«Im Namen Gottes des Allmächtigen!» So lautet der erste Satz der schweizerischen Bundesverfassung. Er zeigt, dass Staat und Kirche hierzulande keineswegs strikt voneinander getrennt sind. Obwohl die Schweiz seit 1848 ein säkularer Staat ist, greifen Politik und Religion noch immer in vielen Bereichen ineinander.
So geht auch das Kreuz in der Schweizer Flagge auf die christliche Prägung des Landes zurück. Ebenso das goldene Kreuz, das auf der Spitze des Bundeshauses prangt.
Die Verbundenheit manifestiert sich auch beim Papstbesuch vom Donnerstag in Genf: Papst Franziskus (81) wird heute Bundespräsident Alain Berset (46, SP), Bundesrätin Doris Leuthard (55, CVP) und Bundesrat Ignazio Cassis (57, FDP) – alle drei katholisch – treffen. Auch Nationalratspräsident Dominique de Buman (62, CVP) aus dem katholischen Freiburg ist mit von der Partie.
Der Bund selbst hält sich in Religionsfragen in der Regel aber zurück. Rechtlich setzt er nur einen gewissen Rahmen: So gewährleistet die Bundesverfassung die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Und er schreibt ein Minarettverbot vor. Doch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche delegiert er weitgehend an die Kantone.
Allerdings flackern immer wieder Diskussionen auf, ob es nicht einen eigentlichen «Religionsartikel» in der Bundesverfassung braucht.
Christliche Parteien im Bundeshaus
Doch während sich der Bund zurückhält, sind auf Bundesebene und im Bundeshaus gleich mehrere Parteien im Namen Jesu unterwegs. An erster Stelle die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP): Die von Nationalrat Gerhard Pfister (55, ZG) angeführte Partei beruft sich explizit auf «christlich-humanistische Werte» und ist immer noch stark im katholischen Milieu verwurzelt.
In der 43-köpfigen CVP-Fraktion sind auch ein Vertreter der Christlichsozialen Partei (CSP) sowie zwei Nationalräte der Evangelischen Volkspartei (EVP) aktiv, wobei sich Letztere von den «Grundsätzen des Evangeliums leiten lassen».
Am radikalsten auf die Bibel stützt sich die Eidgenössisch-demokratische Union (EDU). Diese setzt sich «für eine Ordnung nach biblischen Grundsätzen ein» und will ihre Ziele durch «Denken, Reden und Handeln im Glauben und Vertrauen auf Jesus Christus und die Bibel als Gottes Wort» erreichen. Allerdings ist die EDU seit einigen Jahren nicht mehr in Bundesbern vertreten.
Parlamentarier engagieren sich in «Christ+Politik»
Auf christliches Gedankengut stützen sich aber nicht nur Politiker aus CVP oder EVP, sondern auch aus anderen Parteien. In Bundesbern haben sie sich in der parlamentarischen Gruppe «Christ+Politik» zusammengeschlossen, die vom Solothurner SP-Nationalrat Philipp Hadorn (51) präsidiert wird. «Das christliche Glaubensbekenntnis ist für uns Identität über die Partei- und Kirchengrenzen hinweg», sagt Hadorn, der in der evangelisch-methodistischen Kirche aktiv ist.
Einmal pro Jahr organisiert die Gruppe einen grösseren Anlass mit Gästen. So stand das «Lunchmeeting» diesen Frühling unter dem Titel «Die Gretchenfrage – christlicher Glaube im politischen Alltag». Bei diesem Mittagstalk diskutierten die beiden Parteipräsidenten Gerhard Pfister (55, CVP) und Christian Levrat (47, SP), moderiert von Radio- und Fernsehmoderator Ruedi Josuran (61).
Unabhängig von der Parlamentariergruppe wird unter dem Lead von EVP-Präsidentin Marianne Streiff (60, BE) und CVP-Ständerat Stefan Engler (58, GR) sowie vier Pfarrern jeweils am Mittwochmorgen während der Session eine Besinnungsstunde durchgeführt. «Klar sind auch SPler dabei», weiss Hadorn. «Zumindest während der letzten Legislatur stellte die SP sogar die meisten Teilnehmenden.»
Kantone regeln die Anerkennung
Den grössten Einfluss auf das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften haben die Kantone. Dabei ist die Verbindung in den meisten Kantonen noch recht ausgeprägt – einzig die Kantone Genf und Neuenburg haben eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat vollzogen. Die Übrigen regeln in ihren kantonalen Verfassungen und speziellen Kirchengesetzen etwa die rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften und die damit verbundenen Rechte und Pflichten.
Öffentlich-rechtlich als Landeskirche anerkannt werden etwa Gemeinschaften, die eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung und Grösse haben. Die römisch-katholische und die evangelisch-reformierte Kirche sind praktisch in allen Kantonen öffentlich-rechtlich anerkannt. In einigen Kantonen gilt auch die christ-katholische Kirche. In einigen Kantonen haben auch jüdische Gemeinden einen öffentlich-rechtlichen oder privat-rechtlichen Status.
Zu den Pflichten der Landeskirchen gehört etwa eine demokratische Organisationsform, die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, die Anerkennung der Religionsfreiheit und finanzielle Transparenz.
Zu den Rechten zählt dafür zum Beispiel, dass sie Angaben aus dem Steuerregister erhalten, damit sie bei ihren Mitgliedern entsprechend Steuern erheben können. Der Staat gewährt zudem Seelsorgern Zugang zu kantonalen Einrichtungen wie Spitälern oder Gefängnissen. Oder er stellt öffentliche Schulräume für Religionsunterricht zur Verfügung.
Bern zahlt noch Pfarrerlöhne
Allerdings sind die Rechte und Pflichten von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt. Und da gibt es auch besondere Fälle: In Bern zum Beispiel sorgt der Kanton für die universitäre Ausbildung der Geistlichen der evangelisch-reformierten und der christkatholischen Landeskirche, während die Geistlichen der römisch-katholischen Landeskirche an den Bildungsanstalten des Bistums Basel ausgebildet werden können.
Die Geistlichen der drei Landeskirchen werden zudem vom Kanton angestellt und bezahlt – und das aufgrund eines Vertrags von 1804. Die Pfarrerlöhne machen jedes Jahr gut 75 Millionen Franken aus.
Allerdings ist aktuell eine Gesetzesrevision im Gang, wonach künftig die Kirchen ihre Pfarrer anstellen und der Kanton die Löhne nicht mehr direkt bezahlt, sich aber über Leistungsvereinbarungen an den Kosten beteiligt. Das neue Gesetz soll per 2020 in Kraft treten.
Weltlichkeit redet bei Bischofswahl mit
Nicht nur Bern ist ein Sonderfall, sondern auch das Bistum Basel. Ernennt normalerweise der Papst die Bischöfe, haben im Bistum Basel die Regierungen der dazugehörigen Kantone Luzern, Bern, Solothurn, Zug, Aargau, Schaffhausen, Basel-Land, Basel-Stadt, Jura und Thurgau ein Wörtchen mitzureden.
So wählt zwar das kirchliche Domkapitel den Bischof. Als einziges auf der ganzen Welt hat es noch dieses Recht. Doch die 18 Domherren müssen sich zuerst auf eine Liste mit sechs Bischofskandidaten einigen. Dafür kommen nur Priester aus dem Bistum Basel in Frage.
Die Liste wird danach der weltlichen Diözesankonferenz vorgelegt, in der jeweils zwei Vertreter der zehn Bistumskantone – in der Regel Regierungsräte – sitzen. Per Mehrheitsbeschluss können sie Kandidaten streichen, die der Weltlichkeit weniger genehm erscheinen.
Allerdings ist umstritten, ob ein gestrichener Kandidat auch unwählbar wäre. In letzter Zeit stellte sich die Frage jedenfalls nicht, das Domkapitel wählte jeweils genehme Bischöfe. Aktuell im Amt als Bischof von Basel ist Felix Gmür (52), der 2010 zum Bischof gewählt wurde.
Jährlicher Bischofsjass in Solothurn
Und noch eine besondere Verbandelung aus dem Bistum Basel: Dessen Bischof und die Solothurner Regierung treffen sich regelmässig zum Bischofsjass.
Die Tradition wird seit den 1960er-Jahren gepflegt. Wobei der damalige SP-Regierungsrat und spätere Bundesrat Willi Ritschard (†65) zu den Mitbegründern des Anlasses gehörte.
In zwölf Parteien messen sich seither Geistlichkeit und Weltlichkeit in der Regel jährlich bei gemütlichem Beisammensein in ihren Jasskünsten und nutzen das Treffen zum Gedankenaustausch. Vergangenes Jahr hatten die Politiker das bessere Kartenglück. Die Weltlichkeit obsiegte mit 8 zu 4.