nein-Parole gefasst. Und auch die FDP stellt sich überraschend gegen das Gesetz. Droht jetzt der Absturz?
Bei mir beginnen die Alarmglocken ernsthaft zu läuten! Die Netzsperren sind doch nicht das Problem bei dieser Vorlage, sondern wer die Gewinne absahnt! Wollen wir, dass dieses Geld in die Taschen ausländischer Casinos fliesst? Oder doch lieber zu Swisslos und damit in gemeinnützige Projekte?
Diese Entscheidung kann man doch den Online-Spielern und damit dem Markt überlassen!
Sie vergessen die Folgen! Ein Nein führt zu einer Katastrophe bei Sportvereinen, Jodlerklubs oder Quartiervereinen! All ihre Aktivitäten wie Quartierfeste oder Grümpelturniere, die mit Swisslos-Geldern unterstützt werden, sind bei einem Nein gefährdet. Die Ausgangslage ist ernst. Ich appelliere deshalb an die Vereine: Bewegt euch! Engagiert euch im Abstimmungskampf! Danach ist es zu spät.
Sie müssen doch bei der eigenen Klientel ansetzen. Die Linke will doch keine Internet-Zensur.
Zu Recht. Aber dieses Gesetz hat nichts mit Zensur zu tun. Es geht darum, dass Online-Geldspiele in der Schweiz über Schweizer Anbieter gespielt werden, damit die Gewinne hier in gemeinnützige Aktivitäten fliessen statt in dubiose ausländische Kanäle.
Zurück zu den Wahlen: Sie treten doch wieder für den Ständerat an?
Ja.
Sie müssen ja. Im Stöckli drohen der SP einige Sitzverluste, sobald die alte Garde abtritt.
Mit zwölf Sitzen sind wir auf einem Rekordhoch. Das haben wir aber kontinuierlich aufgebaut. Es gibt immer mehr Wähler, die die Interessen des Kantons am besten vertreten sehen, wenn sie je einen «Anwalt» auf der linken und der rechten Seite haben. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir die Sitzzahl halten, ja vielleicht sogar ausbauen können.
Ach ja, wo sehen Sie denn noch Potenzial für zusätzliche Sitze?
Im Tessin zum Beispiel oder im Wallis.
Als Parteichef wird es Ihr letzter Wahlkampf, oder?
Ich warte mal ab, was Ueli Maurer macht (lacht). Nein, ernsthaft, wir werden die Situation nach den Wahlen 2019 beurteilen.
Zehn Jahre schon ist Christian Levrat (47) SP-Chef. Bei den grossen Parteien ist er damit der weitaus Amtsälteste. Der Freiburger politisiert seit 2003 im Bundeshaus – zuerst als Nationalrat, seit 2012 als Ständerat.
Beruflich war Levrat etwa für die Schweizerische Flüchtlingshilfe sowie für die Gewerkschaft Kommunikation tätig, wobei er Letztere auch präsidierte.
Levrat gehörte bei der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher 2007 zu den Strippenziehern hinter den Kulissen. Der Freiburger ist ein begeisterter Schachspieler. Er lebt in Vuadens FR, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Zehn Jahre schon ist Christian Levrat (47) SP-Chef. Bei den grossen Parteien ist er damit der weitaus Amtsälteste. Der Freiburger politisiert seit 2003 im Bundeshaus – zuerst als Nationalrat, seit 2012 als Ständerat.
Beruflich war Levrat etwa für die Schweizerische Flüchtlingshilfe sowie für die Gewerkschaft Kommunikation tätig, wobei er Letztere auch präsidierte.
Levrat gehörte bei der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher 2007 zu den Strippenziehern hinter den Kulissen. Der Freiburger ist ein begeisterter Schachspieler. Er lebt in Vuadens FR, ist verheiratet und hat drei Kinder.