SP-Chef Christian Levrat attackiert Grünliberale
«Die GLP spielt die Rolle des grünen Feigenblatts»

Durch die Kantone rollt eine grüne Welle, doch auch die SP legt zu. Parteichef Christian Levrat attackiert nun aber die GLP, die der Rechten als «grünes Feigenblatt» diene. Und er warnt vor einer fortgesetzten «Politik der sozialen Eiszeit».
Publiziert: 02.04.2019 um 06:43 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2019 um 10:10 Uhr
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Die Kantone Zürich, Luzern und Baselland sehen grün: Die Grünen gewinnen Sitz um Sitz. Rechts im Bild Martin Neukom (32, Grüne), der überraschend in den Zürcher Regierungsrat gewählt wurde.
Foto: Keystone
Interview: Ruedi Studer und Joel Probst

Durch die Kantone rollt eine grüne Welle, wie die Wahlen in Zürich, Luzern und Baselland belegen. Doch auch die SP konnte zulegen. Kein Wunder, ist Parteichef Christian Levrat (48) beim Treffen in Freiburg entspannt. Bei einem Espresso erklärt er, was er von der GLP hält und wie es in der Klimapolitik vorwärtsgehen soll. 

BLICK: Herr Levrat, sind Sie schon grün vor Neid auf die Grünen?
Christian Levrat: (Lacht) Nein, ich bin sehr froh, dass das fortschrittliche Lager Sitze gewinnt. Unser Hauptziel ist es, die rechte Mehrheit im Nationalrat zu brechen – und das funktioniert nur, wenn Grüne und SP so wie jetzt parallel zulegen.

Während die grüne Welle rollt, bekommt die SP aber nur die Krümel ab!
Nein, wir haben einen Linksrutsch. Früher legten die Grünen auf Kosten der SP zu und umgekehrt – jetzt gewinnt das links-grüne Lager gemeinsam auf Kosten der Bürgerlichen. Wir erleben eine historische Wende. Es sieht gut aus für den Herbst. Gerade in der Klimapolitik sind neue Mehrheiten möglich.

Die Grünen lassen sich aber nicht mehr als Juniorpartnerin abspeisen: In Luzern muss Ihr Regierungskandidat der Grünen den Vortritt lassen.
In diesem Fall zu Recht, denn die grüne Kandidatin lag vorn. Die SP ist immer noch doppelt so stark wie die Grünen. Wir sind aber keine Rivalen, sondern Verbündete. Wir werden im Herbst deshalb möglichst flächendeckend mit Listenverbindungen antreten.

Sie hoffen im Herbst auf eine Klimawahl – ist bis dahin der Hype nicht wieder abgeklungen?
Nein, denn die Unfähigkeit der Rechten in der Klimapolitik ist noch lange nicht vergessen. Die Verwässerung des CO2-Gesetzes durch die Bürgerlichen ist für die Bevölkerung ein Affront. Dafür erhalten die Bürgerlichen im Herbst die Quittung.

Das Gesetz wär immerhin ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Nein, das CO2-Gesetz war wirkungslos und voller falscher Versprechungen. Es war Falschgeld – und Falschgeld gibt man zurück. Wir werden jetzt im Ständerat ein besseres Gesetz ausarbeiten.

Ihre drei Kinder sind mit 15, 18 und 20 Jahren im Klimastreik-Alter. Demonstrieren sie auch?
Ja, natürlich. Sie beteiligen sich rege an den Demos – und ich muss die Entschuldigungen für die Schule unterschreiben. Mein Wohnzimmer ist zur Lagerhalle für ihre Demo-Flyer geworden. 

Demonstrieren Sie mit?
Meine Kinder sagen: «Bleib zu Hause!» Sie wollen nicht, dass die Demos von Parteien verpolitisiert werden. Die Rolle der Jungen ist es, Druck zu machen. Die Parteien hingegen müssen Lösungen liefern. 

Konkret? Wie wollen Sie sich in der Klimapolitik von den Grünen abheben?
Alarmismus alleine reicht nicht, wir müssen den Klimawandel aufhalten. Zum Glück haben dank der Klimastreiks jetzt fast alle begriffen, wie dringend das Problem ist. Nun braucht es konkrete Massnahmen. Da ist die SP stark, das haben wir mit der Energiewende bewiesen.

Welche Massnahmen braucht es jetzt?
Es braucht die Elektrifizierung des Verkehrs und einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs – ohne AKW natürlich. Die Schweiz hat die Bahn 2000 und den Gotthard-Basistunnel gebaut. So ein nationales Grossprojekt brauchen wir jetzt für die Solarenergie. Das kostet uns zwölf Milliarden Franken – rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das können wir uns leisten. So viel hat die Schweiz in den 1960er-Jahren in die Wasserkraft investiert. Wenn die Bürgerlichen damals so ängstlich gewesen wären wie heute, wäre die Schweiz nicht so weit wie jetzt.

Braucht es wie in Norwegen ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren?
Ja, denn 80 Prozent des globalen Energieverbrauchs stammt aus fossilen Energien. Ab 2040 sollen in der Schweiz keine Benzin- oder Dieselautos mehr fahren.

Damit ist das Klima gerettet?
Wir haben noch viele Ideen. Zu den wichtigsten gehört ein Verbot für klimaschädliche Investitionen. Der Schweizer Finanzplatz darf nicht mehr in fossile Energien – wie zum Beispiel Ölfirmen – investieren. Keinen Franken für Öl!

Um Erfolg zu haben, müssen Sie doch jetzt eine Klima-Allianz bilden und auch mit der GLP Listenverbindungen eingehen.
In der Klimapolitik können wir mit der GLP zusammenarbeiten – in der Sozial- und Wirtschaftspolitik sieht es aber ganz anders aus. Bei Gesundheitsfragen, beim Arbeitnehmerschutz oder bei der Altersvorsorge positioniert sich die GLP teils sogar rechts der FDP. So hielt sie bis am Schluss stur an einer 500-Franken-Franchise fest. Und die GLP will Rentenalter 67 für alle. In sozialen und wirtschaftlichen Fragen gehört die GLP zur rechten Phalanx im Nationalrat – und spielt dabei die Rolle des grünen Feigenblatts. 

Sagen Sie der GLP etwa den Kampf an?
Es ist klar, um soziale Fortschritte zu erreichen, müssen wir die rechte Mehrheit aus SVP, FDP und der GLP im Nationalrat brechen. Es reicht nicht, wenn SVP und FDP Sitze verlieren und die GLP gewinnt. Dann bestünde die Politik der sozialen Eiszeit weiter. Es braucht eine Verschiebung von mindestens acht Sitzen vom rechten ins linke Lager. Ich glaube daran, dass wir das schaffen. 

Um Ihr Ziel zu erreichen, muss die SP aber noch kräftig zulegen.
Mein Ziel bleibt, die 20-Prozent-Hürde zu knacken. Das schaffen wir. Die Bevölkerung hat in den letzten vier Jahren miterlebt, dass notwendige Reformen mit der heutigen bürgerlichen Mehrheit unmöglich sind.

Die SVP schifft am stärksten ab. Wie gross ist Ihre Schadenfreude?
Ich bin nicht schadenfreudig – aber froh, dass die Mehrheiten korrigiert werden. Die Schweiz hat eine 30-Prozent-SVP nicht verdient. Eine so starke SVP ist schlecht für unser Land. Wir haben eine verlorene Legislatur hinter uns, die reinste Schreckensbilanz. Denken Sie nur an die in den Boden gestampfte Rentenreform oder die Gesundheitspolitik. Bei den Franchisen hat die SVP zuletzt sogar ihr eigenes Gesetz abgelehnt.

Und damit die SP ausgetrickst: Das Referendum gegen die Franchisenerhöhung wäre ein linker Wahlkampfschlager geworden.
Dank uns ist die Franchisenerhöhung vom Tisch. Das war das effizienteste Referendum aller Zeiten. So lasse ich mich gerne austricksen. (Lacht) Mit unserer Prämienentlastungs-Initiative  greifen wir zudem einen anderen wunden Punkt auf – es geht um die Entlastung des unteren Mittelstands, wo die Prämienlast für viele unerträglich ist.

Kommen neben Klima und Gesundheit weitere Wahlkampfthemen hinzu?
Die Gleichstellungspolitik ist ein grosses Thema, weshalb wir nun für den Frauenstreiktag am 14. Juni mobilisieren. Die Bürgerlichen sabotieren jeden Fortschritt bei der Gleichstellung. Auch deshalb braucht es den Mehrheitswechsel im Parlament.

Aber von der Europafrage lassen Sie die Finger?
Wir haben uns ernsthaft mit dem Rahmenvertrag auseinandergesetzt. Wir sind seit je für ein Abkommen – mit dem bestehenden Lohnschutz. Aber zu vieles ist unklar, darum haben wir 65 Fragen an den Bundesrat formuliert. Jetzt ist der Bundesrat am Ball, Antworten zu liefern.

Chef-Genosse Christian Levrat

Seit elf Jahren ist Christian Levrat (48) SP-Chef. Bei den grossen Parteien ist er damit der weitaus Amtsälteste. Der Freiburger politisiert seit 2003 im Bundeshaus – zuerst als Nationalrat, seit 2012 als Ständerat.

Beruflich war Levrat etwa für die Schweizerische Flüchtlingshilfe sowie für die Gewerkschaft Kommunikation tätig, wobei er Letztere auch präsidierte.

Levrat gehörte bei der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher 2007 zu den Strippenziehern hinter den Kulissen. Der Freiburger ist ein begeisterter Schachspieler. Er lebt in Vuadens FR, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Seit elf Jahren ist Christian Levrat (48) SP-Chef. Bei den grossen Parteien ist er damit der weitaus Amtsälteste. Der Freiburger politisiert seit 2003 im Bundeshaus – zuerst als Nationalrat, seit 2012 als Ständerat.

Beruflich war Levrat etwa für die Schweizerische Flüchtlingshilfe sowie für die Gewerkschaft Kommunikation tätig, wobei er Letztere auch präsidierte.

Levrat gehörte bei der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher 2007 zu den Strippenziehern hinter den Kulissen. Der Freiburger ist ein begeisterter Schachspieler. Er lebt in Vuadens FR, ist verheiratet und hat drei Kinder.

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